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“Nicht mit Ängsten Stimmung machen”

Sorgt auch "ennet" dem Rhein für Aufregung: Das SVP-Plakat, das die deutsche Bundeskanzlerin und ihren Finanzminister als Bankräuber tituliert. Keystone

Ist das Boot in der Schweiz mit Deutschen überladen, wie es Plakatkampagnen in Zürich glauben machen wollen? Ein in Deutschland lebender Auslandschweizer und Mitglied der SVP möchte die Wogen glätten.

Der in Dresden lebende Schweizer Unternehmensberater Peter S. Kaul ist der Ansicht, dass man als Schweizer vor den Deutschen keine Angst haben müsse. Er möchte den Dialog zwischen den beiden Ländern massiv intensivieren.

swissinfo.ch: In der Schweiz besteht im Moment eine Polemik um Ausländer, insbesondere um Deutsche. Dies wurde auch in Deutschland konstatiert und in Fernsehsendungen thematisiert (siehe Link rechts). Hat sich das Bild der Schweiz in Deutschland verändert?

P. S. Kaul: Ich werde hier in Dresden immer wieder mal darauf angesprochen. Die Schweiz geniesst aber hier, in meinem Wirkungsbereich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, nach wie vor sehr hohes Ansehen.

Wenn ich darauf angesprochen werde, weise ich auf den Ausländeranteil in der Schweiz hin. Es ruft immer Erstaunen hervor, dass der Ausländeranteil über 20% beträgt. Hier in Sachsen spricht man von 3 oder 4%.

Diese Verhältniszahlen einander gegenüberstellend, versuche ich etwas Verständnis dafür zu wecken, dass es in der Schweiz auch Leute gibt, die Angst bekommen im Hinblick auf diesen doch recht hohen Ausländeranteil.

swissinfo.ch: Weshalb aber wird in der Schweiz gegenwärtig eine spezielle Kampagne gegen die Deutschen gefahren?

P. S. K.: Ich denke, das hat mit der wirtschaftlichen Situation zu tun. Jetzt sind auch die Arbeitslosenzahlen in der Schweiz gestiegen. Da werden Ängste geschürt, die dann von einzelnen als interessantes Thema aufgebracht werden, um etwas Stimmung zu machen.

Meiner Ansicht nach darf man das Thema grundsätzlich nicht aus den Augen verlieren, aber man sollte es anders angehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Schweiz mit den neuen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sich an den Tisch setzen sollte. Denn für Sachsen ist es ein Problem, dass es die in der Regel besten Mitarbeiter an die Schweiz verliert.

Und für die Schweiz ist es anscheinend ein Problem, dass zunehmend mehr Schweizer Angst bekommen vor einer so genannten Überfremdung.

swissinfo.ch: Können Sie sich denn mit Art der Kampagne in der Schweiz einverstanden erklären? Da werden etwa die deutsche Bundeskanzlerin Frau Merkel und Finanzminister Schäuble auf Plakaten als Bankräuber dargestellt.

P. S. K.: Das ist eine Frage des Stils. Und dieser Stil entspricht nicht meinem eigenen.

swissinfio.ch: Obwohl Sie sich zu zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) bekennen, die diesen Stil verfolgt?

P. S. K.: Die Entscheidung meiner Parteizugehörigkeit habe ich mal gefällt. Ich stehe nach wie vor zu den Grundsätzen der SVP. Aber bei der einen oder anderen Ausführung habe ich schon meine Probleme.

Ich sage aber nicht: Das ist nicht mehr meine Partei, ich wechsle. Das steht für mich überhaupt nicht zur Diskussion. Im Gegenteil, ich möchte mein Gedankengut gerade erst recht einbringen.

Ich suche bei all meinen Projekten das Gemeinsame, nicht das Trennende. Damit fährt man mittel- und langfristig immer besser.

swissinfo.ch: In der Zürcher SVP sucht man aber nicht das Gemeinsame, sondern eher das Trennende, wie die Kampagne gegen deutsche Akademiker zeigt.

P. S. K.: Vielleicht sollte man mal anschauen, wie viele Schweizer Professoren an deutschen Universitäten lehren. Ich denke liberal und bin der Ansicht, dass die Universitäten ihre hohen Ansprüche nur mit den besten Leuten befriedigen können.

Und wenn die Wahl auf einen Deutschen fällt, dann liegt das in der Entscheidung des jeweiligen Instituts. Da sollte sich der Staat möglichst raushalten.

Es gibt ja nicht einfach DEN Deutschen. Die Deutschen sind so vielfältig wie der Schweizer auch. So haben auch die Oberwalliser und die Basler nicht so viele Gemeinsamkeiten. Und so gibt es eben auch Unterschiede zwischen einem Bayern und einem Norddeutschen, da liegen Welten dazwischen.

Die Sachsen zum Beispiel sind uns Schweizern eigentlich sehr ähnlich. Eher zurückhaltend, nicht forsch im Auftreten. Sie entsprechen also nicht dem Klischee, das die Schweizer häufig von den Deutschen haben. Aus diesem Grund versteht sich zum Beispiel der Schweizer mit dem Sachsen sehr gut.

Ich zähle mich in Deutschland zu den Integrierten, obwohl ich natürlich meine Wurzeln habe und diese keine Sekunde leugnen würde.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielen die unterschiedlichen politischen Systeme?

P. S. K.: In Deutschland glaubt man, das System Schweiz zu kennen. Aber der Unterschied zwischen der direkten Demokratie in der Schweiz und der indirekten in Deutschland wird immer grösser. Und die Unkenntnis darüber ebenfalls.

Man kann sich in Deutschland gar nicht mehr vorstellen, dass die Schweizer so direkt Einfluss nehmen können auf das politische Leben. Denn die Deutschen können alle vier, fünf oder sechs Jahre wählen gehen, auf der kommunalen, der Bundeslands- und auf der Bundesebene.

So löst die Tatsache, dass wir in der Regel alle drei Monate zu Sachfragen an die Urne gerufen werden, Erstaunen aus.

swissinfo.ch: Ist es nicht bedenklich, dass Direktdemokratisches vor allem von rechtsextremen Parteien in Deutschland aufgenommen wird? So wie etwa von der rechtsradikalen NPD, welche der Minarettinitiative lauten Beifall gezollt hat.

P. S. K.: Die NPD ist eine Partei, die in die Systematik von Deutschland eingebunden ist. Sie ist aus meiner Sicht schon deshalb nicht mit gewissen Randgruppierungen zu vergleichen in der Schweiz. Auch das Thema wird ganz anders aufgebaut, angefasst und bearbeitet.

Die Schweiz muss sich bewusst werden, dass die Diskrepanz zwischen indirekter und direkter Demokratie je länger je mehr erklärungsbedürftig wird. In der Schweiz hat das Volk die höchste Kompetenz, nicht die Regierung. Das ist in Deutschland nicht vorstellbar.

swissinfo.ch: Müsste die Schweizer Regierung mehr Anstrengungen in aufklärerischer Hinsicht unternehmen?

P. S. K.: Eindeutig, ja. Die Zeiten sind vorbei, wo wir in der Schweiz ein isoliertes Eigenleben führen können. Mit der Bildung der EU hat man gemeint, der Kontakt mit einem einzelnen EU-Land sei nicht mehr so wichtig. Das ist falsch. Es zeigt sich, dass der Erklärungs- oder Kontaktbedarf nicht kleiner geworden ist, sondern zugenommen hat.

Hier kann man verstärkt die Auslandschweizer einbeziehen. Denn fast jeder zehnte Schweizer lebt ja im Ausland. Wir sind zwar auch nicht homogen. Aber viele Auslandschweizer engagieren sich heute schon in unterschiedlichsten ehrenamtlichen Funktionen in Schweizer Vereinen.

Dieses Netzwerk könnte man für die Schweiz noch effizienter gestalten.

Etienne Strebel, swissinfo.ch

1956 in Zürich geboren

Dipl. Kaufmann (techn. Kaufmann VSH)

Verheiratet, 4 Kinder

Seit 1987 selbständig

Seit 1991 in Sachsen unternehmerisch tätig

Seit 1996 Gründungs- und Vorstandsmitglied, des SDWC (2000 – 2008 Präsident), seit 2008 Schirmherr des SDWC (Schweizerisch-Deutscher-Wirtschaftsclub in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen)

Seit 2004 Mitglied im Schweizer Verein Dresden

Seit 2005 Auslandschweizerrat (ASR)

Seit 2007 Schweizerischer Honorarkonsul in Dresden für den Freistaat Sachsen

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