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“Rütli der Frauen” feiert 50 Jahre Frauenstimmrecht

Katharina Zenhäusern: Sie legte 1957 den ersten Stimmzettel einer Frau in die Urne. Keystone

Am Samstag vor 50 Jahren waren in Unterbäch zum ersten Mal Schweizer Frauen an die Urne gegangen. Der damals illegale Akt war auch ein Medienereignis.

An der Jubiläumsfeier im kleinen Walliser Bergdorf pries alt Bundesrätin Ruth Dreifuss den Kampf für das Frauenstimmrecht als die “grösste und friedlichste Revolution des 20. Jahrhunderts”.

Das Oberwalliser Bergdorf Unterbäch hat am Samstag den 50. Jahrestag der ersten Schweizer Abstimmung mit Frauenbeteiligung gefeiert. Elisabeth Kopp und Ruth Dreifuss, die als erste Frauen in die Schweizer Regierung (Bundesrat) gewählt worden waren, forderten an der Erinnerungsfeier fortgesetzte Anstrengungen in der Gleichstellungspolitik.

Die beiden Politikerinnen lobten in ihren Reden die Unterbächerinnen und Unterbächer für den Mut, den sie beim Urnengang vom 3. März 1957 bewiesen hatten.

Der Zeit und dem Land weit voraus

“Ich war zuerst wenig begeistert von der Idee meines Mannes, dass das Zivilschutz-Obligatorium auch für Frauen gelten soll”, erinnert sich die 87-jährige Katharina Zenhäusern.

Ihr Gatte und damaliger Gemeindepräsident Paul Zenhäusern und Peter von Roten, der mit der feministischen Autorin Iris von Roten verheiratet war, vertraten damals die Ansicht, dass Männer nicht “allmächtig” seien.

Das habe teils scharfe Reaktionen ausgelöst, so Katharina Zenhäusern. Die Frauen, die damals zur Urne gingen, mussten sich diverse Schimpfworte anhören. “Es brauchte Mut”, sagt sie, die als erste Frau im Land einen Stimmzettel einlegte. Nur 32 von 84 Frauen wagten den Schritt.

Die Vorlage wurde abgelehnt, in Unterbäch ebenso wie in der ganzen Schweiz. Der illegale Akt von Unterbäch aber löste ein grosses Echo aus, in der Schweiz wie im Ausland. Sogar die New York Times berichtete darüber.

Kein Ruhmeskapitel der alten Demokratie

Es war der Gemeinderat gewesen, der damals den Frauen das Stimmrecht auf eidgenössischer Ebene erteilte. Bund und Kanton Wallis waren dagegen, mit der Bundesverfassung im Rücken. Als eines der letzten Länder führte die Schweiz Frauenstimmrecht 1971 ein – wahrlich kein Ruhmesblatt für die selbsternannte Hüterin der Demokratie.

Nur dank solchen Menschen und derartigen symbolträchtigen Aktionen sei die Gleichstellung von Mann und Frau – “der grössten und friedlichsten Revolution des 20. Jahrhunderts” – möglich geworden, anerkannte Ruth Dreifuss. Mit dem Lob war auch Katharina Zenhäusern und ihr verstorbener Mann gemeint.

Kopps Erinnerungen

Elisabeth Kopp erinnerte ihrerseits daran, dass gerade in der Politik der Weg noch lang sei. Von drei Alt-Bundesrätinnen habe nur Ruth Dreifuss ihren Rücktritt freiwillig einreichen können. Auch in den Kantonen sei bei den Frauen der Anteil von nicht Wiedergewählten viel höher als bei Männern.

Kopp selbst war 1989 nach starkem Druck aus Medien und Politik zurückgetreten. Zuletzt war Ruth Metzler vor vier Jahren vom Parlament nicht mehr als Bundesrätin bestätigt worden.

In ihrer Festrede ging sie auf einige Fehler ein, die Frauen aus ihrer Sicht in der Politik immer wieder begehen. Frauen seien zu oft Einzelkämpferinnen und würden zu wenig in Netzwerken arbeiten, sagte Kopp. “Ich beispielsweise habe es kunstvoll verstanden, alle Seiten gegen mich aufzubringen.”

Plädoyer für mehr Engagement

Auch wenn die Politik gerade für Frauen immer noch ein hartes Geschäft sei, wäre Politikabstinenz der Frauen ein Fehler. “Ich wünsche mir vielmehr Menschen, Männer und Frauen, die sich wieder vermehrt für die Gemeinschaft engagieren”, sagte Kopp weiter.

Kopp und Dreifuss betonten ebenfalls, dass “Politisieren” eine lustvolle Angelegenheit sei, die viel Befriedigung bringe. Gerade das Beispiel aus Unterbäch zeige, wie mit Phantasie und Kreativität politischen Ideen zum Durchbruch verholfen werden könne, so Dreifuss. Die Gleichstellung zwischen Mann und Frau sei aber auch heute noch nicht erreicht.

1.-August-Einladung angenommen

Ursula Wyss, Präsidentin der sozialdemokratischen Fraktion im Schweizer Parlament, sprach in diesem Zusammenhang von einem nie abgeschlossenen Prozess. “Immer wieder muss Gleichberechtigung erkämpft werden”, sagte die Nationalrätin aus Bern.

Die Feier in Unterbäch, an der auch Thomas Burgener, der Präsident der Walliser Regierung, teilnahm, bildet den Auftakt zu einem eigentlichen Jubiläumsjahr. Ende Juli lädt das oberhalb von Raron gelegene Bergdorf die Schweiz zu einem Volksfest. Am 1. August wird Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey die Gemeinde auf 1200 Metern über Meer mit einem Besuch beehren.

swissinfo und Agenturen

Die Gleichstellung von Frau und Mann wurde 1981 in der Bundesverfassung festgeschrieben.
Das Gleichstellungsgesetz (Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau) ist seit 1996 in Kraft.
Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen wurde 1976 ins Leben gerufen.
Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann wurde 1988 vom Bundesrat eingesetzt.
Am 14. Juni 1991 kam es zum landesweiten Frauenstreiktag.

Das erste feministische Bündnis, das zivile Rechte und das Recht auf den Zutritt zu Universitäten forderte, wurde 1868 gegründet. Es gab auch Stimmen, welche das Frauenstimmrecht bereits in der Verfassung von 1874 festhalten wollten.

1929 forderten 250’000 Schweizerinnen und Schweizer in einer Petition erfolglos die Einführung des Frauenstimmrechts.

1957 führte die kleine Gemeinde Unterbäch im Kanton Wallis das Frauenstimmrecht ein. Diesem Beispiel folgten schliesslich weitere Gemeinden und auch Kantone. In den 1960er-Jahren waren deshalb immer häufiger Frauen in kantonalen und kommunalen Parlamenten und Regierungen anzutreffen.

Am 7. Februar 1971 war es endlich so weit: Die Schweizer Männer sagten mit Zweidrittelsmehrheit Ja zum Frauenstimmrecht.

Die Verwirklichung der Gleichstellung von Frau und Mann bedingt die Anpassung der rechtlichen Grundlagen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist Folgendes erreicht worden:

– Verfassungsartikel “Gleiche Rechte für Mann und Frau” (1981)
– Neues Eherecht (1988)
– Neues Bürgerrechtsgesetz (1992)
– Gleichstellungsgesetz (1996)
– 10. AHV-Revision (1997)
– Neues Scheidungsrecht (2000)
– Erwerbsersatz bei Mutterschaft (2005)

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