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“Schwyzer misioneros”

Die Casa Suiza in Oberà. Keystone

Tausende von Schweizern sind einst nach Misiones ausgewandert, eine argentinische Provinz an der Grenze zu Brasilien und Paraguay.

Viele kehren gelegentlich in ihre Heimat zurück, um zu arbeiten und so ihre freiwilligen AHV-Beiträge bezahlen zu können.

Ihr Name lautet “misioneros”. So werden in Argentinien die Bewohner der nördlichen Provinz Misiones bezeichnet. An diesem Ort sind noch die Ausläufer von jesuitischen Bemühungen zu spüren, die für die Indios eine christliche und solidarische Gesellschaft aufbauen wollten.

Fast alle Bauern, die hier den Tee “hierba mate” anbauen, drücken in irgendeiner Weise ihre Schweizer Wurzeln aus: Durch die Sprache, die Kultur, die Arbeit, ihre Lebensphilosophie oder ihre Art und Weise, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten anzugehen, mit denen sich Argentinien im Moment konfrontiert sieht.

Diese Qualitäten werden auch von den argentinischen “misioneros” anerkannt. Für Anibal Vogel, den Gemeindepräsidenten von Ruiz de Montoya, einem wichtigen Ort der Deutschschweizer Emigration, “ist unserer Gemeinschaft dank der Schweizer wesentlich aktiver als andere in der Provinz oder im Land.” Der Bürgermeister ist selbst ein Nachfahre deutscher Auswanderer, die am Ende des 19.Jahrhunderts über Brasilien nach Argentinien kamen.

Die Schweiz als Mehrwert

Bei der konsularischen Vertretung für die Provinz Misiones sind rund 2500 Schweizer Bürger registriert. Die Zahl der Nachkommen von Schweizern, die die Staatsbürgerschaft der Eidgenossenschaft verloren haben und rein rechtlich nur Argentinier sind, beläuft sich auf 10-15’000 Personen.

Schegg, Zimmermann, Muster, Bürki, Schweri, Moor, Weber, Glocker, Kluser, Flücliger, Meyer, Schäffer, Herzog, Trümpler, Kohli, Scherer: So lauten einige der Nachnamen der Schweizer “misioneros”.

Viele von ihnen oder auch ihre Eltern mussten die Heimatdörfer in den Kantonen Luzern, Thurgau, Aargau und Freiburg verlassen, weil die Schweiz in den 20-er ,30-er und 40-er Jahren nicht so reich und wohlhabend war, wie wir sie heute kennen.

Im Vergleich zur Heimat fanden die helvetischen Emigranten in Misiones viel Ackerland vor. Das Land hat man unter enormen Anstrengungen dem subtropischen Wald abgewonnen (dies zeigen die Video-Aufzeichnungen).

Erziehung und Ausbildung

In Misiones fanden sie Arbeit und ausreichend Land, um die Familie zu ernähren. Doch es fehlten Schulen. Dabei ist die Schulausbildung für die Schweizer ein fundamentales Gut.

Im Gegensatz zu anderen ethnischen Gruppen konnten die Schweizer Auswanderer lesen, schreiben und rechnen.

Der Traum einer qualitativ hochstehenden Schul- und Berufsausbildung sollte 1962 in Erfüllung gehen. In diesem Jahr wurde das Institut Linea Cuchilla eingeweiht, eine Technik- und Landwirtschaftsschule, deren Gründung durch den evangelischen Pastor Jorge Bäschlin und Alberto Roth vorangetrieben worden war.

Das Institut Linea Cuchilla feiert inzwischen den 40. Jahrestag der Gründung. Es handelt sich um ein positives Modell im Vergleich zum Chaos, das die öffentliche Schule Argentiniens erfasst hat.

Mehr als 400 Schülerinnen und Schüler besuchen dieses Institut. Der Apparat an Verwaltungsleuten und Lehrkräften beträgt siebzig Personen. Ihre Erziehungs-Philosophie beruht auf den Werten des Studiums, der Arbeit, des Respekts und der Solidarität.

Albtraum AHV

Der Traum vom grünen Gold verwandelt sich aber zusehend in einen Albtraum. Die ökonomische Krise Argentiniens hat verheerende Auswirkungen auf Löhne und Einkommen.

Die 37-jährige Ursula Schegg ist Primarlehrerin an einer staatlichen argentinischen Schule und Mutter von vier Kindern. Ihre Situation ist emblematisch für viele Schweizer.

Ihr Monatslohn beträgt 180 Pesos. Dies entspricht 65 Schweizer Franken. Das Minimum für die AHV beträgt 756 Franken im Jahr. “Um auf diesen Betrag zu kommen, müsste ich das ganze Jahr arbeiten”, erklärt Schegg.

Der Bauer Walter Glocker (46, zwei Kinder) muss hingegen 50 Hektaren oder 500’000 Quadratmeter mit “hierba mate” beackern, um die Beiträge für sich und seine Frau bezahlen zu können.

Für den fünffachen Familienvater Miguel Kluser (45) bezahlt die Mutter die AHV-Beiträge; aus der Rente von 1030 Franken monatlich, die sie aus der Schweiz erhält. “Dies ist keine Lösung. Ich kann doch nicht ewig von meiner Mutter abhängen, um die Mindestsätze für die freiwillige AHV zu bezahlen.”

Würde zeichnet auch heute noch die Argentinien-Schweizer aus. Und dies, obwohl unsere “emigrierten Brüder” wirtschaftlich einen wirklich schwierigen Moment durchleben.

Sergio Regazzoni, swissinfo, Sonderkorrespondent in Argentinien
(Übertragung aus dem Italienischen von Gerhard Lob)

Gut 2500 Schweizer leben in Misiones
10’000 bis 15’000 Personen sind Schweizer Abstammung
Die Emigration erfolgte zwischen 1920 und 1940
Herkunftskantone: Luzern, Thurgau, Aargau, Basel, Freiburg

Die Situation für Schweizer in Argentinien ist sehr schwierig.

Eines der Hauptprobleme ist es, die Mindest-Beiträge für die freiwillige AHV nicht bezahlen zu können.

Der Mindestsatz beträgt 756 Franken im Jahr. Dies entspricht dem Jahreslohn einer Primarlehrerin.

Um diesen Mindestansatz bezahlen zu können, muss ein Bauer mindestens 250’000 Quadratmeter Land kultivieren

Einige arrangieren sich dank der AHV-Mindestrente ihrer Eltern. Diese beträgt monatlich 1030 Franken.

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