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Eva Witschi: Unbezahlbare berufliche Erfahrungen in London

Bevor sie später einmal in die Schweiz zurückkehren und hier Kinder grossziehen möchte, will die 25-jährige Eva Witschi sich "etwas in der grossen weiten Welt austoben". Mit ihrem 26-jährigen Partner lebt sie seit 2016 in Grossbritannien, wo sie ihre berufliche Karriere in der Werbebranche trotz Brexit nicht gefährdet sieht.

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swissinfo.ch: Warum haben Sie die Schweiz verlassen?

Eva Witschi: Ich habe die Schweiz im Juli 2016 zusammen mit meinem langjährigen Partner verlassen. Es war lange ein Traum von uns beiden gewesen, länger im Ausland zu leben, und weil wir in ein englischsprachiges Land gehen wollten, lag Grossbritannien am nächsten. Wir haben ein Jahr in Birmingham gewohnt und sind im September 2017 nach London gezogen.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten, unter anderem zum Gastland und über dessen Politik, sind ausschliesslich jene der porträtierten Person und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

Ich schliesse nicht aus, dass ich in ein paar Jahren wieder in die Schweiz zurückkehren werde, aber vorerst will ich mich noch etwas in der grossen weiten Welt austoben.

In der Schweiz habe ich mich etwas in einer Sackgasse gefühlt, weil ich nicht wusste, was ich beruflich machen wollte. In GB habe ich Masterkurse gefunden, die es so in der Schweiz nicht gibt. Sie sind mehr kreativ, angewandt und internationaler, was die Studenten angeht. Ich hatte die Möglichkeit, mit führenden internationalen Werbeagenturen zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen. Eine Möglichkeit, die ich in der Schweiz nie gehabt hätte.

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swissinfo.ch: Welcher Arbeit gehen Sie nach? Wie kam es dazu, wie läuft es?

E.W.: Ich habe am 1. September 2017 meine Masterarbeit in “Future Media:PRO” an der Birmingham City University abgegeben und fünf Tage später als Media Activation Executive bei Essence, einer internationalen Medienagentur, in London angefangen. Ich bin im Moment im “Paid Social Team”, sprich, ich mache digitale Werbungen für internationale Kunden auf verschiedenen Sozialen Medien, unter anderem für den deutschen und französischen Markt.

Es läuft sehr gut, meine Kollegen sind alle sehr herzlich und aufgeschlossen. Jeden Freitag gibt es ab 4 Uhr Bier und Wein zum Arbeiten (das kann wohl nur in GB passieren); Jeden Dienstagabend gibt’s Yoga für jene, die interessiert sind.

Erstaunlicherweise ist die Arbeitswoche kürzer als in der Schweiz mit 40 Stunden, allerdings gibt es hier keine bezahlten Überstunden. Das macht mir aber nichts aus, weil ich dafür unbezahlbare Erfahrungen machen kann, die ich in der Schweiz so vielleicht nicht machen könnte.

swissinfo.ch: Wo genau leben Sie gegenwärtig? Und wie ist das Leben, die Küche in London?

E.W.: Seit September 2017 wohnen wir in HackneyExterner Link in Nordost-London, ein sehr kreatives, lebhaftes Quartier. Wir teilen eine Dreizimmerwohnung mit einem Paar aus Spanien und Kolumbien. Ich fahre jeden Tag 40 Minuten mit dem Velo zur Arbeit, was mir eine heisse und gestopfte “Tube”-Reise erspart und mich fit hält.

Wenn wir Lust haben, auswärts zu essen, haben wir eine riesige Auswahl an verschiedenen Küchen aus der ganzen Welt. Am Wochenende können wir Museen, kulturelle Anlässe oder Feste besuchen, die wir in der Schweiz nie antreffen würden.

Man kann in London fast alles machen, worauf man Lust hat, man muss nur wissen, wo suchen. Nicht weit von hier gibt es sogar einen Bauernhof mitten in der Stadt, wo man Tiere streicheln kann.

Was mich am meisten erstaunt hat ist, dass London (oder zumindest Hackney) ökologischer ist als Birmingham. Wir können hier nicht nur den Abfall trennen, sondern haben sogar einen Kompost – in einer Millionenstadt! Wenn es London schafft, sollte das doch jeder können.

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swissinfo.ch: Was ist in Grossbritannien attraktiver als in der Schweiz? Was ist der grösste Unterschied zur Schweiz?

E.W.: Für mich sind die Grösse und die kulturelle Durchmischung der grösste Unterschied, und das Attraktivste sind die beruflichen Möglichkeiten. London ist die Werbehauptstadt, hier ist die Rolle des “Strategists” entstanden, das ist jene Rolle, auf die ich zusteuere. Weil London eine Weltstadt ist, sind unzählige Unternehmen wie auch Werbeagenturen hier tätig, was es für mich sehr spannend macht.

Andererseits ist die Schweiz attraktiver wegen ihrer Sicherheit, was sicherlich auch auf die Grösse zurückzuführen ist: Sicherheit, was das tägliche Leben angeht. Ich rechne in der Schweiz nicht damit, nicht mehr aus dem Tram auszusteigen. In London könnte es eher sein, dass man nicht mehr aus der U-Bahn aussteigt, weil es vielleicht einen Anschlag gibt. Sicherheit, auch was die Gesundheit und Versicherungen angeht.

swissinfo.ch: Wie denken Sie aus der Ferne über die Schweiz?

E.W.: Die Schweiz ist ein Palast im Herzen Europas, meine Heimat, ein “Safe Haven”, in den ich sehr wahrscheinlich in ein paar Jahren zurückkehren werde, weil ich auch will, dass meine Kinder in einem Palast aufwachsen können.

Ich glaube nicht, dass die Leute in der Schweiz realisieren, dass sie in einem Palast wohnen. Wenn man etwas Distanz erhält, wird einem bewusst, wie kostbar es ist, so behütet aufgewachsen zu sein; wie wenig man für die Uni bezahlen muss und wie kurz die Velofahrten und Gehstrecken sind.

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Das Londoner Hochhaus “The Shard”.

swissinfo.ch: Wie ist die politische Lage in Grossbritannien, besonders jetzt nach dem Entscheid, die EU zu verlassen?

E.W.: Ich bin gespannt, was tatsächlich passieren wird, wenn der Brexit durchgesetzt wird. Bis jetzt hört man nur Spekulationen über die Auswirkungen, aber niemand scheint zu wissen, was es wirklich bedeuten wird.

Ein paar Wochen, bevor wir aus der Schweiz weggezogen sind, wurde der Brexit-Entscheid angenommen, was nicht sonderlich ermutigend war für uns. Aber schliesslich waren uns alle wohlgesinnt.

swissinfo.ch: Wie sehen Sie Ihre Zukunft in Grossbritannien nach dem Brexit-Entscheid?

E.W.: Ich glaube, dass unser Status hier nicht gefährdet ist, weil wir beide arbeiten und schon seit einer Weile hier sind. Ich kann mich jedoch täuschen, aber vorläufig glaube ich nicht, dass sich viel ändern wird. Ich bin eher gespannt, was es für Grossbritannien bedeutet, und ob es mit der Wirtschaft bergab gehen wird.

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Eva Witschi (Mitte) mit Kusinen.

swissinfo.ch: Nehmen Sie an Schweizer Wahlen und Abstimmungen teil? Per Brief oder E-Voting?

E.W.: Ich habe in diesem Jahr nur eine Abstimmung verpasst, sonst habe ich immer per Brief oder E-Voting abgestimmt.

swissinfo.ch: Was vermissen Sie von der Schweiz am meisten?

E.W.: Cervelat, Paprikachips von Zweifel, Thomy Mayonnaise und Schokolade. Natürlich auch meine Freunde und Familie, aber zum Glück sind wir nicht allzu weit weg, so dass wir regelmässig in die Schweiz gehen können oder Besuch bekommen.

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Eva Witschi mit ihrem Partner.

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