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“Wir leisten hier Knochenarbeit”

Gegen das Minarettverbot demonstrieren ist genauso ein Menschenrecht, wie das Aufhängen von Plakaten, die für ein Minarettverbot werben. Keystone

Ist das Verhältnis zwischen Politik und Menschenrechten nach der Annahme der Anti-Minarett-Initiative und vor der Abstimmung zur Ausschaffungsinitiative angekratzt? Das Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Uni Zürich versucht, die Wogen zu glätten.

Prof. Dr. Christine Kaufmann, Leiterin des in diesem Herbst gegründeten Kompetenzzentrums für Menschenrechte der Universität Zürich, erklärt, weshalb die Gesellschaft, einschliesslich Politik und Wirtschaft, darauf angewiesen ist, dass die Menschenrechte eingehalten werden.

swissinfo.ch: Sie verstehen sich als Transferplattform, um das bestehende Wissen im Bereich der Menschenrechte auch der Politik und damit letztlich der ganzen Gesellschaft zu erschliessen. Bitte erläutern Sie Ihre Arbeit in diesem Sektor an der kürzlich vom Schweizer Volk angenommenen Anti- Minarett-Initiative.

Christine Kaufmann: Wir wollen einerseits die rechtliche Situation erklären. Warum hat die Schweiz jetzt ein rechtliches Problem? Wir haben bei der Anti-Minarett-Initiative ganz klar ein Problem mit der europäischen Menschenrechtskonvention, das ist der rechtliche Teil. Das kann man nicht wegdiskutieren.

Im zweiten wichtigen Bereich zeigen wir, dass das Problem eben nicht nur rechtlicher Natur ist. Wir haben auch ein Problem mit der Integrationspolitik in der Schweiz, die offensichtlich für diejenigen Personen, die der Initiative zugestimmt haben, so nicht stimmt.

Unser Beitrag ist zu untersuchen, was eigentlich die Probleme sind. Es ging ja fast niemandem einfach um die Minarette. Worum geht es denn dann?

So laden wir zu einem runden Tisch ein mit allen Akteuren und versuchen, Wege zu skizzieren.

Das wird viel Zeit brauchen, denn wir müssen sowohl das rechtliche wie das integrationspolitische Problem angehen. Wir fragen uns, warum diese Situation entstanden ist. Was für Wege gibt es, um da wieder heraus zu finden?

Auf jeden Fall ist das Knochenarbeit, die hier geleistet werden muss. Dafür ist das Zentrum ein guter Ort, weil es neutral ist, losgelöst von politischen Parteien.

swissinfo.ch: Fühlen Sie sich von den politischen Parteien akzeptiert? Auch von jenen, die zum Teil mit Argumenten hantieren, dass man aus einer Menschenrechtskonvention austreten sollte, wenn sich ein Abstimmungsresultat nicht vereinbaren lässt mit den entsprechenden Konventionen?

C. K.: Wir setzen uns für die Menschenrechte ein. So wie die Schweizer Bundesverfassung das auch macht. Das stösst halt nicht bei allen Parteien auf Gegenliebe. Wir haben aber sehr bewusst die Diskussion sachlich geführt. Es ist ja nicht so, dass die Personen, die der Initiative zugestimmt haben, sich nichts dabei gedacht haben.

Unser Ansatz ist, das Problem ernst zu nehmen, und es menschenrechtskonform zu lösen. Ich würde behaupten, wir haben Unterstützung aus allen Parteien. Sicher haben wir Probleme mit extremen Teilen in gewissen Parteien. Aber das haben alle, die das Wort Menschenrechte überhaupt schon in den Mund nehmen.

swissinfo.ch: Auch Menschrechte und Wirtschaft gehören zueinander. Haben Sie in diesem Bereich auch Aufgaben?

C. K.: Wir werden von Unternehmen kontaktiert, die Probleme haben, weil sie z. B. in einem Land tätig sind, in dem Menschenrechte verletzt werden. Sie möchten sicherstellen, dass sie nicht zu weiteren Verletzungen beitragen.

Darauf untersuchen wir, wo im Produktionsablauf Menschenrechtsverletzungen auftreten können. Denn ein Abteilungsleiter muss zum Beispiel ganz konkret wissen, was das Verbot der Kinderarbeit genau beinhaltet. Sind Kinder von der gesamten Produktion fernzuhalten, oder sind nur bestimmte Tätigkeiten verboten?

Im Zentrum haben wir sowohl Juristen wie Personen, die vom wirtschaftlichen Umfeld viel verstehen. Es braucht eine gewisse Lust, sich damit auseinander zu setzen, was ein bestimmtes Unternehmen genau macht. Personen, die sich für Menschenrechte und Wirtschaft gleichermassen interessieren, sind noch recht selten.

swissinfo.ch: Engagiert sich das Kompetenzzentrum auch im Ausland?

C. K.: Wir haben zum Beispiel ein internationales Projekt in Kambodscha. Junge Juristinnen und Juristen unserer Fakultät sind vor Ort und beobachten den Prozess um die Verbrechen der Roten Khmer am Strafgerichtshof.

Sie beobachten, ob das Verfahren in Kambodscha nach rechtlichen Regeln abläuft. Ganz wichtig ist auch die Frage, ob dieses Verfahren den Betroffenen eigentlich gerecht wird.

Dafür haben wir uns mit Psychologen zusammengetan und von ihnen gelernt, was in einer Person vorgeht, die solche schrecklichen Verbrechen am eigenen Leib erlebt hat.

Weiter wollen wir Ideen entwickeln, wie ein Verfahren aussehen sollte, das diesen traumatisierten Personen gerecht wird. Es soll ihnen einerseits besser gehen, aber das Verfahren soll trotzdem fair ablaufen. Das ist sehr schwierig, aber auch sehr spannend.

Es gibt auch ganz wichtige Fragen in der Schweiz. Zum Beispiel im Polizeibereich. Wie kann man sicherstellen, dass Polizisten mit sehr schwierigen Situationen umgehen können. Dass sie zum einen, wenn ich das jetzt salopp formuliere, nicht ausflippen, zum andern aber auch selber gesund bleiben wenn sie in eine schwierige Situation geraten. Zusammen mit Juristen und Psychologen können Polizistinnen und Polizisten lernen, mit solchen Herausforderungen umzugehen und gleichzeitig rechtsstaatliche Verfahren anzuwenden.

Ein weiteres Beispiel: Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat kürzlich einen Bericht über die Schweiz verabschiedet. Wir sind nun dabei, zuhanden von Kantonen und anderen betroffenen Kreisen zu erläutern, wo genau die konkreten Probleme liegen, und welche Schritte vom UNO-Ausschuss erwartet werden.

swissinfo.ch: In der Gesellschaft werden Menschenrechte oft als “graue Theorie” betrachtet. Viele Menschen in der Schweiz fühlen sich von diesem Thema überhaupt nicht betroffen. Haben sie recht?

C. K.: Minarette sind jetzt plötzlich ein Menschenrechtsproblem. Aber die Plakate waren auch eine Menschenrechtsfrage. Das Recht, dass ich ein provozierendes Anti-Minarett-Plakat aufhängen darf, ist auch ein Grundrecht.

Viele Menschen in diesem Land realisieren gar nicht, wie stark die Menschenrechte ihr eigenes Leben prägen. Sie betrachten es als Selbstverständlichkeit, dass wir sagen können, was wir denken.

Und wenn ich eine Busse erhalte, weil irgendjemand behauptet, ich hätte am Steuer telefoniert, kann ich das anfechten. Auch dieses Recht ist letztlich ein Ausfluss der Menschenrechte.

Demokratie und Menschenrechte werden momentan in der öffentlichen Diskussion als Gegensätze dargestellt, als ob sie auf Kollisionskurs stünden. Es ist wichtig, dass sich dieses unzutreffende Bild nicht in den Köpfen festsetzt. Wir leisten sicher einen Beitrag mit unserer Arbeit. Aber natürlich braucht es mehr.

Etienne Strebel, swissinfo.ch

An der Universität Zürich beschäftigen sich sehr viele Personen mit Menschenrechten, nicht nur Juristinnen und Juristen sondern auch andere Fachrichtungen, zum Beispiel Psychologen, wenn es etwa darum geht, wie gefolterte Personen zu behandeln sind.

Das Zentrum bringt diese Personen aus allen Fakultäten an einen Tisch.

Studium der Rechtswissenschaften in Zürich.

1987 bis 1991 Assistentin am Lehrstuhl für Völker- und Europarecht sowie Staats- und Verwaltungsrecht.

1990: Promotion gestützt auf die Dissertation zum Thema “Hunger als Rechtsproblem – völkerrechtliche Aspekte eines Rechtes auf Nahrung”.

1991-2000: Arbeit für die Schweizerische Nationalbank.
Herbst 2000 bis Ende 2001 Visiting Scholar an der University of Michigan Law School, USA.

Danach “Director of Legal Research” am World Trade Institute (WTI) der Universität Bern.

Seit September 2003 Ordinaria für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Universität Zürich.

Daneben ist Christine Kaufmann Member of the Board des WTI.

Forschungsschwerpunkte: Staatsrechtliche Auswirkungen der Globalisierung
Schnittstellen zwischen internationalem Handelsrecht und Menschenrechten
Verhältnis von internationalem Handels- und Finanzsystem.

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