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“Wohlstand hängt von unbezahlter Arbeit ab”

"Care Arbeit" wird vor allem von Frauen verrichtet. (cfd)

Ob Haushaltarbeit, Kinder aufziehen oder Pflege von Erwachsenen: Diese Arbeit wird weltweit vor allem von Frauen geleistet und schlecht bis gar nicht bezahlt. Frauennetzwerke haben diese "Care Ökonomie" in einer Länderstudie unter die Lupe genommen.

Alle haben Erfahrung im Versorgen und Pflegen, doch ist der Wirtschaftssektor “Care Ökonomie” weitgehend unerforscht. Diese Lücke will eine vom UNO-Forschungsinstitut für soziale Entwicklung (Unrisd) in Auftrag gegebene Studie schliessen.

Sie wurde in acht Ländern auf verschiedenen Kontinenten durchgeführt, darunter der Schweiz, und beleuchtet nicht nur die “Frauenarbeit”, sondern vielmehr die unterschiedlichsten Zusammenhänge von Geschlecht, Familie, Markt und Wirtschaft.

Schnellst wachsende Branche

Die Basler Ökonomin Mascha Madörin, Mitglied des Forschungsteams für die Unrisd-Studie, stellte in Bern erste Ergebnisse für die Schweiz vor. “Das Volumen der unbezahlten Arbeit betrug im Jahr 2004 hierzulande knapp 8500 Millionen Stunden, dasjenige der bezahlten Arbeit knapp 7000 Millionen Stunden. Es wird also in der Schweiz rund 20 Prozent mehr unbezahlte Arbeit geleistet als bezahlte”, sagte Madörin.

“Unser Wohlstand hängt von der unbezahlten Arbeit ab”, ist sie überzeugt. Die Bruttowertschöpfung durch unbezahlte Arbeit mache in der Schweiz über 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus. “Der Haushaltssektor ist also wirtschaftlich sogar bedeutender als der Dienstleistungssektor.” Zudem stelle die bezahlte Care Arbeit die am schnellsten wachsende Branche dar, ein Faktum, das in sozialpolitische und volkswirtschaftliche Überlegungen einfliessen müsse.

Zeit-arme Schweiz

Sie sei selbst überrascht, wie viel Arbeit Frauen in der Schweiz leisten, führte Mascha Madörin aus. Ins Gewicht fällt, dass für eine Vollzeitstelle in der Schweiz mehr gearbeitet werden muss als etwa in Frankreich, wo ein volles Pensum nur 35 Stunden pro Woche beträgt.

Hinzu kommt die unbezahlte Arbeit. Daten zu Care Arbeit gebe es kaum, nur wenige Untersuchungen über die Arbeitsteilung von Mann und Frau in den Haushalten.

Gefragt wäre das Umgekehrte

Der Arbeitsdruck auf Frauen in der Schweiz erhöhe sich zudem durchs Sparen der öffentlichen Hand in den Bereichen Bildung und Gesundheit, stellte Madörin fest. Das Umgekehrte wäre gefragt: Investitionen in die soziale Infrastruktur müssten ebenso gewichtet werden wie Investitionen in bauliche Infrastruktur. Dazu brauche es geschlechtergerechte Arbeitsplätze wie auch einen verbrieften Zugang zu sozialen Dienstleistungen.

Hier müsse der Staat mit Regulierungen eingreifen, folgerte Madörin. Denn der Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal sei gross, und dieser Markt dürfe nicht der Schwarzarbeit überlassen werden.

Umsetzung in Programmen

Die asymmetrische Verteilung der Care Arbeit auf Frauen und Männer ist weltweit ein Problem, wie Annemarie Sancar von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ausführte.

Spezialisiert auf Fragen der Geschlechterverhältnisse (“Gender-Fragen”) stellte Sancar fest, dass die Care Ökonomie eine zentrale Rolle etwa bei der ländlichen Entwicklung spiele. “Der verbesserte Zugang zu Wasser bringt Frauen einen Zeitgewinn, den sie in andere Aktivitäten investieren könnten.

Die Unrisd-Untersuchung, die auch in Argentinien, Indien, Japan, Nicaragua, Südafrika, Südkorea und Tansania durchgeführt wurde, liefere wichtige Informationen, die in die Planung der Programme eingebaut werden, sagte Sancar. Deshalb habe sich die Deza an der Finanzierung der Studie im Ausland beteiligt.

Keine staatliche Finanzierung

Für den Teil über die Schweiz fanden sich keine staatlichen Stellen, welche die Studie finanziert hätten.

Wie Mascha Madörin vom Forschungsteam für die Unrisd-Studie ausführte, war ihre Forschungsarbeit nur dank eines grosszügigen privaten Sponsorings möglich.

Viera Malach, InfoSüd/swissinfo.ch

Die Forschung zu den Dynamiken zwischen Geschlecht, Ökonomie und Entwicklung wird international seit längerem von Frauennetzwerken betrieben.

In der Schweiz haben Vertreterinnen aus Entwicklungsorganisationen und Wissenschaft jüngst die Plattform Wide Switzerland gegründet. Sie ist eine von zwölf nationalen Plattformen der “Women in Development Europe” (Wide), die zu laufenden globalen Debatten um Armutsbekämpfung, Entwicklung, (Frei-)Handelspolitik, UNO-Reform und Entwicklungsfinanzierung Stellung nehmen.

Die Geschäftsstelle von Wide Switzerland ist bei zwei angeschlossenen Institutionen untergebracht: Bei der Universität Bern am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung Izfg und bei der feministischen Friedensorganisation cfd.

Wide Switzerland organisiert vom 18.-20. Juni eine internationale Konferenz in Basel. Dort werden die Unrisd-Untersuchungen aus den acht Ländern präsentiert und Folgerungen für eine mögliche Umsetzung gezogen.

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