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1.5.1896 – Zur Eröffnung der schweizerischen Landesausstellung

Vor dreizehn Jahren fand in der alten Tonhalle zu Zürich der Eröffnungsakt der letzten Schweizerischen Landesausstellung statt. Im Namen des Organisationskomitees übergab Oberst Vögeli, damals schon kein Jüngling mehr, mit ernster gedankenreicher Rede die Schlüssel an den Vorsteher des Schweizerischen Landes- und Landwirtschaftsdepartements. Herrn Bundesrat Droz. In seiner Antwort berührte dieser Gegensätze der Interessen und Anschauungen, die zum Teil heute noch in wenig geminderter Kraft fortbestehen. Der neuen aus der deutschen Schweiz heraus inaugurierten Politik der Kampfzölle gegenüber pries er die Segnungen des Freihandels und der freien Konkurrenz; die Berechtigung einer massvollen Sozialpolitik anerkennend, legte er Bewahrung ein gegen die Tendenz, die schöpferische Privatinitiative durch eine allgemeine Staatsfürsorge ersetzen zu wollen; er tadelte jene Richtung, die durch wohlsheile und und edle Nachahmung dem heimischen Gewerbe und unserer Industrie zu nützen glaubte und forderte als allein würdig und nachhaltig zum Guten dienend den Schutz der Erfindungen.

In dem dritten Punkte hat der Sprecher von 1883 rasch Recht bekommen und die Opposition, die sich vor dreizehn Jahren noch gewaltig regte, ist völlig verstummt. Die Zollpolitik aber ging auf der Bahn weiter, die ihr in der Ostschweiz gewiesen worden und Herr Droz hat ihr selbst eine loyale Unterstützung angedeihen lassen, die unsere Kaufleute in hohem Masse zu schätzen wissen. Der Streit um die Einmischung des Staates in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen ist heute noch nicht entschieden, aber es ergeht weniger um das Prinzip, als um das Mass und die Mittel. So war es im Grunde schon im Jahre 1883, und auch die Gruppierung hat sich nur unwesentlich verändert. Die romantische Westschweiz neigt zum Individualismus und hält strenger und ähnlicher an den Lehren des wirtschaftlichen, sogenannten stattlichen Liberalismus fest; die Deutschschweiz wohl gleichfalls theoretisch den Freihandel vor, aber sie dessen Wohl uns allen am Herzen liegt, nur zum Segen erreichen.“


Nicht weil wir es für nötig hielten, den Eifer der Zürcher und Deutschschweizer für die Landesausstellung in Genf anzustacheln, führen wir diese Worte unseres verstorbenen Freundes F. Freh an – die Genfer Ausstellung war bei uns von Anfang an populär, die Zahl ostschweizerischer Besucher wird es zeigen – aber wir frischen gern dankbar und zu unserer eigenen Befriedigung die Erinnerung an das Wohlwollen auf, das Genf und Lausanne vor einem Dutzend Jahren dem grossen Unternehmen Zürichs bewiesen und dann sind ja die Verhältnisse, aus denen heraus die angeführten Sätze geschrieben wurden, so sehr den gegenwärtigen ähnlich, dass mutatis mutandis heute nichts gesagt werden könnte, was besser und wahrer wäre.

Die Genfer Ausstellung wird an Grossartigkeit die zürcherische übertreffen; in den letzten zwölf Jahren hat die Technik sich rasch und wundersam entwickelt. Die öffentlichen Mittel sind grösser geworden; die Eidgenossenschaft könnte für die Ausstellung von 1896 bedeutendere Opfer bringen, als die von 1883, dank zum Teil gerade der Entwicklung, die unsere Landespolitik genommen hat. Vor allem aber die Ausstellungsstadt, das schöne, stolze reiche Genf hat nie halb getan, was es zu tun unternommen hat. Dass eine Ausstellung, die ein lebendiges und anschauliches Bild der ganzen gewerblichen und industriellen Tätigkeit eines Landes liefern soll, ein schwierig Ding ist, weiss man nirgends besser als in Zürich. Und Genf hat mit besonderen aussergewöhnlichen Hemmnissen zu rechnen. Am äussersten Ende der Schweiz gelegen, nur durch einen schmalen Riemen Landes mit ihr zusammenhängend, nahezu in fremdes Gebiet eingezwängt, sozusagen ohne heimliches Hinterland, mit kleinem Territorium und bescheidener Volkszahl, müsste Genf von allen Schweizerkantonen am wenigsten geeignet erscheinen für eine grosse nationale Ausstellung, wenn es nicht drei Dinge besässe: den Reiz seiner natürlichen Lage und die Schönheit seiner Stadt, seinen Wohlstand und die bürgerliche Tüchtigkeit seiner Bevölkerung. […]

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