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Ehrgeizige Schweiz bringt ihre Stärken ein

Keystone/Luca Zanier

Kann ein kleines, neutrales Land einen bedeutenden Einfluss auf die Weltpolitik ausüben? In den zehn Jahren ihrer UNO-Mitgliedschaft hat sich die Schweiz erfolgreich auf ihre traditionellen Stärken Entwicklung und Humanitäres fokussiert.

Experten auf beiden Seiten des Atlantiks sind sich einig: Trotz einigen Rückschlägen sieht die Bilanz des ersten Schweizer Jahrzehnts in den Vereinten Nationen (UNO) sehr positiv aus.

Neben den traditionell starken Gebieten der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Themen konnte die Schweiz auch eine Schlüsselrolle in der Struktur- und Budgetreform der UNO spielen.

“Wenn es um Grundrechte wie Rechtsstaatlichkeit und Verantwortlichkeit geht, liegt der Einfluss der Schweiz weit über ihrem eigentlichen Gewicht”, sagt Richard Dicker, Direktor des internationalen Justizprogramms der Nichtregierungs-Organisation Human Rights Watch in New York, gegenüber swissinfo.ch.

“Während ihrer zehn Jahre Mitgliedschaft konnte die Schweiz in diesen Bereichen eine Erfolgsbilanz aufweisen. Die Schweiz ist nicht einfach nur dabei, sondern sie zeigt echtes Engagement in diesen Rechtsfragen. Sie ist glaubwürdig und qualifiziert.”

Aktive Rolle

Der Italiener Andrea Bianchi, Professor für internationales Recht am Graduate Institute in Genf, pflichtet Dicker bei: “Diese zehn Jahre haben gezeigt, dass die Schweiz auf internationaler Ebene eine aktive Rolle spielen kann, und dass sie die Glaubwürdigkeit und Qualifikation hat, um in der internationalen Politik eine wichtige Rolle zu übernehmen.”

Die Umwandlung der diskreditierten UNO-Menschenrechts-Kommission in den Menschenrechts-Rat, die Reform des Strafsystems und des Sicherheitsrates – dazu gehört der mutige Vorschlag, das Vetorecht der permanenten fünf Mitglieder (P5) in Fällen von Völkermord einzuschränken – werden von Experten als Bereiche zitiert, in denen die Schweiz brillieren konnte.

Eine der “grossen Enttäuschungen” aber sei im Mai das Zurückziehen eines Resolutions-Entwurfs über eine Reform der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats gewesen, sagt Daniel Trachsler vom Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.

“Ich glaube, das zeigt, dass ein kleiner oder mittelgrosser Staat nicht in der Lage ist, etwas gegen eine starke Opposition durchzubringen, wenn die globalen Umstände dafür nicht stimmen.”

Raufen mit den grossen Jungs

Bianchi betont, die Schweiz habe trotz dem Zurückziehen des Resolutions-Entwurfs einen “sehr intelligenten diplomatischen Zug” gemacht, indem sie Vorschläge für die Reform des Sicherheitsrates gemacht habe, die keine Ergänzungen der UNO-Charta nötig gemacht hätten, “statt Zeit und Energie zu verpuffen in einer Diskussion über weitreichende Reformen, die vermutlich nie umgesetzt werden”.

“Diese Initiative zeigte klar, dass ausserhalb einer formellen Reform der Charta viel erreicht werden kann, um Druck auf die P5 auszuüben und sie erklären zu lassen, warum sie in einem gewissen Kontext auf diese oder jene Art agieren.”

Doch die Meinungen dazu gehen auseinander. So schrieb der ehemalige Schweizer Spitzendiplomat François Nordmann kürzlich in der Westschweizer Tageszeitung Le Temps, die Schweiz gehe “zu weit”, indem sie die P5 herausfordere und ihr Vetorecht angreife, zumal es sich um eine Angelegenheit handle, “die nicht die geringste Bedeutung für die direkten Schweizer Interessen hat”.

Laut Rechtsexperte Dicker hat die Schweiz dieses Jahr in der UNO auch die Führungsrolle in der Diskussion um die sich verschlechternde Situation in Syrien übernommen und den Sicherheitsrat gedrängt, das Thema vor den Internationalen Gerichtshof (ICC) zu bringen.

“Die Schweizer Mission hat lobenswerterweise Anstrengungen unternommen und Vertreter der Mitgliedstaaten des ICC an ihre Verpflichtung erinnert, sich an Rechtsgrundsätze zu halten, die ein Vorgehen gegen die grausamsten Verbrechen verlangen”, sagt er.

Vermittlerrolle

Als ein Zeichen des Erfolgs der Schweiz in der UNO werten Beobachter die hohe Anzahl von höheren Positionen, die Schweizer innerhalb der Organisation innehaben – gegenwärtig sind es laut dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) rund 70 Posten.

“Das ist ziemlich beachtlich, denn es ist nicht normal, dass ein derart kleines Land innert nur zehn Jahren eine solch wichtige Rolle in der Struktur der Organisation spielt”, sagt Fanny Charmey, Leiterin der Arbeitsgruppe “Internationale Organisationen” bei der Schweizer Aussenpolitik-Denkfabrik Foraus.

Für Trachsler und Bianchi steht die hohe Anzahl an Spitzenjobs für den guten Ruf der Schweiz. Bianchi beschreibt die Schweizer Diplomaten als “sehr gute Profis, die verdammt gut wissen, was sie tun und über was sie reden”.

Die Schweiz habe “bewiesen, dass sie generell ein geschmeidiger diplomatischer Vermittler ist. Ich glaube, der Grund ist, dass sie recht neu im Klub war und trotzdem in sehr wichtigen Angelegenheiten eine Führungsrolle übernehmen konnte”, so Bianchi.

Wenig Friedensförderung

Die starke Schweizer Teilnahme an Struktur und Budget der UNO allerdings fehlt bei den friedensfördernden Missionen – bei den Budget-Beiträgen rangiert die Schweiz auf Platz 16, bei den Friedensmissionen auf Platz 99. Dies führt oft zur Kritik, die Schweiz lasse in militärischen Konflikten andere die Hände schmutzig machen.

Trachsler sieht in diesem Bereich noch “Verbesserungspotenzial”. Für Charmey aber entspricht diese Haltung der Schweizer Neutralitätspolitik. Die Regierung plant, die Anzahl der bereitgestellten Soldaten für friedensfördernde Einsätze bis 2014 zu verdoppeln.

Für die Schweiz ist dies laut Charmey “eine echte Herausforderung, weil wir wegen unserer Neutralität nicht wirklich an Zwangsaktionen teilnehmen können”.

Sitz im Sicherheitsrat

Ein weiteres Zeichen für den Schweizer Ehrgeiz in der UNO ist ihre Bewerbung um einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2023 und 2024, die Beobachter als legitimes und erstrebenswertes Ziel loben.

“Das ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, nicht wegen der Neutralität der Schweiz, sondern eher, weil sie sich politisch exponieren wird”, sagt Trachsler. “Da müssen wir sehen, ob die Schweiz gewillt ist, eine solche Position im Scheinwerferlicht der ganzen Welt einzunehmen.”

Für Bianchi macht diese Bewerbung durchaus Sinn: “Es wäre der Höhepunkt von zehn Jahren guter Arbeit und gutem Ansehen innerhalb der UNO.”

In einem Kommentar gegenüber swissinfo.ch sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon folgendes über die Schweizer Mithilfe in der UNO:

“Wir sind sehr dankbar, dass die Schweiz unserer Organisation beigetreten ist. In der Dekade ihrer Mitgliedschaft war sie eine generöse und unermüdliche Verfechterin der Ziele der Vereinten Nationen, und wir schätzen die Schweizer Mitwirkung sehr.

Wir profitieren beispielsweise sehr vom starken Schweizer Engagement in friedensfördernden Belangen: Die Schweiz hat die Burundi-Konfiguration der UNO-Kommission für Friedenskonsolidierung geleitet.

Die Schweiz hat einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung des in Genf basierten Menschenrechts-Rats und der Einsetzung einer Ombudsstelle in der UNO-Sanktionspolitik geleistet.

Ich hoffe aufrichtig, dass wir in den kommenden Jahren weiterhin auf die wertvolle Unterstützung der Schweiz zählen können.”

Die UNO hat 193 Mitgliedstaaten. Die Schweiz ist 2002 als 190. Land beigetreten.

Die Schweiz ist mit einem Anteil von 1,13% der 16.-grösste Beitragszahler der UNO.

2010 bezahlte die Schweiz 147,4 Mio. Fr., 2011 130,4 Mio. für UNO-Aktivitäten, inklusive Friedensmissionen und Kriegsverbrecher-Tribunale.

Bevor sie Mitglied wurde, hatte die Schweiz rund 500 Mio. Fr. an die UNO bezahlt.

Im Zusammenhang mit friedensfördernden Einsätzen hat die Schweiz 25 Polizisten und Soldaten in den Libanon, in die Demokratische Republik Kongo, nach Burundi und in den Südsudan geschickt.

Bei der UNO arbeiten über 1500 Schweizerinnen und Schweizer, etwa 70 davon in hohen Positionen.

Nach New York ist Genf das wichtigste Hauptquartier der UNO. Es beherbergt 242 permanente Missionen, Repräsentationen und Delegationen, 33 internationale Organisationen – darunter 7 spezialisierte UNO-Agenturen – und etwa 250 Nichtregierungs-Organisationen (NGO).

(Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Februar 2012)

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