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“Ohne Stars funktioniert unser Geschäftsmodell nicht”

Auch Kulturminister Alain Berset war bei der Eröffnung des Zurich Filmfestivals dabei. Keystone

Harrison Ford, Hugh Jackman, Michael Haneke sind die Stars des 9. Zurich Film Festivals. Neu spannen die Zürcher mit dem spanischen Festival San Sebastián zusammen. Das ist laut dem künstlerischen Direktor Karl Spoerri zukunftsweisend.

Niemand hatte auf ein neues Festival gewartet, als Nadja Schildknecht und Karl Spoerri 2005 als 32-Jährige mit dem Zurich Film Festival ihre eigene Firma gründeten. Besonders nicht die traditionellen Filmfestivalstädte Locarno und Solothurn.

Zu viel Glamour, zu wenig inhaltlicher Tiefgang, monierten Kritiker. In der Tat: Der Glamourfaktor ist auch bei der 9. Auflage schwindelerregend hoch. Bescheiden dagegen geben sich die Macher punkto kurz- und mittelfristige Zielsetzung – “Wachstum in kleinen Schritten”.

Langfristig aber strebt das ZFF näher an Grössen der Festivalzunft wie Sundance, Toronto, San Sebastian, wie der künstlerische Direktor Karl Spoerri im Interview sagt.

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Die letzte Vorstellung?

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swissinfo.ch: Dem ZFF haftet immer noch etwas der Ruf an als “das Festival, auf das niemand gewartet hat”. Welchen kulturellen Mehrwert hat der Anlass seit 2005 dem Filmland Schweiz gebracht?

K.S.: Das ist mittlerweile eher Rhetorik. Die über 60’000 Festivalbesucher sprechen eine eindeutige Sprache. Das Interesse wird jedes Jahr grösser und viele Vorstellungen sind schon in Vorfeld ausverkauft. Wir nehmen unseren kulturellen Auftrag sehr ernst.

Es gibt jedes Jahr viele sehr gute Filme, welche keine Kinoleinwand finden, weil der kommerzielle Druck der Kinobetreiber im Alltag zu gross ist und sie von mehrheitsfähigem Mainstream verdrängt werden. Das Festival tritt dem entgegen und öffnet während 11 Tagen ein filmisches Universum, welches sich nicht in erster Linie dem Kommerz verpflichtet fühlt.

Das Filmfestival wird mehr und mehr zum Distributionskanal für relevantes Kino. 

swissinfo.ch: Fachleute stufen die Qualität des Programms als hervorragend ein. Dennoch geht dieses jeweils im Medienhype über das traditionelle Staraufgebot etwas unter. Sind Sie Opfer Ihrer eigenen Strategie?

K.S.: Das würde ich nicht sagen, für mich ist es eher ein generelles Problem. Die Medien, auch die seriöseren, interessieren sich heute vornehmlich für Stars und leicht zu verkaufende Themen. Hätten wir keine Stars, würde gar nicht über das Festival berichtet.

Unsere Partner, die das Festival grösstenteils finanzieren, erwarten für ihr Engagement auch ein grosses mediales Echo. Es ist ein Geschäftsmodell, bei dem wir beide Seiten brauchen. 

Die 9. Auflage dauert vom 26. September bis 6. Oktober 2013.

Das Budget wurde von 5,7 Mio. Franken (2012) auf 6,1 Mio. Franken erhöht.

Gezeigt werden 122 Filme aus 27 Ländern, darunter 16 Weltpremieren.

Staraufgebot: Die Schauspieler Harrison Ford, Hugh Jackman, James McAvoy und Oscar-Preisträgerin Melissa Leo, Regisseur Michael Haneke, Harvey Weinstein und Tim Bevan (Produzenten); aus Deutschland Daniel Brühl, Martina Gedeck und Alexandra Maria Lara.

Der Schweizer Regisseur Marc Forster präsidiert die Wettbewerbs-Jury der Sparte internationaler Spielfilm.

Die deutsche Schauspielerin Veronica Ferres ist Präsidentin des deutschsprachigen Spielfilmwettbewerbs.

Für das ZFF arbeiten 15 Festangestellte, 37 Teilzeitmitarbeitende und 280 Volontärinnen und Volontäre.

swissinfo.ch: Was versprechen Sie sich von der Kooperation mit dem renommierten Filmfestival San Sebastian, das fast zeitgleich stattfindet?

K.S.: Es ist eine wertvolle Ergänzung für unser Netzwerk, denn wir haben einen ständigen Austausch über Filminhalte, aber auch Produktionstermine. Gerade im Filmbusiness wird viel erzählt, auch Unwahres, da nützt es, wenn man gemeinsam die Antennen draussen hat.

Es ist auch finanziell interessant, weil wir uns hohe Kosten teilen können, etwa für den Flug von Hugh Jackman aus den USA oder Jia Zhang-Ke, den Regisseur von “A Touch of Sin” aus Shanghai. Es ist eine Win-Win-Situation, weil die Filmemacher und Verleiher ihrerseits Zugang zu zwei wichtigen Märkten, dem spanischen und dem deutschsprachigen Raum, erhalten.

Für mich sind Kooperationen für Festivals zukunftsträchtig. “Sharing” ist nicht nur das Modell der sozialen Medien, sondern auch des realen Geschäftsleben.

swissinfo.ch: Zu den Auszeichnungen: Werden diese nicht entwertet, weil sie von jedem Festival fast inflationär verliehen werden?

K.S.: Für uns sind die Verleihungen ein Ausdruck der Wertschätzung und mit Freude verbunden. Und die Besucher, die ja auch Fans sind, können dabei ihre Lieblingsstars hautnah miterleben. Man kann einfach ein Ticket kaufen und dabei sein. 

Man darf das Ganze aber auch nicht bierernst nehmen, wir vergeben nicht den Nobelpreis.

Unter den Schweizer Filmen, die in Zürich zu sehen sind, hebt Karl Spoerri Neuland von Anna Thommen und Traumland von Petra Volpe hervor, die laut dem Co-Direktor über grosses Erzähltalent verfügen.

Altmeister Markus Imboden zeigt Am Hang, die Verfilmung des erfolgreichen Romans von Markus Werner. Oscar-Preisträger Xavier Kollers Neuverfilmung des Jugendbuchklassikers Die schwarzen Brüder feiert in Zürich Weltpremiere.

Die Reihe “Neue Welt Sicht” ist 2013 dem neuen Film aus Brasilien gewidmet, das 2014 die Fussball-WM ausrichtet.

Die kleinen Zuschauer können fünf Werke geniessen, in der Reihe “ZFF für Kinder”, die zusammen mit der Bildungsdirektion des Kantons Zürich durchgeführt wird.

swissinfo.ch: Sie zeigen dieses Jahr sehr viele Filme aus der Schweiz. Ist die Qualität gestiegen? Hat die Branche Zürich entdeckt? Oder sind es solche, die es nicht nach Locarno geschafft haben?

K.S.: Auch in Locarno liefen viele Schweizer Filme. Es ist immer abhängig vom Zeitpunkt der Fertigstellung und der Strategie des Verleihers. Wir haben der heimischen Produktion immer ein spezielles Gewicht beigemessen.  

swissinfo.ch: Wie ernst fühlen Sie sich vom Bund genommen? Das BAK hat das ZFF 2013 neu auf die Liste von Succès Festival gesetzt und den Festivalbeitrag von 110’000 auf 150’000.- erhöht.

K.S.: Wir sind zufrieden, dass es jetzt mit dem Sprung auf die Festivalliste geklappt hat. Punkto Subventionen haben wir nach wie vor das Gefühl, dass wir nicht da sind, wo wir eigentlich hingehören. Aber es braucht offenbar ein bisschen mehr Zeit.

swissinfo.ch: Kurz- und mittelfristig streben Sie ein “Wachstum in kleinen Schritten” an. Was heisst das konkret?

K.S.: Wir wollen organisch wachsen, zusammen mit unserem Publikum und unseren Partnern. Alles andere führt nicht zum Erfolg. Bläst man eine Struktur auf, zerplatzt sie.

swissinfo.ch: Welches sind die langfristigen Ziele? Der Aufstieg in die Liga der A-Festivals? Die Infrastruktur ist in Zürich sicher vorhanden. Berlin-Cannes-Venedig-Zürich würde sich doch gut anhören…

K.S.: Irgendwann wollen wir im selben Atemzug wie Sundance, Toronto, San Sebastian genannt werden. Dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist für uns ganz wichtig. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Deshalb setzen wir uns realistische Ziele.

Wir sind ehrgeizig und wollen vorankommen. Viele Branchenvertreter, welche die Festival-Tour absolvieren, haben uns zusammen mit Toronto und San Sebastian in ihre Festivaltour aufgenommen. Das ist für uns schon ein grosser Erfolg.

Am ZFF erhalten die Siegerfilme den Golden Eye Award.

Dazu wird der Lifetime Achievement Award und der Golden Icon Award vergeben (2013: Harrison Ford resp. Hugh Jackman).

Career Achievement Awards für Produzenten (2013: Tim Bevan und Eric Fellner, u.a. Four Weddings and a Funeral, Fargo, The Big Lebowski, Notting Hill).

Erstmals wird das “Kleine Goldene Auge” für den besten Kinderfilm vergeben.

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