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Unternehmens-Besteuerung und AHV – komplexe Abstimmung ahoi

Innenminister Alain Berset (links) und Finanzminister Ueli Maurer
Innenminister Alain Berset (links) und Finanzminister Ueli Maurer präsentieren den Medien am 18. Februar gemeinsam die Vorteile ihres Projekts, das die Unternehmensbesteuerung mit der AHV-Finanzierung verknüpft. © Keystone / Peter Klaunzer

Am 19. Mai wird in einer Volksabstimmung über die neue Version der Unternehmensteuer-Reform abgestimmt. Das für die Regierung vordringliche Projekt ist an ein anderes wichtiges Dossier gekoppelt: die Finanzierung der Altersvorsorge (AHV).

“Ein typisch schweizerischer Kompromiss”, so nennt die Regierung das komplexe Gesetzgebungs-Paket, das dem Stimmvolk am 19. Mai vorgelegt wird. Die Vorlage behandelt die sehr technische Reform der Unternehmensbesteuerung und deren Verbindung mit der Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV).

Es ist ein Konstrukt, um zwei wichtige Dossiers, die separat an der Urne gescheitert waren, nun im “Paket” durchzubringen: Die frühere Revision der Unternehmenssteuer-Reform, die USR IIIExterner Link, wurde im Februar 2017 von 59% der Schweizer und Schweizerinnen abgelehntExterner Link, während die Vorlage Altersvorsorge 2020Externer Link im September 2017 mit fast 53% Nein an der Urne scheiterteExterner Link.

Das neue Paket heisst nun “Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung”Externer Link, abgekürzt STAF. Es herrscht jedoch keine Einstimmigkeit. Grüne, Linksparteien inklusive Jungsozialisten und Gewerkschaften haben ein Referendum lanciert, um dem Stimmvolk das letzte Wort zu geben.

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Wie unterscheidet sich die neue Reform von der USR III?

Nach dem Scheitern an der Urne machte sich die Regierung rasch an die Arbeit, um eine neue Version vorzustellen. Die Zeit drängt: Die Schweiz hat sich verpflichtet, die internationalen Regelungen der Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) einzuhalten, die verlangen, dass der besondere Steuerstatus für ausländische Firmen (Statusgesellschaften) abgeschafft werden soll.

Die Europäische Union (EU) hat die Schweiz im Moment auf die graue Liste der SteuerparadieseExterner Link gesetzt. Sie könnte jedoch bald auf die schwarze Liste geraten, wenn sie nicht rasch ihre Gesetzgebung anpasst.

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Das Projekt STAFExterner Link soll gerechter und transparenter sein als die USR III. Das Grundprinzip bleibt gleich: die Abschaffung von Steuerprivilegien für überwiegend international tätige Unternehmen und die Anwendung der gleichen Besteuerungsregeln für alle. Gleichzeitig soll die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz mit relativ tiefen Steuern aufrechterhalten bleiben.

Die steuerliche Entlastung aufgrund der “Patentbox”, der zusätzlichen Abzüge für Forschung und Entwicklung und des Abzugs für Eigenfinanzierung darf nicht höher sein als 70 Prozent. Aktionärinnen und Aktionäre müssen Erträge aus Beteiligungen bei der Einkommenssteuer des Bundes neu zu 70 Prozent und bei den Kantonen zu mindestens 50 Prozent versteuern.

Falls die kantonale Praxis eine Übergangsregelung für Statusgesellschaften vorsieht, fallen auch die diesbezüglichen Abschreibungen unter die Entlastungsbegrenzung.

Die Vorlage sieht zudem vor, den Kantonen mit einem grösseren Ausgleich bei einer Verringerung der Steuereinnahmen entgegenzukommen. Zudem werden die Kantone angehalten, den Gemeinden die finanziellen Auswirkungen der Steuersenkungen auf kantonaler Ebene angemessen abzugelten.

Warum wird die Reform der Unternehmenssteuer an die AHV-Finanzierung gekoppelt?

Das Paket ist das Resultat eines politischen Kompromisses, der ziemlich einmalig ist in der Schweiz. Da durch die Steuerreform von Unternehmen der öffentlichen Hand rund zwei Milliarden Franken an Einnahmen verloren gehen, befürchtete die Regierung einen erneuten Aufstand der Linken und eine Niederlage bei der Volksabstimmung. Deshalb schlug sie die Einführung eines sozialen Ausgleichs vor, der die Erhöhung der Familienzulagen vorsieht.

Bei der Überprüfung der Vorlage gab das Parlament einem Mechanismus den Vorzug, der die AHV unterstützen sollte: Mit jedem verlorenen Franken durch die Unternehmenssteuer-Reform wird ein Franken in die AHV gespült. Doch aufgepasst, das Volk stimmt am 19. Mai nicht über die Renten als solche ab: Die neue Version dieser VorlageExterner Link ist erst in der Ausarbeitung.

Welches ist genau die Verbindung der zwei Vorlagen?

Das Paket sieht die Anpassung von mehreren Steuergesetzen wie auch von Gesetzestexten vor, welche die Finanzierung der Altersvorsorge regeln. Durch die Änderungen fliessen jährlich zusätzlich 2 Milliarden Franken in die AHV-KasseExterner Link, dank einer Erhöhung des Bundesbeitrags und der Erhöhung des Beitragssatzes für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Die Steuerreform für Unternehmen und die Finanzierung der Altersvorsorge werden zusammen in einem Paket vorgelegt: Das Schweizer Volk kann nur das Gesamtpaket der Gesetzesänderungen annehmen oder ablehnen. Ein Vorgehen, das zahlreichen Juristen nicht gefällt, denn die Dinge, die bei einer Volksabstimmung vorgelegt werden, unterliegen in der Schweiz dem Prinzip der Einheit der Materie.

Das Bundesamt für JustizExterner Link betont, dass die Verknüpfung der neuen Regelung der Unternehmensbesteuerung mit der AHV-Finanzierung ein “Grenzfall”, aber akzeptabel sei.

Kai Reusser / swissinfo.ch

Was sind die Argumente von Regierung und Parlament?

Für den BundesratExterner Link bietet diese Vorlage “eine ausgewogene Lösung für zwei drängende Probleme”. Die Unternehmensbesteuerung müsse rasch angepasst werden, damit der Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiv bleibe. Die AHV benötige zusätzliche Mittel, um die steigende Anzahl Renten bezahlen zu können.

Der Bundesrat hat aus der Ablehnung der Vorlage der USR III an der Urne gelernt: Die neue Vorlage will die Kantone und Gemeinden, die steuerliche Einbussen erleiden, stärker unterstützen. Nicht nur die Unternehmen würden davon profitieren, sondern auch die AHV, denn durch die Zusatzfinanzierung werde ein sozialer Ausgleich geschaffen.

Die Regierung warnt: Wenn die Steuerreform abgelehnt werde, müsste man mit Gegenmassnahmen aus dem Ausland rechnen, was der Schweizer Wirtschaft schaden würde. Und ohne Massnahmen würden sich auch die finanziellen Probleme der AHV weiter verschärfen.

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Die Mehrheit des Parlaments hat sich für die Vorlage ausgesprochen, wenn auch wenig enthusiastisch. Es handle sich um einen Kompromiss, um diese zwei für die Schweiz entscheidenden Dossiers voranzutreiben.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP, rechtskonservativ), die Grünen (links, ökologisch) und die Grünliberalen lehnen die Vorlage ab. Sie möchten die zwei Dossiers klarer trennen, damit die Bevölkerung eine echte Wahl hat.

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Was sind die Argumente der Gegner?

Die Jungen GrünenExterner Link waren die ersten, die sich für ein Referendum gegen die STAF-Vorlage aussprachen. Die Grünen, “solidaritéS” (links) und der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) schlossen sich an. Das ReferendumExterner Link kam Mitte Januar mit mehr als 61’000 Unterschriften zustande.

Die GegnerExterner Link betrachten die neue Vorlage als den Zwilling der USR III und bezichtigen die Regierung, den Willen des Stimmvolks nicht zu respektieren. Sie betrachten die Reform als Steuergeschenk für die grossen Unternehmen und ihre Aktionäre zu Lasten der öffentlichen Hand, die bei den Sozialleistungen Kürzungen vornehmen müsse.

Die Gegner bedauern zudem, dass die Schweiz so weiterhin die Steuerflucht von internationalen Unternehmen begünstigen würde. Sie anerkennen zwar, dass die Zusatzfinanzierung der AHV ein positiver Punkt sei, bemängeln jedoch, dass es sich dabei nicht um einen sozialen Ausgleich handle, da die Rentner und Rentnerinnen keinen Franken mehr als bisher erhalten würden. Inakzeptabel sei zudem, dass die Sanierung der AHV auf dem Rücken des Service Public ausgetragen werde.

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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