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“Auslandschweizer stimmen linker, ökologischer und liberaler”

Je nach Kanton unterstützten zwischen 70 und 80% der Stimmenden mit Wohnsitz im Ausland den Atomausstieg in der Schweiz. Keystone

Die Schweizer Auslandgemeinde hat am Sonntag den Ausstieg aus der Atomkraft und die neue Energiestrategie des Bundes stark unterstützt. Der Politologe Thomas Milic erklärt, warum.

Der Atomausstieg und die Förderung der Produktion aus neuen erneuerbaren Energien ist für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer eine klare Sache. Am 21. Mai haben sie mit grosser Mehrheit Ja gesagt zur Energiewende, wie von Bundesrat (Landesregierung) und einer Parlamentsmehrheit vorgeschlagen. Das zeigt eine Analyse der Abstimmungsresultate aus jenen 12 Kantonen, welche die Stimmen der Auslandschweizer separat ausweisen.

Während das gesamte Stimmvolk im In- und Ausland das Projekt mit 58,2% gutgeheissen hat, liegt der Ja-Anteil bei der Schweizer Diaspora je nach Kanton zwischen 70 und 80%. In zwei Dritteln der untersuchten Kantone betrug der Unterschied zwischen dem Gesamt-Ja und der Zustimmung in der Auslandgemeinde fast oder über 20%.

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Sind die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer also ökologischer eingestellt als ihre Mitbürger im Inland? “Das ist tatsächlich eine Tendenz, die wir auch schon bei anderen Abstimmungen beobachten konnten. Generell stimmen die Auslandschweizer etwas linker ab als ihre Mitbürger im Inland, und das nicht allein bei ökologischen Themen”, sagt Thomas Milic, Politologe am Zürcher Institut SotomoExterner Link und am Zentrum für Demokratie AarauExterner Link.

Ein Phänomen, das sich durch das gegenwärtige Gesicht der Schweizer Diaspora erkläre. Heute würden diese Schweizerinnen und Schweizer das Land hauptsächlich aus beruflichen Gründen oder für die Bildung verlassen. “Solche Personen haben generell eine eher liberale Sicht der Gesellschaft, zumindest, was die Wirtschaft betrifft. Konservativer eingestellte Schweizerinnen und Schweizer bleiben eher im Land”, so Milic.

Atomnah = atomfreundlich

Einen Sonderfall gab es an diesem historischen Abstimmungssonntag, der das Ende der Atomenergie in der Schweiz einläutete: der Kanton Aargau. Während das gesamte kantonale Stimmvolk das neue Energiegesetz mit einer kleinen Mehrheit abgelehnt hat, so stimmten die Ausland-Aargauer mit 78% dafür!

“Die Aargauer sind gegenüber der Atomkraft traditionellerweise positiv eingestellt, weil sich in diesem Kanton drei der fünf Schweizer Kraftwerke befinden und sie daraus substanzielle wirtschaftliche Vorteile ziehen”, erklärt Milic. “Die in den Stimmregistern eingetragenen Ausland-Aargauer hingegen profitieren nicht direkt von diesen Vorteilen, was den grossen Unterschied im Stimmverhalten zum Teil erklären kann.”

Dass die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer oft nicht direkt von Entscheiden im Inland betroffen sind, führt manchmal zu Kritik. So geschehen im Juni 2015 bei der sehr knapp ausgegangenen Abstimmung über das Radio- und Fernsehgesetz. Der Auslandgemeinde wurde damals vorgeworfen, zu Gunsten einer generellen Abgabe entschieden zu haben, die sie selber gar nicht bezahlen müssten.

Kürzlich lancierte Claudio Kuster, persönlicher Assistent von Ständerat Thomas Minder, eine lebhafte Debatte, weil er forderte, dass Auslandschweizer kein Stimmrecht haben sollten. Sie seien ungenügend informiert über die Abstimmungskampagnen, argumentierte er.

Dieses Argument lässt Thomas Milic nicht gelten: “Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind nicht mehr derart entfernt von der Schweizer Medienlandschaft wie noch vor 25 Jahren. Sie verfügen im Internet über die gleichen Quellen, und viele können sogar das Schweizer Fernsehen empfangen. Sie nehmen deshalb die ganze Intensität der Debatten und Abstimmungskampagnen in ihrem Heimatland wahr.”

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Kein Stimmrecht für Auslandschweizer? Das sind die Reaktionen unserer Community

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Mit diesem Tweet hat alles angefangen: Claudio Kuster bezieht sich dabei auf das teils klar abweichende Stimmverhalten der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zum endgültigen Abstimmungsresultat.  Es ist eine Forderung, die immer wieder auftaucht – letztes Mal bei der Abstimmung zur Revision des Radio- und TV-Gesetzes (RTVG). Damals twitterte Florian Schwab (Journalist, Weltwoche): Das Aufflammen dieser Forderung nahm swissinfo.ch zum…

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(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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