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Acht Jahre Zuchthaus für “Fluglotsenmörder”

Witali Kalojew (Mitte) und sein Bruder Juri (rechts) im Zürcher Gerichtsaal. Keystone

Das Zürcher Obergericht hat den Russen, der einen skyguide-Fluglotsen erstochen hat, der vorsätzlichen Tötung schuldig gesprochen.

Witali Kalojew wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Die russischen Behörden möchten, dass er seine Strafe in Russland verbüssen kann.

Spätestens nach den ersten Messerstichen habe Kalojew sein Opfer töten wollen, befand das Gericht bei der öffentlichen Urteilsberatung vom Mittwoch. Es anerkannte aber auch, dass der Angeklagte den Lotsen in einer heftigen Gemütserregung getötet hatte. Diese sei aber nicht entschuldbar, sondern Ausdruck seiner Persönlichkeits-Störung.

Persönlichkeits-Störungen

Seit er im Juli 2002 beim Flugzeugunglück von Überlingen seine Frau und die beiden Kinder verloren hat, leidet der Angeklagte gemäss psychiatrischem Gutachten an einer andauernden Persönlichkeits-Störung. Dies wirke sich aber aber nur auf das Strafmass aus.

Der Staatsanwalt hatte am Dienstag beantragt, den 49-jährigen Angeklagten wegen vorsätzlicher Tötung mit 12 Jahren Zuchthaus zu bestrafen. Der Verteidiger hatte auf drei Jahre Gefängnis wegen Totschlags plädiert.

Auslieferung möglich

Russland will sich laut einem hochrangigen Funktionär des Justizministeriums in Moskau dafür einsetzen, dass die Strafe in Russland vollzogen wird. Russland werde auf der Auslieferung des Verurteilten bestehen.

Für Folco Galli, Sprecher des Justizdepartementes, ist eine Auslieferung von Witali Kalojew nicht ausgeschlossen.

Riesiges Medieninteresse im Ausland

Der Prozess war auf ein riesiges Medieninteresse gestossen, vor allem auch in Russland. Der Präsident Nordossetiens, Taimuras Mamsurow, verfolgte die Verhandlung mit mehreren Begleitern in Zürich.

Sie reagierten nach der Urteilseröffnung aufgebracht. Ein Bruder des Verurteilten sagte dem russischen Fernsehen vor dem Gerichtsgebäude, der psychische Zustand des Verurteilten sei nicht berücksichtigt worden. Noch sei niemand für den Tod der 71 Menschen zur Rechenschaft gezogen worden.

Prozess begann am Dienstag

Der Prozess gegen den 49-jährigen Witali Kalojew hatte am Dienstag vor dem Zürcher Obergericht begonnen. “Kalojew gibt zu, den damals diensthabenden Fluglotsen getötet zu haben”, hatte Markus Hug, Kalojews Verteidiger, schon im Vorfeld des Prozesses erklärt.

Aber der Angeklagte könne sich nicht mehr an die Tat erinnern. Hug plädierte deshalb auf Totschlag und drei Jahre Haft. Die Höchstrafe für Totschlag liegt bei zehn Jahren.

Der Angeklagte habe am 24. Februar 2004 in heftiger Gemütsbewegung und grosser seelischer Bedrängnis gehandelt, als er den dänischen Fluglotsen getötet habe, sagte Hug vor Gericht.

Staatsanwalt Ulrich Weder war anderer Meinung: Die Tat habe sich im Grenzbereich zum Mord befunden, weshalb er ein Strafmass von 12 Jahren wegen vorsätzlicher Tötung beantrage. Die Maximalstrafe bei vorsätzlicher Tötung liegt bei 20 Jahren.

Verkettung von Fehlern

Die Ereignisse rund um das Flugzeugunglück, von Kalojew und dem Fluglotsen sind die Geschichte einer unfassbaren Verkettung von menschlichen Fehlern, technischen Defekten, tragischen Zufällen und einem Opfer, das zum Täter wurde.

Wäre der Fluglotse am 1. Juli 2002 nicht allein im Kontrollraum gewesen, hätte das Telefon funktioniert, wären die Konsequenzen der Wartungsarbeiten besser erklärt worden, hätte die russische Besatzung sich auf das Bordwarnsystem verlassen – wäre es nicht zu diesem Unglück gekommen, bei dem eine Chartermaschine der russischen Bashkirian Airlines und ein DHL-Frachtflugzeug um 23.35 Uhr zusammenstiessen.

Und die 71 Menschen, die dabei ums Leben kamen, wären noch am Leben. Unter ihnen auch Swetlana Kolojewa und die Kinder Konstantin (10) und Diana (4). Sie waren auf dem Weg zu Witali Kalojew, der zu diesem Zeitpunkt in Barcelona arbeitete.

swissinfo und Agenturen

Am 1. Juli 2002 stiessen über dem von der Schweizer Flugüberwachung skyguide kontrollierten Luftraum über dem Bodensee ein russisches Passagierflugzeug und eine DHL-Frachtmaschine zusammen.

Beim Absturz kamen 71 Menschen ums Leben. Der Russe Witali Kalojew verlor beim Absturz seine ganze Familie.

Am 24. Februar 2004 wird der Fluglotse, der am Unglücksabend Dienst schob, erstochen, einen Tag später wird Witali Kalojew in Kloten festgenommen.

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen Kalojew. Das Urteil wird für den 26. Oktober erwartet.

Die meisten Familien der Opfer der Flugkatastrophe haben sich aussergerichtlich geeinigt.
Sie erhielten je rund 150’000 Dollar aus einem Fonds der Schweiz, Deutschland und skyguide.
Die restlichen 30 Familien strengen weiterhin eine Klage an.

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