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Alinghi – ein Schweizer Symbol im Gegenwind

Alinghi 5 kreuzt im Persischen Golf. Aber nicht mehr lange... Reuters

Im Konflikt zwischen den Segelteams von Alinghi und BMW Oracle um die Austragung des 33. America's Cup gibt es immer wieder neue Entwicklungen. In der schnell wachsenden Schweizer Segler-Szene sorgt das juristische Gefecht für Kopfschütteln.

2003 sorgt ein kleines Bergland ohne Meeranstoss für die grosse Überraschung: Ein Schweizer Team gewinnt den prestigeträchtigen America’s Cup.

Der Sieg von Alinghi in Neuseeland löst einen regelrechten Hype aus, fast alle interessieren sich plötzlich für das Segeln.

Drei Jahre danach reitet das Team im spanischen Valencia auf einer Welle der Sympathie dem zweiten Sieg in Serie entgegen.

Doch seit 2007 verblasst die Leidenschaft immer mehr. Oder vielmehr wanderte sie in die Gerichte ab, wo sich die Milliardäre Ernesto Bertarelli (Alinghi, Schweiz) und Larry Ellison (BMW Oracle, USA) eine gnadenlose Schlacht mit offenem Ende liefern.

Die letzte Episode ist der Entscheid eines New Yorker Gerichts: Es weist die Wahl des Titelverteidigers Alinghi für Ras al-Khaimah im Persischen Golf als Austragungsort des Wettkampfs im nächsten Februar ab. Eine weitere Etappe in einem Kampf, der noch lange dauern kann.

In der Schweiz mag die Segler-Szene den Schlagabtausch zwischen den Anwälten schon länger nicht mehr mitverfolgen. Yves Gaussen, Präsident des Segelklubs Morges, mit 960 Mitgliedern der zweitgrösste in der Westschweiz, spricht für viele Segler, wenn er sagt: “Niemand mehr versteht etwas, und es beginnt sich ein gewisses Desinteresse am America’s Cup auszubreiten. Ich denke, das kann früher oder später dem Image unseres Sports schaden.”

Image leidet

Der waadtländische Skipper Stève Ravussin, der dieser Tage mit einem Team die Jules Verne Trophy in Angriff nimmt, eine Weltumseglung ohne Zwischenstopps, vermutet aber, dass diese abgekühlte Liebe nur eine zwischenzeitliche Phase ist.

“Klar haben die Leute genug von all diesen Geschichten, doch als der Katamaran von Alinghi am letzten 1. August auf dem Genfersee gezeigt wurde, sind Zehntausende gekommen. Die Vergangenheit wird schnell vergessen.”

Für Ravussin ist diese Zeit der Unklarheit besonders schädlich für alle anderen Teams, die vom 33. America’s Cup ausgeschlossen sind. “Viele Segler sind arbeitslos, einige Teams haben ihre Sponsoren verloren. Für sie ist es unmöglich, ihre Zukunft zu planen.”

Auch wenn sich der Schweizer Segelverband (Swiss Sailing) nicht zum Streit zwischen Alinghi und BMW Oracle äussern will, erklärt dessen Vizepräsident Vincent Hagin, dass “das Image des Segelns sicher betroffen ist”, der Konflikt aber “sicher Ernesto Bertarelli und dessen Team schadet”.

Alinghi sorgte für frischen Wind

“Die Segelfans unterscheiden sehr wohl zwischen einem Wettkampf wie dem America’s Cup und der erholenden Ausübung eines Sports, der immer mehr Zulauf findet”, ergänzt Hagin.

Doch er gibt zu, dass Alinghi in den letzten Jahren für den Schweizer Segelsport viel bewirkt habe. “So wie damals Mitte der 1980er-Jahre, nachdem Pierre Fehlmann das Whitbread Round the World Race gewonnen hatte.”

Yves Gaussen schätzt die Zunahme von Mitgliedern in seinem Klub nach dem Erfolg von Alinghi auf 15%. “Und sicher: es hat eine enorme Beliebtheit des Segelns stattgefunden. Über alle sozialen Klassen hinweg interessiert sich ein breites Spektrum der Gesellschaft für das Segeln und übt den Sport jetzt auch aus.”

Er vermutet jedoch, dass auch andere Hochseesegler wie Dominique Wavre, die Brüder Ravussin oder Bernard Stamm dem Segelsport zu Ansehen verholfen haben, dass diese aber durch die Omnipräsenz von Alinghi in den Medien nur noch ein Schattendasein fristeten.

“Alinghi hat dazu beigetragen, das elitäre, englische, konservative Image dieses Sports zu entstauben”, hat Vincent Hagin beobachtet. “Derzeit bemühen sich die Klubs sehr, Junge aus allen sozialen Schichten zu begeistern.”

Und Gaussen ergänzt: “Es ist mit dem Federer-Effekt zu vergleichen, von dem die Tennisklubs profitiert haben. Man darf aber nicht vergessen, dass solche Phänomene zeitlich begrenzt sind.”

Anerkanntes Label

“Alinghi ist zu einem Label geworden, das der Segelwelt in der Schweiz nützt. Das ist sehr positiv für unsere Projekte”, erklärt Stève Ravussin. Er nahm Anfang Oktober bei der Lancierung von “Multi One Design” teil, einer Meisterschaft, bei der sich baugleiche Mehrrumpfboote mit 70 Fuss (21,4m) Länge in verschiedenen Regatten messen sollen.

Das Programm wird einen ökologischen Touch haben, soll doch ein Teil des Budgets für Aktionen im Bereich Wasser und Abfall eingesetzt werden.

Für Ravussin sind die Schweizer Segler überhaupt nicht neidisch auf den vermögenden Bertarelli, der es sich leisten kann, Millionen in die Konzeption seiner Boote zu investieren. “Alle haben grosse Achtung vor ihm. Er wusste sich mit guten Leuten zu umgeben und etwas Ausserordentliches zu erreichen.”

Nun hoffen alle, dass dieser Konflikt zwischen Alinghi und Herausforderer BMW Oracle endlich einen guten Ausgang nimmt und der Sport wieder das Ruder übernehmen kann.

Ravussin ergänzt auf dieser hohen Note: “Wir durchleben derzeit eine gute Epoche für den Segelsport. Die Menschen brauchen Natur und Abenteuer, um etwas zu erleben. Und wir haben heute die besten Bauteile auf der Erde, um leistungsstarke Boote zu bauen.”

Samuel Jaberg, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Mythos: Der America’s Cup ist die berühmteste und älteste Segelsport-Trophäe der Welt. Er wird an den Sieger mehrerer Regatten zwischen dem Titelverteidiger und einem Herausforderer vergeben.

Amerika: 1851 in England durchgeführt, ging der erste Sieg nach Amerika zum Yacht Club New York, der die Trophäe bis 1983 während 132 Jahren erfolgreich verteidigte.

Alinghi: Das Schweizer Syndikat holte die Trophäe 2003 mit dem Sieg gegen Team Neuseeland erstmals nach Europa und verteidigte sie 2007 in Valencia, Spanien – erneut gegen die Neuseeländer.

Challenger: Nach der Verteidigung des Cups 2007 bestimmte Alinghi-Boss Bertarelli für die nächste Austragung das spanische Syndikat als Vertreter der Herausforderer.

BMW Oracle beschuldigte das Schweizer Team darauf, sich so einen Regelvorteil verschafft zu haben, denn der Klub hinter dem spanischen Syndikat sei fiktiv und könne deshalb die obligatorische jährliche Regatta auf See nicht organisieren.

Prozess: Nach 20-monatiger Dauer gab ein New Yorker Gericht am 2. April 2009 BMW Oracle recht: Alinghi muss mit dem US-Team über die Regeln des nächsten Cups verhandeln.

Alinghi und BMW Oracle haben am 3. November 2009 ihren nächsten Gerichtstermin. Im Zentrum der Anhörung steht die Frage, ob eine Durchführung des America’s Cup im Februar 2010 in Valencia möglich ist.

Der New York Supreme Court hatte am 27. Oktober 2009 das von Alinghi ausgewählte Ras al-Khaimah für illegal erklärt, weshalb ein neuer Austragungsort bestimmt werden muss.

In Frage kommen gemäss Richterspruch Valencia oder eine Destination in der südlichen Hemisphäre. BMW Oracle hat sich bereits klar für Valencia ausgesprochen.

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