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Beschwerde von Erwin Sperisen teilweise gutgeheissen

Das Bundesgericht gibt Erwin Sperisen teilweise recht. Das Genfer Kantonsgericht muss zum Urteil wegen Mittäterschaft bei Mehrfachmorden noch einmal über die Bücher. Sperisen war zur fraglichen Zeit Chef der guatemaltekischen Nationalpolizei. (AP Photo/Rodrigo Abd) KEYSTONE/AP/RODRIGO ABD sda-ats

(Keystone-SDA) Das Bundesgericht hat eine Beschwerde von Erwin Sperisen gegen den Entscheid des Genfer Kantonsgerichts vom Juli 2015 teilweise gutgeheissen. Es hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung zurück ans Kantonsgericht geschickt.

Das Kantonsgericht hatte den guatemaltekisch-schweizerischen Doppelbürger Erwin Sperisen als Mittäter bei zehn Morden zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sperisen hatte zwischen Juli 2004 und März 2007 die Funktion des Generaldirektors der Nationalpolizei von Guatemala ausgeübt.

Am 25. September 2006 führten die guatemaltekischen Behörden die Operation “Pavo Real” durch, mit der die Kontrolle über das Gefängnis “Pavón” zurückerlangt werden sollte. Dabei starben sieben Häftlinge.

Rund ein Jahr zuvor waren neunzehn Inhaftierte aus der Strafvollzugsanstalt “El Infiernito” entwichen. Drei von ihnen kamen am 3. November 2005 beziehungsweise am 1. Dezember 2005 zu Tode, nachdem sie von der Polizei im Rahmen der Aktion “Gavilán” gefasst worden waren.

2014 musste sich Sperisen im Zusammenhang mit diesen zehn Todesfällen vor dem Genfer Kriminalgericht wegen des Vorwurfs des Mordes verantworten. Am 6. Juni 2014 wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes in den sieben Todesfällen im Gefängnis Pavón verurteilt. In Bezug auf die drei früheren Todesfälle wurde er freigesprochen.

Auf Berufung der Genfer Staatsanwaltschaft und von Sperisen sprach die Strafkammer des Genfer Kantonsgerichts diesen wegen Mordes in allen zehn Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sperisen erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht.

Über 100-seitiges Urteil

Der Entscheid des Bundesgerichts umfasst mehr als hundert Seiten. Die Lausanner Richter haben die Beschwerde insbesondere bezüglich des Antrags von Sperisen abgewiesen, die Mutter eines bei der Operation “Pavo Real” verstorbenen Häftlings nicht als Privatklägerin zuzulassen.

Erfolglos blieben zudem die zahlreichen Einwände von Sperisen, mit denen er seine Behauptung zu stützen versuchte, dass sich die sieben Todesfälle im Gefängnis “Pavón” bei einer bewaffneten Konfrontation zwischen den Ordnungskräften und den Inhaftierten ereignet hätten.

Das Bundesgericht hat die entsprechenden Rügen gestützt auf die zahlreichen Aktenstücke im umfangreichen kantonalen Dossier abgewiesen. Teilweise ist es nicht darauf eingetreten.

Gemäss dem höchsten Schweizer Gericht durfte die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen, dass es sich bei diesen Todesfällen um geplante Tötungen handelte, die im Rahmen einer Parallelaktion zur offiziellen Operation “Pavo Real” von einem “Kommando” bestehend aus Polizeikräften und externen Personen ausgeführt wurden.

Mängel im kantonalen Verfahren

Was die Feststellung der Verantwortlichkeit von Sperisen für diese Geschehnisse betrifft, ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass ihm dabei im kantonalen Verfahren die aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fliessenden Garantien nur unzureichend gewährt wurden.

Insbesondere sei sein Recht auf Konfrontation mit wichtigen Belastungszeugen bezüglich massgeblicher Fakten nicht respektiert worden. Ebenfalls nicht mit der EMRK vereinbar seien die Ausführungen des Kantonsgerichts, soweit es sich auf die Erkenntnisse der Ermittler der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) beziehe. Der Inhalt ihrer Untersuchungen sowie die entsprechenden Beweise seien nicht genau bekannt.

Teils ungenügende Begründung

Als willkürlich hat das Bundesgericht zudem die Würdigung bestimmter Beweise durch das Kantonsgericht bezeichnet. Weiter hat verwiesen es auf die zum Teil ungenügende Begründung des vorinstanzlichen Entscheides.

Was die Operation Gavilán betrifft, erachtet das Bundesgericht den Anklagegrundsatz als verletzt. Das Kantonsgericht habe die Verantwortlichkeit von Sperisen bei diesen Tötungen auch damit begründet, dass er an der Folterung von Inhaftierten beteiligt gewesen sei.

Entsprechende Ausführungen dazu fehlten jedoch in der Anklageschrift. Schliesslich ist auch die Beweiswürdigung in diesem Punkt sowie bezüglich weiterer wichtiger Tatfragen unvollständig. (Urteil 6B_947/2015 vom 29.06.2017)

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