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Dominik Blum: “Mein Grenzgängertum ist nicht auf Töne beschränkt”

Der in Kilchberg ZH lebende Musiker Dominik Blum spielt lieber als dass er komponiert. Zurzeit steht er voll auf Mozart. Keystone/CHRISTIAN BEUTLER sda-ats

(Keystone-SDA) Dominik Blum zelebriert ein Leben als musikalischer Freigeist. Der Pianist und Organist wechselt spielend von Klassik zu Neuer Musik, mit Zwischenhalten bei Avantcore-Jazz und Gitarrenrock.

Fürs Kaffeekochen nimmt er sich Zeit. Das passt, denn seine Espressomaschine ist von edler Bauart, steht in der gemütlichen Küche seines Grosselternhauses aus den 1850er-Jahren und braut perfekten Espresso.

Sonst ist Dominik Blum ein eher unsteter Mensch. “Ich kann nicht lange ruhig sitzen”, sagt er. “Deshalb spiele ich lieber als zu komponieren.” Etwa die Klavierwerke von Mozart. Auch für diese nimmt er sich Zeit in diesen Wochen. “Mozart hat mich aus einer Krise geführt”, erzählt Dominik Blum, dessen Erscheinung eher auf einen Heavy-Metal-Gitarristen schliessen liesse.

Doch im grossgewachsenen Musiker, der sich gerne in Lederkluft wirft, seine Haare seit Jahren auf gleicher Halblänge flattern lässt und seinen Blick für Konzertauftritte mit Kajalstift intensiviert, steckt ein hochsensibler Künstler und liebenswerter Mensch.

Im Moment steht er voll auf Mozart. Natürlich weiss er auch um die Qualität von Bach, Schubert, Schönberg. Und wenn er von Hermann Meier zu erzählen beginnt, dann folgen auf den ersten Espresso ein zweiter und ein dritter.

Blum weiss alles über diesen verkannten Dorfschullehrer aus dem Solothurnischen, der “nebenbei” die Neue Musik revolutionierte. Auf Empfehlung seines Mentors Urs Peter Schneider hat Blum Meiers Klavierwerke als einer der Ersten einstudiert und aufgeführt. “Ich gebe kaum ein Solokonzert, ohne ein Meier-Stück einzufügen”, sagt er und lacht. “Hast du gewusst, dass er ein Elektronik-Pionier war, ohne jemals Elektronik zu verwenden?”

Prägendes Spannungsfeld

Dominik Blum spricht genauso wie er spielt. Sein Vortrag lässt intensives Hintergrundwissen erahnen und ist von langem Nachhall. “Von klein auf war ich verschiedenen Einflüssen ausgesetzt”, erklärt er. Den Eltern war ebenso klar wie ihm selbst, dass er Musiker werden würde. Der Vater setzte auf Rock, die Mutter auf Klassik. “Dieses Spannungsfeld hat mich geprägt”, betont Blum und zählt die Stationen seines Werdeganges auf.

Schlagzeug ab sechs, später Gitarre, Klavier, Saxofon. Auf die Matura folgte ein Piano-Studium am Konservatorium Winterthur. Den Abschluss habe er “comme il faut” erledigt. Doch da Pianist Blum schon damals Neue Musik spielte und an Freejazz-Konzerte pilgerte, schrieb er sich nach dem Diplom zu den Kursen des Komponisten Urs Peter Schneider in Bern ein. Bei diesem konnte Blum dann sein Konzertdiplom machen. “Seither bin ich Autodidakt.”

Sehr jung zog es Blum auch ans Dirigentenpult. In Paris erwog er ein Kappellmeisterstudium am Conservatoire National. “Doch ich war noch nicht bereit, also begann ich mit Chören.” Eine intensive Erfahrung, die aber in einer Sackgasse endete: “Sie wollten Brahms singen, ich Stockhausen.”

Man trennte sich in Freundschaft, und Autodidakt Blum widmete sich jenem Instrument, das ihn seit jeher faszinierte – der Orgel. In seinen Teeniebands hatte er auf dem Korg-TX-3-Synthesizer experimentiert. Nun sollten es wuchtigere Instrumente sein: Hammond- und Kirchenorgel.

Blum studierte wie ein Besessener die Orgelliteratur ein – und wurde als Organist der Katholischen Pfarrei Winterthur angestellt. Mit seiner Hammondorgel ging er seinen musikalischen Kosmos vom anderen Ende her an. Mit dem Avantcore-Trio Steamboat Switzerland fegte er durch Jazzclubs, Improkeller und Hallen für Neue Musik.

Mit E-Bassist Marino Pliakas und Perkussionist Lucas Niggli spielt Blum bis heute Auftragskompositionen von fiebrigen Zeitgenossen wie Michael Wertmüller oder Felix Profos. Mit grossem internationalem Erfolg – so wurde das Trio zu Uraufführungen ins KKL Luzern oder an die renommierten Musiktage Donaueschingen eingeladen.

Zwei Babies und ein Kran

Blum bittet in den Keller seines Grosselternhauses, wo er als Kind zwischen den Obsthurden rumkroch. Dort steht heute eines seiner “zwei Babies”: seine Hammond C3 mit zweiakkordigem Pedal. Blum spricht zärtlich von diesem imposanten Gerät, für dessen Transport er den Keller eigens mit einem Deckenkran ausgerüstet hat.

Seine Hammondorgel transportiert er auch an Sessions des Duos Azeotrop mit Drummer Peter Conrad Zumthor oder zu Kammerkonzerten. Gerade übt er für eine Koproduktion mit dem Ensemble der Basler Violonistin Helena Winkelmann. “Helena hat bei mir ein Stück für Hammond und Kammerensemble bestellt”, sagt Blum nicht ohne Stolz und erklärt seine komplexe Komposition rund um den Archeklang-Akkord. “Natürlich habe ich mir selbst den schwierigsten Part geschrieben”, schmunzelt er. “Ich bin seit Wochen am Üben.”

Und wenn Dominik Blum übt, gibt er alles. Für seine Solokonzerte wählt er oft harte Brocken aus. Und diese Stücke müssen, wenn Blum gestylt und mit stechendem Kajal-Blick vor Publikum tritt, perfekt sitzen. “Ich gebe wenig Konzerte, denn sie haben einen enormen Vorlauf.”

Sein zweites “Baby” – Blum wieselt in nullkommanichts vom Keller in den ersten Stock hinauf – steht in der guten Stube des Hauses: ein Steinway B Flügel. Der Pianist strahlt: “Mit dem kann ich alt werden.” Dominik Blum ist 52 und strotzt vor Energie. Abgesehen von den vielen Aktivitäten mit seinen “zwei Babies” pflegt er mehrere Hobbies: Er spielt E-Bass in seiner Rockband “Age”, hat eine Funkband gegründet – “ich wollte wissen, wie das technisch funktioniert” – und springt in der Balkanband “The Nozez” seines erfolgreichen Sohnes Seraphim von Werra ein.

Sein Geld verdient Blum längst nicht mehr als Kirchenorganist, sondern als gewählter Musiklehrer an der Kantonsschule Küsnacht ZH. “Das ist mein Glück”, sagt er, “ich muss mit meiner Musik kein Geld verdienen.”

Aus dem Paradies verstossen

Mit “seiner” Musik meint er den stetigen Wechsel zwischen jenen Klangwelten, die andere Musiker kaum zu vereinen wissen. Seine Steinway-Morgen mit Mozart in der Stube, seine Rock-Nachmittage mit Kollegen im Hurdenkeller und seine Avantgarde-Abende in Konzerthallen.

Doch Dominik Blum betont: “Mein Grenzgängertum ist nicht auf Töne beschränkt, sondern etwas Integrales. Ich denke und musiziere nicht nur über den Gartenhag, sondern ich lebe auch so – und provoziere damit.” Blum spricht auf seine Erscheinung an – Leder, Kajal, aber auch luftige Sommerkleidung, niemals aber FlipFlops! Immer wieder merke er zudem, dass er andere Sachen lese als die Meisten und mit seinen philosophischen oder politischen Ansichten alleine bleibe.

Dominik Blum steht auf der ausladenden Terrasse, die einen kleinen noch unverbauten Schnitz Seesicht gewährt. Mit Blick auf die benachbarten Neubauten meint er: “Zuweilen bewundere ich Leute, die in ihren Gärtlis sitzen und sich dort einrichten…” Er lacht: “Musikalische Gärtlis natürlich: Ensembles, Orchester. Das kann schon sehr angenehm sein.” Aus diesem Paradies aber habe er sich selbst verstossen, meint er dann. “Und ich führe ein sehr freies Leben, kann tun und lassen, was ich will.”

Verfasser: Frank von Niederhäusern, sfd

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