Freis kritischer Rückblick und Kuhns epochaler Blackout
Fussball - Alex Frei rollt die letzten zwei WM-Teilnahmen nochmals auf. Die persönliche Rückschau beinhaltet Enttäuschungen und unverschuldete Dramen, aber auch pure Freude, ja schon fast ekstatische Erlebnisse.
Der Schweizer Rekord-Topskorer hat immer polarisiert. Konfrontation, euphorischer Zuspruch, schroffe Ablehnung. Alle Facetten gehörten zum Programm. Warmer Applaus und schrille Pfiffe. Kaum ein anderer Schweizer Top-Spieler der letzten Dekaden löste in der Öffentlichkeit derart unterschiedliche Reaktionen aus. Am 14. April vor einem Jahr war er abgetreten, der Stürmer, der in 84 Länderspielen die Rekordmarke von 42 Treffern erreicht hatte.
Frei stand in jeder Beziehung für konsequentes Handeln. Sein quasi fliegender Wechsel ins Management des FC Luzern war im Prinzip die logische Fortsetzung der Laufbahn eines unerschütterlichen und überaus erfolgreichen Fussball-Aufsteigers. Als Sportchef betrachtet er das Business differenzierter als zuvor. Er ist inzwischen weniger stürmisch, sondern mehr strategischer Beobachter und Planer. Wie es sich auf der anderen Seite anfühlt, hat der 34-jährige aber selbstredend nicht vergessen.
Das schlechte Bauchgefühl
Mit der kommenden WM-Endrunde wird sich Frei täglich beschäftigen: "Es ist spannend zu sehen, welche Tendenzen sich abzeichnen." Zweimal stand er selber mitten auf der global wichtigsten Bühne. Die Dimension, die Bedeutung, Frei erinnert sich an jedes Detail. "2010 war die WM auf einem anderen Kontinent, weit weg von zu Hause." Nach dem 1:0 gegen Spanien sei im Team eine Euphorie zu spüren gewesen, die dann aber schnell einmal abflachte. "Ich hatte das Gefühl, dass nach der Niederlage gegen Chile nicht mehr jeder daran glaubte, Honduras 2:0 schlagen zu können."
Für ihn persönlich war das Projekt in Südafrika vom ersten Tag an alles andere als wunschgemäss verlaufen. Im letzten Training vor dem Abflug hatte sich Frei am Knöchel verletzt. "Ich hoffte, innerhalb von zehn Tagen wieder fit zu werden." Das Comeback im zweiten WM-Spiel endete indes frühzeitig. Behrami sah Rot, Frei wurde noch vor der Pause aus taktischen Gründen ersetzt. Bis zum enttäuschend frühen Out in der Gruppenphase kam er auf kärgliche 63 Einsatzminuten.
Dass er sich 2010 als (verletzter) Captain erst spät einmal zur allgemeinen SFV-Lage äusserte, interpretierten zahlreiche Kommentatoren als Separatismus aus unlauteren Gründen. Ein Frei in eigener Sache sozusagen, der sich nach dem Geschmack der Reporter vordergründig zu wenig Gedanken über die Mission der Equipe machte. "Aber ich sah den Sinn dahinter nicht ganz, täglich Wasserstandsmeldungen über meinen Fuss abzugeben", hält Frei dagegen.
"Wenn ich mir nochmals alles durch den Kopf gehen lasse und analysiere, komme ich zu einem klaren Ergebnis: Ich wäre wohl besser zu Hause geblieben. So wie es mir mein Bauchgefühl immer sagte." Er habe vor vier Jahren zu viele Ratschläge befolgt. Verbittert ist der Rekordtorschütze wegen seines missratenen letzten Turniers nicht: "Nachtrauern muss ich dieser WM nicht. Vielleicht hat es einfach so sein müssen."
Zuerst wunderbar, dann sonderbar
Zu Gast bei deutschen Freunden war Frei vor acht Jahren. Von den Festwochen im Nachbarland ist vor allem das Positive haften geblieben: "Die tolle Atmosphäre im Land hat sich auf das Team übertragen. Freude, Spass, Enthusiasmus, tolle Spiele. Die Konstellation war eigentlich überragend." Nach dem torlosen Auftakt gegen Frankreich versetzte die SFV-Auswahl mit einem 2:0 gegen Togo rund 50'000 Schweizer Fans in Dortmund in einen Ekstase-Zustand und stiess wenige Tage später gegen Südkorea (2:0) in die Achtelfinals vor.
Frei traf in zwei von drei Spielen der Vorrunde. Eine wunderbare Geschichte bahnte sich an, bis Köbi Kuhn in Köln gegen die Ukraine in der 117. Minute beim Stand von 0:0 die Übersicht verlor. Er wechselte unmittelbar vor dem Penaltyschiessen ausgerechnet den Elfmeter-Spezialisten par excellence aus. Das bizarre Ende der Story ist bekannt - alle SFV-Schützen scheiterten. Mit seinem unverständlichen Entscheid beschleunigte Kuhn das Desaster. "Zunächst habe ich gar nicht realisiert, was geschehen ist. Erst als ich auf der Bank sass, fragte ich mich: 'Warum macht er das?'"
Noch heute betont Frei aber ohne das geringste Zögern, dass er seinem ehemaligen Nationaltrainer und Mentor keinerlei Vorwürfe mache und ihm den sonderbaren Strategiefehler nicht verüble. "Ich habe es Herrn Kuhn nie persönlich genommen. Dazu war unser Verhältnis viel zu gut." Auch Jahre später kommt Frei kein plausibler Grund für den verhängnisvollen Fehler in den Sinn: "Er hatte wohl einen Blackout. Aus heutiger Sicht betrachtet würde er den Wechsel so wahrscheinlich nicht mehr machen."