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Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich stirbt 94-jährig

(Keystone-SDA) Die Psychoanalytikerin und Autorin Margarete Mitscherlich ist tot. Sie starb am Dienstagmorgen wenige Wochen vor ihrem 95. Geburtstag in einer Klinik in Frankfurt am Main, teilte das Sigmund-Freud-Institut mit.

Die Grande Dame der Psychoanalyse war viele Jahre an dem Frankfurter Institut tätig. Gemeinsam mit ihrem 1982 verstorbenen Mann Alexander Mitscherlich analysierte sie in “Die Unfähigkeit zu trauern” (1967) die Nachkriegsgesellschaft. Der Bestseller über die kollektiven Verdrängungsmechanismen der Deutschen gilt als ein Schlüsseltext der Studentenbewegung.

Zeitweise in der Schweiz gearbeitet

Als Tochter eines dänischen Arztes und einer deutschen Lehrerin kam Margarete Nielsen 1917 in Dänemark zur Welt. Ihr Abitur machte sie während der Nazi-Diktatur in Flensburg. Nach dem Medizin-Studium in München und Heidelberg arbeitete sie vorübergehend in der Schweiz, wo sie Alexander Mitscherlich kennenlernte.

Den 1949 geborenen gemeinsamen Sohn Matthias vertraute sie zeitweise ihrer Mutter an, weil sie ihn wegen der eigenen Berufstätigkeit dort besser versorgt glaubte. Das brachte ihr später viel Kritik ein. Erst 1955 heiratete das Paar und begründete eine jahrzehntelange Liebes- und Arbeitsbeziehung.

Margarete Mitscherlich wandte sich später der Frauenbewegung zu. In ihrem bedeutendsten eigenen Buch, “Die friedfertige Frau” (1985), legte sie dar, dass Frauen nicht von Natur aus weniger aggressiv sind, sondern ihr vermeintlich ausgleichendes Wesen nur erlernt haben.

“Radikalität des Alters”

Noch im Herbst 2010 hatte die Medizinerin ein Buch mit dem Titel “Die Radikalität des Alters” geschrieben. Sie konnte nicht mehr in ihr geliebtes Ferienhaus am Lago Maggiore reisen und benötigte ein Rollwägelchen. Verbitterung blieb ihr aber immer ein Fremdwort. Mit ihrem Leben sei sie rückblickend “ganz zufrieden”, sagte Mitscherlich zu ihrem 90. Geburtstag.

Bis zuletzt hielt sie noch gelegentlich psychoanalytische Sitzungen ab, las zwei Tageszeitungen und den “Spiegel” und schrieb E-Mails.

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