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Affäre Bellasi: Bericht empfiehlt Reorganisation des Nachrichtendienstes

Die Geschäftsprüfungsdelegation empfiehlt dem Bundesrat zur Affäre Bellasi, die Untergruppe Nachrichtendienst (UG ND) unverzüglich zu reorganisieren. Deren Führung habe eine Verschlechterung des Arbeitsklimas weder erkannt noch gestoppt.

Die Geschäftsprüfungsdelegation empfiehlt dem Bundesrat in einem am Mittwoch (1.12.) veröffentlichten Bericht über die Affäre Bellasi, die Untergruppe Nachrichtendienst (UG ND) unverzüglich zu reorganisieren. Die Führung der UG ND habe eine Verschlechterung des Arbeitsklimas nicht klar genug erkannt und nicht gestoppt.

Die Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte, das parlamentarische Aufsichtsgremium über die Geheimdienste des Bundes, veröffentlichte in Bern ihren Bericht über die Vorkommnisse in der Untergruppe Nachrichtendienst des Generalstabs. Die Vorkommnisse in der UG ND haben die extreme Verletzlichkeit des Dienstes aufgezeigt, wie die Delegation in ihren allgemeinen Schlussfolgerungen schreibt. ‹In der Tat genügte eine verhältnismässig banale Betrugsaffäre, um die UG ND aus dem Gleichgewicht und – wenigstens vorübergehend – ihre Führungsspitze zu Fall zu bringen›, heisst es. Was zu vielen Fragen Anlass gebe, sei nicht der Fall Bellasi an sich, sondern das, was er ausgelöst habe.

Die Delegation stellte ein tiefes Unbehagen im militärischen Geheimdienst fest. Obwohl sich die Tätigkeit des Dienstes nach dem Ende des Kalten Krieges vom Militärischen in den Bereich der allgemeinen Sicherheit, Politik und Wirtschaft verschoben habe, sei die Organisation, Führung und Kultur weiterhin militärisch geprägt. Dies schuf gemäss Delegation eine Kluft zwischen zivilen Spezialisten und der militärischen Hierarchie und führte zu Clan-Bildungen, denn abgesehen vom Bürochef gebe es keine wichtige Stelle, die nicht von einem Offizier besetzt sei. ‹Die Delegation ist der Meinung, dass die Führung der UG ND – abgesehen vom Fall Bellasi – die Anzeichen der Verschlechterung des Arbeitsklimas nicht klar genug erkannt hat oder dass sie nicht in der Lage war, dieser Situation ein Ende zu setzen›, heisst es. Das Problem sei auch der Führung dem Generalstabschef und dem Departementchef bekannt gewesen. Indessen seien nie Massnahmen getroffen worden. Dem Bundesrat wird empfohlen, den UG ND unverzüglich zu reorganisieren. Dem strategischen Nachrichtendienst sei durch Gesetzesänderungen die Stellung zu verschaffen, die ihm innerhalb der Staatsführung zukomme.

Vertauensverlust als grösster Schaden

Primär ging es bei der Untersuchung darum, ob durch die Machenschaften des ehemaligen Rechnungsführers Dino Bellasi, dem die Veruntreuung von 8,8 Millionen Franken vorgeworfen wird, die Geheimhaltung verletzt wurde. Dies scheint nach Erkenntnissen der Delegation nicht der Fall zu sein. Insgesamt handelt es sich nach ihr bei den Straftaten um einen Betrug mit Urkundenfälschung, der in irgendeinem Bundesamt hätte begangen werden können, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben gewesen wären. ‹Der grösste Schaden, den der Untergruppe Nachrichtendienst mit dieser Affäre entstanden ist, dürfte der Vertrauensverlust sein, den sie dadurch bei den ausländischen Diensten und Informationsquellen sowie in der Öffentlichkeit erlitten hat›, heisst es im Bericht.

Die Bundesanwaltschaft hat den Fall Bellasi vergangene Woche an die Eidgenössische Untersuchungsrichterin überwiesen. Sie wirft ihm Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung, Amtsanmassung, Geldwäscherei, falsche Anschuldigung sowie Verleumdung vor. Der ehemalige Rechnungsführer im militärischen Nachrichtendienst soll zwischen März 1994 und Juli 1999 bei der Nationalbank mit so genannten Vorschussmandaten rund 8,8 Millionen Franken in bar illegal bezogen haben. Der heute 39-Jährige begründete die Bezüge mit fiktiv aufgebotenen Truppenteilen des Nachrichtendienstes. In Wirklichkeit setzte er das Geld aber zur persönlichen Verwendung ein. Der Mitangeschuldigte Fred Schreier, Oberst im Generalstab und zeitweise Vorgesetzter Bellasis, wird des Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung verdächtigt.

Südafrika-Vorwürfe nicht bestätigt

Die Südafrika-Vorwürfe an den militärischen Nachrichtendienst sowie an dessen Chef Peter Regli haben sich gemäss der parlamentarischen Untersuchung als haltlos erwiesen. Bemängelt wird aber die politische Führung des Geheimdienstes. In Zukunft soll der Bundesrat über regelmässige Auslandkontakte entscheiden.

Die Delegation der Geschäftsprüfungskommission der Eidgenössischen Räte untersuchte seit dem Frühling die Beziehungen der Gruppe Rüstung und des militärischen Nachrichtendienstes zum Apartheid-Regime Südafrikas. Ausgelöst wurde die Untersuchung durch die Verhaftung des Westschweizer Fernsehjournalisten Jean-Philippe Ceppi im vergangenen März in Kapstadt. Der Vorfall hatte in der Schweiz ein grosses Echo ausgelöst, wobei schwer wiegende Verdächtigungen und Mutmassungen über eine angebliche Beteiligung des wegen der Affäre Bellasi suspendierten Chefs des militärischen Nachrichtendienstes, Divisionär Peter Regli, am Aufbau eines biologischen und chemischen Waffenprogrammes in Südafrika geäussert wurden.

Der Vorwurf an die Adresse Reglis und des Nachrichtendienstes hat sich auf Grund der Abklärungen der Delegation als haltlos erwiesen, wie sie in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Bericht schreibt. Die Unterstellung, Regli sei Mitwisser oder gar Förderer dieses Waffenprojektes gewesen, entbehre jeglicher Grundlage. Ebenso wenig treffe es zu, dass Regli mit dem Chef des südafrikanischen Geheimprojektes, Wouter Basson, Kontakt gepflegt habe. Nachweisbar sei nur ein von Jürg Jacomet, einem Bekannten Reglis, organisierter Besuch Wouters bei Regli im Bundeshaus.

Als einziger Vowurf muss sich Regli gefallen lassen, er habe zu wenig Gewicht auf die Auswahl, Instruktion und Beaufsichtigung des informellen Mitarbeites Jacomet gelegt, allzu leichtgläubig auf ihn vertraut und sein Doppelspiel nicht durchschaut. Jacomet besuchte mit Regli die Offiziersschule; er gab sich später immer wieder als Mitarbeiter des Flieger- und Fliegerabwehr-Nachrichtendienstes und des militärischen Nachrichtendienstes aus. Er galt als Waffen- und Kriegsmaterialhändler, konnte aber von der Delegation nicht befragt werden, da er im Oktober 1998 auf den Philippinen starb. Die Delegation empfiehlt dem Bundesrat, dass er Weisungen für die Auswahl, Instruktion und Kontrolle von Informanten und informellen Mitarbeitern erlässt.

Auch beim AC Laboratorium Spiez kann nach den Erkenntnissen der Delegation keine Rede davon sein, dass es sich aktiv oder passiv an einem geheimen Waffenprojekt Südafrikas beteiligt habe. Es habe sich vielmehr sehr zurückhaltend und geradezu vorbildlich verhalten gegenüber Versuchen südafrikanischer Kreise, an schweizerische Forschungsergebnisse zu gelangen.

Kontakte zu südafrikanischen Diensten abgesegnet

Was die Kontakte des Nachrichtendienstes zu südafrikanischen Diensten während des Kalten Krieges angeht, schreibt die Delegation, das beachtliche Informationspotenzial an einer weltpolitisch wichtigen Front sei mit Recht genutzt worden. Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Informationsbeschaffung mit illegalen Mitteln erfolgt sei oder gegen Weisungen verstossen habe. Als unbefriedigend empfindet das oberste Aufsichtsorgan über die Geheimdienste die Tatsache, dass der Nachrichtendienst in einer gefahrvollen Zeitperiode an einer sensiblen Informationsfront ohne Direktiven und ohne nennenswerte Führung der politisch verantwortlichen Behörde tätig sein konnte. Dem Bundesrat wird empfohlen, das Primat der Politik durchzusetzen und über die Aufnahme, Pflege und Kontrolle regelmässiger Auslandskontakte im nachrichtendienstlichen Bereich zu schaffen.

SRI und Agenturen

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