
Calmy-Reys Kriegsopfer-Liste verzögert sich

Die von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey für Montag angekündigte Publikation einer Liste mit den zivilen Opfern des Irak-Kriegs wird sich um einige Tage verzögern.
Der Plan der Aussenministerin hat inzwischen Skepsis hervorgerufen.
Der entsprechende Link auf der Homepage des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) werde in den nächsten Tagen veröffentlicht, gab das Aussenministerium am Montag bekannt. Weitere Informationen sind auf Dienstagnachmittag in Aussicht gestellt.
Die Politische Direktion des EDA arbeite zurzeit an der Liste, sagte ein Sprecher. Die Liste soll im Vergleich von verschiedenen Quellen hergestellt werden. Es sei aber sehr schwierig, genaue Angaben zu erhalten, hiess es beim EDA.
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Die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK), Lilly Nabholz (FDP/ZH), riet von der geplanten Publikation ab. «Ich finde die Sache nicht positiv und würde eher empfehlen, dass man das nicht macht», sagte sie gegenüber Radio DRS.
Die Freisinnig-Demokratischen Partei teilt die Meinung ihrer Nationalrätin. «Frau Nabholz hat absolut recht», sagte FDP-Generalsekretär Guido Schommer gegenüber swissinfo. Es sei schwierig zu begründen, weshalb gerade die Schweiz eine solche Liste zu diesem Konflikt führen soll. Es sei auch nicht einsichtig, weshalb auf dieser Liste die militärischen Opfer nicht aufgeführt werden sollen.
«Ich war echt betroffen, als ich gehört habe, dass man nicht davor zurückschreckt, das Kriegsleiden auf diese Art und Weise für politische Public Relations zu missbrauchen. Deshalb bin ich nicht unglücklich, wenn diese Liste nicht zustande kommt», erklärte Schommer.
Schnellschuss
Kritik kommt auch von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). «Frau Calmy-Rey ist in ihren drei, vier Monaten, in denen sie im Amt ist, vor allem durch Schnellschüsse aufgefallen, durch Vorstösse, die etwas unüberlegt sind, und da gehört auch diese Liste dazu», sagte SVP-Pressesprecher Yves Bichsel gegenüber swissinfo.
Eine solche Liste könne missbraucht werden von den Propaganda-Apparaten, die in diesem Krieg eine wichtige Rolle spielten. «Man kann ja nicht überprüfen, wer wirklich ums Leben gekommen ist», so Bichsel. Zudem wäre es eine «einseitige» Liste, weil nicht alle Opfer, also auch die militärischen, aufgeführt würden.
Für die SVP sei es höchste Zeit, dass der Bundesrat die Aussenministerin «endlich in die Schranken weist und ihr beibringt, dass solche Aktionen nichts bringen, weder für den Krieg noch für die Schweiz», erklärte Bichsel.
Für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ist es wichtig, dass die Liste nicht sofort aufgeschaltet wird. «Für uns ist das ein Schnellschuss und nicht eine politisch durchdachte Handlung», sagte CVP-Pressechefin Béatrice Wertli gegenüber swissinfo. Das könne man sich in diesem Fall sicher nicht erlauben.
Die Grundlagen für diese Liste seien noch nicht klar. Es stelle sich für die CVP die Frage, ob man das auf der «Stufe Schweiz» machen solle oder ob es nicht besser wäre, das Anliegen dem IKRK oder der UNO zu übergeben. Man müsse die Sache noch einmal überdenken, erklärte Wertli.
Skepsis
Skeptisch stehen dem Plan auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen gegenüber. Die stellvertretende Generalsekretärin der Schweizer Sektion von Amnesty International, Andrea Huber: «Die Zahl der zivilen Opfer kann zur Zeit nicht zuverlässig ermittelt werden. Und dann kann die Liste sehr leicht zu Propaganda-Zwecken missbraucht werden.» Von da her sei die Organisation sehr skeptisch, «auch wenn wir sonst das Engagement sehr unterstützen», erklärte Huber.
Amnesty International will deshalb lieber über einzelne Schicksale berichten. So erfahre man, wie die Zivilbevölkerung unter dem Krieg leide. Man könne punktuell Aufrufe an die Verantwortlichen machen.
Die Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Antonella Notari, fände die Publikation einer solchen Liste einen guten Beitrag für die Berichterstattung zu diesem Krieg, wenn dies jemand könne. Dazu müsse aber eine glaubwürdige Quelle gefunden werden, die vielleicht auch gegengecheckt werden könnte.
Eine private Kommission, die sich «Commission for human security» nennt, veröffentlicht im Internet Zahlen von zivilen Kriegsopfern. Sie beruft sich auf 38 Quellen, zur Hauptsache Nachrichtenagenturen und Zeitungen.
Eine der Quellen ist das Bulletin des IKRK, das mit den Spitälern im Irak zusammenarbeitet. «Wir haben aber keinen Gesamtüberblick», sagte Antonella Notari. «Das ist für uns leider unmöglich. Unsere Prioritäten sind im konkreten Einsatz, in dem wir Spitäler unterstützen oder Wasserversorgungen wieder herstellen.»
Solche Zahlen zusammenzutragen, sei sehr schwierig. Wichtig sei auch, dass das IKRK in seinen Berichten nicht zwischen zivilen und militärischen Opfern unterscheide.
Hoffnung auf Umsetzung
Für die Sozialdemokratische Partei (SP) von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ist die Idee der Liste «begrüssenswert», wie Mediensprecher Jean-Philippe Jeannerat gegenüber swissinfo sagte. «Wir hoffen, dass sie sich umsetzen lässt.»
Wahrscheinlich habe man aber feststellen müssen, dass es nicht einfach sei, eine derartige Liste zu erstellen. Man brauche jetzt mehr Zeit, «um wirklich eine objektive Basis dafür zu gewinnen, statt allfällig nicht kontrollierbare Daten zu veröffentlichen», so Jeannerat. Mit einem politischen PR-Manöver habe die ganze Sache aber nichts zu tun.
Bundesrätin Calmy-Rey hatte die Publikation der Liste in einem Interview des «SonntagsBlick» für Montag in Aussicht gestellt und den Schritt mit dem Umstand begründet, dass die Schweiz Depositarstaat der Genfer Konventionen ist. Darin sei unter anderem das Prinzip festgehalten, dass bei der Kriegsführung zwischen ziviler und militärischer Bevölkerung zu unterscheiden sei.
Wichtig sei an der Liste, die laufend aktualisiert werde, dass sie eine Übersicht gebe und bewusst mache, wie schrecklich die Folgen des Kriegs seien, hatte die EDA-Chefin gesagt. Das EDA will auf seiner Website indessen darauf hinweisen, dass die Liste nicht vollständig ist.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Die Publikation der Zivilopfer-Liste des Irak-Krieges, die das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Montag auf seiner Homepage aufschalten wollte, verzögert sich. Sobald das EDA die Quellen zusammengestellt hat, soll die Liste publiziert werden.
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey will mit dieser Liste auf die Schrecken des Krieges aufmerksam machen. Die Idee dafür sei aus der Überlegung entstanden, dass die Schweiz der Depositarstaat der Genfer Konventionen sei.
Die geplante Liste stösst bei Menschenrechts- und Hilfsorganisationen auf Skepsis und bei politischen Parteien auf Kritik.

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