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Amerikaner aus Hägendorf

Die Roethelis und Rettles vor der Kirche in Hägendorf. In der Mitte Serge Roetheli mit seiner Frau Nicole. swissinfo.ch

Vor 151 Jahren sind Franz und Anton Rötheli mit ihren Eltern in die USA ausgewandert. Ihre Nachfahren besuchten im Mai Ort und Land der Vorfahren.

Dass es überhaupt so weit kam, verdanken sie den hartnäckigen Nachforschungen von Joe Roetheli aus Springfield, Virginia.

Am 8. Mai traf der Walliser Serge Roetheli mit seiner Frau Nicole in Saillon ein, dem Ziel seines 40’000 Kilometer langen Rennens zu Fuss rund um die Welt. Auf dieser “Reise” sammelte er Geld für die armen Kinder dieser Welt.

Am Ziel in Saillon begrüssten ihn – nebst viel Prominenz – auch 13 Roethelis aus den USA.

Wie kommt es, dass am Ort mit dem kleinsten Weinberg der Schweiz Roethelis aus dem fernen Amerika den Weltenbummler willkommen heissen?

Die Geschichte ist fast so lang wie Röthelis Weg rund um den Erdball und beginnt 1854 im solothurnischen Hägendorf

Armut zwingt zur Auswanderung

In der Schweiz lebten viele Leute in grosser Armut. Die Gemeinden ächzten unter den Soziallasten, und aus dem sehr fernen Amerika kam die diffuse Kunde, dass dort alle Gold finden würden und das Geld förmlich auf der Strasse liege.

So förderten (um es gelinde zu sagen) die Gemeinden die Auswanderung der armen Bevölkerung Richtung Amerika. Wer ging, erhielt Geld für die Überfahrt und manchmal etwas Starthilfe, “damit sie nicht wieder zurückspediert werden”, wie es in den Urkunden heisst.

Allein am 17. März 1854 verlassen 115 Personen (20 Familien und 15 Ledige) Hägendorf. Unter den Auswandern: Urs Rötheli mit Frau und 7 Kindern, Franz Rötheli mit Frau und 6 Kindern.

Dann verlieren sich ihre Spuren. Doch nicht für immer.

Joe geht der Sache nach

1992 beginnt ein gewisser Joe Roetheli in den USA nach Spuren seiner Herkunft zu suchen. Sein Vater wusste vage, dass die Vorfahren vermutlich aus der Schweiz eingewandert waren.

Tatsächlich: auf der Einwanderungsbehörde der USA findet Joe ein Dokument, das besagt, dass die Rötheli-Familien am 25. Mai 1854 auf dem Schiff Roger Stewart in New Orleans ankamen, den Mississippi und den Missouri hochfuhren, um in der Ortschaft Hermann/Missouri sesshaft zu werden.

Dort schlug das Auswanderer-Schicksal brutal zu: In Hermann herrschte eine Cholera-Epidemie. Fast alle Röthelis starben. Einzig der 5-jährige Franz und der 7-jährige Anton sowie die kleine Eve überlebten. Drei Kinder von Franz Joseph und Katherina Rötheli aus Hägendorf.

Alle Roethelis, die heute in den USA leben, sind Nachfahren des damals 5-jährigen Franz junior.

Rettle sind auch Roetheli

Aber auch Anton hinterliess seine Spuren, nur waren diese noch schwieriger zu finden. Er kämpfte auf Seiten der Unionisten im Sezessionskrieg. Und wie die Dokumente zeigen, wurde sein Name – Anton konnte nicht schreiben – beim Eintritt in die Armee immer wieder verändert, bis er als Rettle in den Dokumenten auftaucht.

Erst 1996 trafen sich die Roethelis und die Rettles zum ersten Mal und stellten staunend fest, dass sie irgendwie verwandt waren.

Parallel zu seinen Nachforschungen in den USA suchte Joe Roetheli nach seinen Wurzeln in der Schweiz. Er wusste nur, dass seine Vorfahren wohl aus “dem Raum Zürich” in die USA eingewandert waren.

Die Spur führt nach Hägendorf

Auf einer Geschäftsreise suchte er im Zürcher Telefonbuch sämtliche Röthelis heraus. 1993 erhielten diese einen Brief von Joe Roetheli aus Springfield, Virginia.

Kurz: Via den Zivilstandsbeamten ihrer Bürgergemeinde Hägendorf, Max Rötheli, und das Staatsarchiv in Solothurn konnte bewiesen werden, dass Joe Roetheli ein Nachkomme des 1854 mit seiner Familie ausgewanderten Franz Rötheli aus Hägendorf ist.

Im Juli 1994 fand in Berger/Missouri eine erste “Roetheli Family Reunion” statt. Es trafen sich ganze 140 Nachfahren des Franz junior. Ehrengast war Thomas Rötheli aus Hägendorf, der als Austausch-Schüler in den USA weilte.

Schweizer Reise

Seither trafen sich die Röthelis “hüben und drüben” immer wieder. Und der Bürgerpräsident von Hägendorf, Kasimir Rötheli, sagte gegenüber swissinfo: “Wenn die USA-Roethelis schon in die Schweiz kommen, dann soll es ein tolles Fest geben.” Eine Roetheli Family Reunion made in Hägendorf. Das Fest solle zum Höhpunkt der Schweizer Reise der USA-Roethelis und Rettles werden.

Besagte Reise brachte sie in einem wahren Marathon zu vielen Sehenswürdigkeiten der Schweiz. Alle genossen die Reise und lobten insbesondere die Sauberkeit und Vielfalt der Schweiz – und nicht zuletzt das tolle Essen.

Der Rötheli-Stein

“Welcome to your hometown” stand vor der Kirche in Hägendorf. Aus der ganzen Schweiz kamen die Röthelis zum Fest. Auch Serge fehlte nicht. Nach dem Kirchgang sang der Jodlerclub und die Musikgesellschaft spielte die amerikanische Nationalhymne.

Kasimir Rötheli möchte mit dem Treffen auch den Grundstein legen für einen Schüleraustausch zwischen den Röthelis in den USA und Hägendorf.

So war die Enthüllung eines Gedenksteins in jenem Wald, der damals abgeholzt worden war, um Geld für die Auswanderer zu erhalten, Symbol für Vergangenheit und Zukunft.

Der Wald ist wieder nachgewachsen, und die Röthelis sind trotz Cholera-Epidemie nicht untergegangen. Das Leben geht immer weiter, soll uns der Rötheli-Stein im Wald sagen.

swissinfo, Urs Maurer, Hägendorf

1854 wanderten Urs und Franz Rötheli mit Frau und Kindern in die USA aus.

Am 25. Mai 1854 trafen sie in New Orleans ein.

Dann starben die meisten Familienmitglieder an einer Cholera-Epidemie.

Nur drei Kinder von Franz (Franz jr., Anton und Eve) überlebten.

Die Roethelis sind Nachfahren von Franz, die Rettles von Anton.

Der Name wird heute in den USA Roetheli und Rettle geschrieben. In der Schweiz Rötheli.

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