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Anwalt der Natur oder Wirtschaftshemmer?

Das Projekt für das neue Hardturm-Stadion gab den Anstoss zur Initiative. Keystone

Sollen Umweltverbände weiterhin das Recht haben, Projekte aus umweltpolitischen Bedenken überprüfen zu lassen? Eine Initiative will dem Verbandsbeschwerderecht den Riegel schieben. Am 30. November entscheidet das Stimmvolk.

Privaten Investoren und bürgerlichen Politikern ist es seit Jahren ein Dorn im Auge: Das Recht der Umwelt- und Heimatschutz-Organisationen, gegen Bauvorhaben Rekurs einzulegen.

Beim Rekurs eines Verbandes muss ein Gericht entscheiden, ob beim Erteilen der Baubewilligung die gesetzlichen Vorschriften bezüglich Umwelt- und Naturschutz eingehalten wurden oder nicht.

Auslöser der aktuellen Debatte war im Jahr 2004 ein Rekurs des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) und zahlreicher Nachbarn gegen das Hardturm-Stadion in Zürich. Dieses hätte für die Fussball-Europameisterschaft Euro 2008 ausgebaut werden sollen.

Das Projekt wurde durch die Beschwerde aufgeschoben, die Zürcher Gruppenspiele der Euro 2008 mussten wegen der gerichtlichen Überprüfung des geplanten Umbaus aus Zeitgründen in ein anderes Stadion verlegt werden.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) des Kantons Zürich bezichtigte deshalb den VCS der Verhinderungspolitik und reichte eine Volksinitiative mit fast 119’000 gültigen Unterschriften ein.

Keine Beschwerde nach Bewilligung

Die Initiative will den Umweltverbänden das Beschwerderecht entziehen, falls ein Projekt entweder bereits von der Gemeindeversammlung, bei einer kantonalen oder eidgenössischen Volksabstimmung oder von einem eidgenössischen, einem kantonalen oder einem Gemeindeparlament bewilligt wurde.

Falls die Initiative angenommen wird, sind bis Anfang 2010 verschiedene Anpassungen im Umwelt- und im Raumplanungsgesetz nötig, die beide das Verbandsbeschwerderecht als Rechtsmittel vorsehen.

Die Initianten vertreten den Standpunkt, dass Verbände ihre Anliegen wie alle anderen Betroffenen demokratisch vor Projektentscheiden einbringen sollten, statt diese nachträglich über Gerichte zu blockieren und zu verzögern.

“Bei demokratischen Entscheidungen, Parlamentsentscheiden, Volksabstimmungen, soll es Aufgabe der Verbände sein, ihre Argumente vorzubringen”, erklärt FDP-Ständerat Rolf Schweiger, der sich für die Initiative und damit gegen das Verbandsbeschwerderecht einsetzt.

“Aber dann, wenn diese Argumente vorgebracht wurden, soll es vorab und primär Sache der Parlamente und des Volkes sein, zu entscheiden.”

Schliesslich sollten Investoren grössere Planungssicherheit erhalten. Bauprojekte würden damit schneller vorankommen. Mit den rechtlichen Mitteln des Umweltrechts und der Behördenbeschwerde sei das Verbandsbeschwerderecht gar nicht mehr nötig, argumentieren sie.

Bundesrat und Parlament dagegen

Der Bundesrat und das Parlament lehnen die Initiative ab. Die Mehrheit der Abgeordneten argumentiert, das Parlament habe das Verbandsbeschwerderecht bereits 2007 stark eingeschränkt.

So müssen Umweltorganisationen bereits im Frühstadium der Planung Einsprache erhoben haben, um überhaupt noch einspracheberechtigt zu sein.

Bei missbräuchlichen Einsprachen müssen die Beschwerde führenden Organisationen die Verfahrenskosten übernehmen. Kantonale Sektionen sind nicht mehr rekursberechtigt.

Auf Seiten der Gegner engagiert sich Ratskollege Hansruedi Stadler von der christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Er ist für die Beibehaltung des Verbandsbeschwerderechts. “Diese Initiative ist unklar und schwammig formuliert. Sie ist staatspolitisch fragwürdig”, betont er.

Seit einem Jahr sei das vom Parlament “beschnittene” Beschwerderecht in Kraft. “Und es ist nicht richtig, wenn mit dieser Initiative in einem Schnellschuss eigentlich faktisch eine Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts angesteuert wird.”

Das Festhalten an der Initiative sei deshalb eine Zwängerei auf Kosten der Natur. Denn mehr als 60% der Verbandsbeschwerden seien erfolgreich und deshalb berechtigt.

Schliesslich betonen die Initiativ-Gegner, das Verbandsbeschwerderecht habe sich als ergänzendes Mittel zum Schutz der Heimat und damit der Lebensgrundlage erwiesen. Ohne intakte Landschaften gäbe es keinen Tourismus mehr, von dem die Schweiz stark abhängig sei.

swissinfo, Christian Raaflaub und Andreas Keiser

Damit in der Schweiz ein Volksbegehren an die Urne kommt, sind mindestens 100’000 Unterschriften nötig.

Da es sich bei einer Volksinitiative immer um eine Verfassungsänderung handelt, kommt sie automatisch an die Urne.

Am 30. November ist eine Mehrheit von Volk und Ständen (Kantone), entscheidend.

Gemeinden und landesweit tätige Organisationen, die sich für Heimat-, Natur-, Umweltschutz oder Denkmalpflege einsetzen, steht das Recht zu, eine Verbandsbeschwerde einzureichen.

Eine Organisation erhält nur dann das Beschwerderecht, wenn es sich um eine ideelle Vereinigung handelt, die seit mehr als zehn Jahren besteht und die gesamtschweizerisch im Umweltschutz, Natur- oder Heimatschutz tätig ist.

Zurzeit sind 30 Organisationen in der Schweiz berechtigt, unter bestimmten Bedingungen Beschwerde gegen die Planung, den Bau oder die Änderung von Anlagen einzulegen.

Der Bund erachtet das Verbandsbeschwerderecht als eine vom Staat zugewiesene Aufgabe, die Interessen der Natur anwaltschaftlich zu vertreten.

2007 reichten die Verbände nach eigenen Angaben 242 Beschwerden ein, 2006 waren es 248, 2005 deren 244 und 2004 deren 208.

Die Erfolgsquote vor Gericht betrug 2007 76%, 2006 70%, 2005 und 2004 jeweils 78%.

Ein beträchtlicher Teil der Beschwerden wurde jedoch nicht vor Gericht, sondern einvernehmlich geregelt: 2007 etwa wurden 100 der 242 Fälle auf diese Weise beigelegt.

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