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Anwalt für internationale Steuergerechtigkeit

Steuerakten (im Bild aus dem Kanton St. Gallen) sollen auch ins Ausland geliefert werden können. swissinfo.ch

Die Schweiz wehrt sich (noch) gegen den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen. Mit dessen Übernahme würde sie einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit im globalen Steuer-Wettbewerb leisten, sagt Markus Meinzer vom Tax Justice Network.

Die Nichtregierungsorganisation fordert seit ihrer Gründung 2002 Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten und lehnt sämtliche Geheimhaltungspraktiken ab. Als solche kritisieren TJN-Experten wie Markus Meinzer auch das Schweizer Bankgeheimnis.

Im Gespräch mit swissinfo.ch erläutert Meinzer, dass die Schweiz aus dem automatischen Informationsaustausch auch Vorteile ziehen könnte.

swissinfo.ch: Wie erklären Sie steuertechnischen Laien den automatischen Informationsaustausch?

Markus Meinzer: Heute kann eine ausländische Steuerbehörde nicht erkennen, wenn eine steuerpflichtige Person aus dem Ausland in der Schweiz oder in einem anderen Land ein Konto hat, oder ein Rechtskonstrukt oder eine Rechtsperson besitzt, in Form eines Unternehmens oder eines Trusts. Im automatischen Informationsaustausch wird genau diese Information übermittelt.

Hat beispielsweise Herr Meier aus Deutschland ein Konto in der Schweiz, meldet die Schweizer Bank dies der Schweizer Steuerbehörde. Diese wiederum leitet die Informationen weiter an die deutsche Steuerbehörde. Diese wiederum kann dann erkennen, dass Herr Meier ein Konto oder ein Unternehmen in der Schweiz besitzt, das er bei der deutschen Steuerbehörde nicht angegeben hat.

swissinfo.ch: Wie stichhaltig sind Einwände, dass dabei der Datenschutz verletzt würde?

M.M.: Das ist ein vorgeschobenes Argument. Zum einen gibt es in Doppelbesteuerungsabkommen und in bilateralen Verträgen Datenschutzklauseln. Schon beim Informationsaustausch auf Anfrage ist festgelegt, dass Informationen nur an Behörden weitergeleitet werden dürfen, die an der Steuerverwaltung und der Steuerjustiz beteiligt sind. Das Steuergeheimnis steht also über allen ausgetauschten Daten. Ein Bürger kann nicht zu Daten kommen, die über Konten oder Einkommen des Nachbarn Aufschluss erlaubten.

swissinfo.ch: Auch beim automatischen Informationsaustausch gibt es Umgehungsstrategien, Stichwort Verlagerung der Anlage in ein Land, das diesen Mechanismus nicht kennt. Wie können diese Löcher gestopft werden?

M.M.: Man kann Banken, die im Ausland operieren, eine Mitteilungspflicht über wirtschaftliche Eigentümer auferlegen, die von einem Konto, Unternehmen oder Trust profitieren. Daran lässt sich auch die Bedingung knüpfen, dass sich im betreffenden Rechtsraum, beispielsweise der EU, nur solche Banken, Institute oder Zahlstellen niederlassen dürfen, die sich verpflichten, am automatischen Informationsaustausch teilzunehmen.

In der überarbeiteten Zinsrichtlinie der EU, die vermutlich noch in diesem Jahr in Kraft tritt, existiert genau eine solche Bestimmung. Damit wird ein Ausweichen, etwa nach Asien, kaum mehr Aussicht auf Erfolg haben.

swissinfo.ch: Bei der Verteidigung des Bankgeheimnisses verwies die Schweiz bisher auch immer auf Steueroasen im Ausland. Ist diese Haltung glaubwürdig?

M.M.: Die Schweiz hat sich bisher – und zu Recht – gegen eine einseitige Verurteilung ihres Bankgeheimnisses gewehrt.

Sie hat immer hervorgehoben, dass Trusts und anonyme private Kapitalgesellschaften im Ausland – in den USA beispielsweise in Delaware oder Nevada, aber auch im Vereinigten Königreich – denselben Effekt haben können wie das Bankgeheimnis. Auch da besteht ein Schleier der Intransparenz, den ausländische Finanzbehörden nicht durchbrechen können.

Die Schweiz kann sich aber nur voll hinter diese Forderung stellen, wenn sie selbst glaubwürdig wird. Das geschieht, indem sie den automatischen Informationsaustausch einführt. Nur dann kann sie zu einem ebenen Wettbewerbsfeld beitragen und diese Forderung in internationalen Verhandlungen legitim vorbringen. Das ist nötig, weil das Problem der Trusts und anonymen Gesellschaften international nicht gelöst ist.

swissinfo.ch: Die Schweizer Banken versuchen, eine Abgeltungssteuer ins Spiel zu bringen. Wie schätzen Sie die Chancen dazu ein?

M.M.: Ich glaube nicht, dass das Ausland eine solche akzeptieren wird, weil es kein Interesse daran gibt. Damit wird die Steuerprogression unterlaufen, weil die Länder nicht mehr ihren eigenen Steuertarif anwenden können. Das Prinzip der steuerlichen Gleichbehandlung ist somit gebrochen, weil Kapitaleinkommen gegenüber den Lohneinkommen bevorzugt werden.

Zudem geht der Trend eindeutig Richtung Transparenz und Informationsaustausch, was die Abgeltungssteuer gerade zu verhindern versucht. Schliesslich sind Entwicklungsländer von diesem Vorschlag bisher völlig ausgeschlossen, werden also weiter am meisten unter den gängigsten Praktiken zu leiden haben.

swissinfo.ch: Es gibt kaum Zahlen über Steuererträge, die aufgrund des automatischen Informationsaustausches fliessen. Weshalb?

M.M.: Finanzämter und -ministerien gehören grundsätzlich zu den intransparentesten Behörden; im Bereich der Besteuerung herrscht ein riesiges Demokratiedefizit.

Wir haben zu wenig Daten, national wie auch international. Institute wie die Weltbank und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) halten systematisch Daten zurück, die das Ausmass der wahren Steuerhinterziehung und der negativen Effekte für die Entwicklungsländer belegen könnten. Dies aus Angst, dass die Veröffentlichung solcher Daten die makroökonomische Situation verschlechtern würde.

swissinfo.ch: Zum zeitlichen Horizont: Wie lange kann die Schweiz das Bankgeheimnis noch halten oder wann wird die Schweiz den automatischen Informationsaustausch akzeptieren?

M.M.: Ich denke, noch in diesem Jahr, das ist eher eine Frage von Monaten als von Jahren. Vieles in der Schweiz bewegt sich darauf hin, dass sie sich mit diesem System anfreundet. Gerade, weil sich einige der grobschlächtigsten Argumente dagegen als Unfug erweisen.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Innerhalb der EU lehnen Österreich und Luxemburg den automatischen Informationsaustausch ab.

Sogar in den USA existieren Steueroasen, nämlich die Bundesstaaten Nevada, Florida und Delaware (“Delaware- und Nevada-Companies”). Letzterer kennt nicht nur eine tiefe Steuerbelastung, sondern jedermann kann dort anonym ein Unternehmen gründen.

In England werden Auslandsinvestitionen von ausländischen Investoren, die im Land leben, von der Steuer befreit.

Privatpersonen können die Steuerabgabe vermeiden, indem sie alle Vermögenswerte in einen Trust einbringen.

Auf den beiden britischen Kanalinseln Guernsey und Jersey versteuern ausländische Kontoinhaber
keine Spekulationsgewinne.

Die karibischen Virgin Islands verzichten vollständig auf Quellen-, Kapital-, Erbschafts- und Körperschaftssteuern. Die Cayman Islands
sind dank minimalster Besteuerung zum
fünftgrössten Finanzplatz überhaupt avanciert.

In Asien mauserten sich Hongkong und Singapur dank Bankkundengeheimnis und tiefe Steuern zu Steueroasen.

Die Plattform Steuerwende setzt sich in der Schweiz ebenfalls für Steuergerechtigkeit ein.

Sie ist personell teilweise mit dem Tax Justice Net vernetzt.

Initianten: Attac, Erklärung von Bern (NGO), Denknetz Gewerkschaften.

Unterstützende Organisationen (Auswahl):

Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP), Grüne Partei Schweiz, Christlich-soziale Partei (CSP), Aktion Finanzplatz, Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Fachstelle OeME, Verband des Personals öffentlicher Dienste Schweiz (VPOD) und Unia Schweiz.

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