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AOC: Waffe gegen die Globalisierung

AOC-Produkte: Walliser Roggenbrot, Gruyère-Käse, Saucisse d'Ajoie. swissinfo.ch

Mit etwas Verspätung fasst die geschützte Ursprungsbezeichnung für Agrarprodukte in der Schweiz Fuss. Die Gütesiegel sollen Qualität und Herkunft der Produkte garantieren und schützen.

Die ersten Erfahrungen sind positiv: Der Absatz der Produkte konnte deutlich gesteigert werden.

Viele Vorteile

Die Vorteile dieser Zertifizierungen liegen auf der Hand, vor allem für die Konsumenten, die durch Lebensmittelskandale und die Risiken, welche durch industriell erzeugte Lebensmittel entstehen können, zusehends verunsichert sind.

Aber auch die Produzenten haben Vorteile. Dank der Gütesiegel verbessern sie ihre Sichtbarkeit auf dem Markt und erhöhen so das Vertrauen der Konsumenten in ihre Produkte.

“Um den guten Namen ihrer Produkte zu erhalten und die Marktchancen zu verbessern, haben die Verbände der Produzenten ein vitales Interesse daran, die Qualitätskriterien möglichst hoch zu setzen”, sagt Frédéric Brand vom Bundesamt für Landwirtschaft.

Die Erfahrungen mit AOC-zertifizierten Produkten scheinen dieser Philosophie Recht zu geben. Der Absatz von Vacherin Mont d’or stieg um 20 Prozent an, die Produktion von Walliser Roggenbrot wurde verdoppelt, und die Nachfrage nach dem Genfer Blattstielgemüse „Cardon
épineux genevois“ (seit Oktober 2003 AOC) kann nicht mehr befriedigt werden.

Das Interesse an AOC und IGP hat auch rechtliche Aspekte. Denn das Siegel schützt vor Nachahmungen und Fälschungen. Der zunehmende Freihandel führt dazu, dass Produkte in immer entferntere Regionen verkauft werden. Dies ist eine Chance, aber zugleich auch ein Risiko, beispielsweise durch Konkurrenz unter falschem Namen.

Nicht-rationelle Produktionsmethoden

“Man kann für oder gegen die Globalisierung sein. Aber in einer globalisierten Landwirtschaft muss man sich einfach anpassen”, sagt Jacques Henchoz, Präsident der Schweizerischen Vereinigung zur
Förderung der AOC und IGP.

“In anderen Teilen der Erde ist es möglich, auch 1000 Hektaren Land vernünftig zu bewirtschaften. Doch in unseren Bergtälern gibt es nur Raum für Qualitätsprodukte, die den Konsumenten wegen ihres spezifischen Berggeschmacks ans Herz wachsen”, meint Henchoz, der als Vater des ersten AOC-Produkts, des Etivazkäses, gilt.

Um beispielsweise den typischen Charakter dieses Bergkäses zu erhalten, wird die Produktion sehr strengen und eigentlich unzeitgemässen Regeln unterworfen. Die Kühe werden nur mit Kräutern gefüttert. Die Milchverarbeitung findet auf dem offenen Feuer statt.

“Was wir machen ist vollkommen unzweckmässig. Es wäre rationeller, ein gemeinsames Produktionszentrum zu schaffen. Aber dann verlöre die Milch beim Transport typische Eigenschaften”, erzählt Henchoz.

“Anfänglich gab es viele Zweifel unter den Bergbauern, ob sich der Aufwand noch lohnen würde. Doch heute, dank des AOC-Zertifikats, ist die Stimmung umgeschlagen. Das Bewusstsein für den Wert ihres Produkts ist gestiegen.”

Schweiz mit Verspätung

In Frankreich erkannte man schon sehr früh die Bedeutung der kontrollierten Herkunftsbezeichnung. 1935 schützte man die einheimischen Weine mit dem AOC-Siegel vor einer Vielzahl von Fälschungen.

Die EU hat das französische Modell 1992 übernommen, praktisch zeitgleich mit dem Inkrafttreten des freien Warenverkehrs zwischen den 15 EU-Staaten. Das europäische AOC-Register weist 700 Produkte auf – ohne Weine.

In der Schweiz gab es kein Bedürfnis für Zertifizierungen, solange die Landwirtschaft praktisch in einem protektionistischen Rahmen wirtschaftete. Es begann erst mit der Öffnung des Agrarmarktes in den 90-er Jahren, zusammen mit den bilateralen Verhandlungen mit der EU und den Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO).

Derweil wird es immer schwieriger, gegen Fälschungen in anderen europäischen Ländern vorzugehen, wie die Fälle von Gruyère- und Emmentaler-Käse zeigen. Die Verhandlungen über die gegenseitige Anerkennung der AOC-Gütesiegel werden sich aber in die Länge ziehen, zumal die EU-Staaten immer noch unter sich streiten, wie beispielsweise im Fall des Käses Feta.

“Wir haben viel Zeit und auch einige Ursprungsbezeichnungen verloren. Viele Jahre sind nötig, um die Produzenten von Sinn eines gemeinsamen Markennamens zu überzeugen. Es ist aber auch schwierig, einige Produzenten zu überzeugen, auf den AOC-Namen zu verzichten, wenn sie nicht zum geografischen Ursprungsgebiet gehören“, sagt Frédéric Brand.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

1935: Frankreich führt das Herkunftsgütesiegel AOC ein, um die einheimischen Weine vor Nachahmungen zu schützen

1990: Das AOC-Label wird auf andere Agrarprodukte ausgeweitet

1992: Die EU übernimmt das französische Modell

2000: Die Schweiz verleiht erstmals die geschützte Ursprungsbezeichnung (AOC) für den Etivaz-Käse

2004: 16 Schweizer Agrarprodukte besitzen die Qualitätssiegel AOC oder IGP

Landwirtschaftliche Produkte mit einem Qualitätssiegel sind im Vormarsch. Sie sollen in der globalisierten Welt ein Produkt als regionales Erzeugnis klar erkennbar machen. Lebensmittel mit einer Verbindung zur Gegend, die ihnen ihren Namen gibt, können in der Schweiz die offiziellen Qualitätszeichen AOC oder IGP tragen.

Ein Produkt mit einer “Geschützten Ursprungsbezeichnung” (GUB/AOC) wird ausschliesslich in einer bestimmten Gegend erzeugt, verarbeitet und veredelt. Die Gegend und das Know-how verleihen dem AOC-Produkt seine Qualität.

Ein Produkt mit einer “Geschützten Geographischen Angabe” (GGA/IGP) ist mit einer bestimmten Gegend verbunden, jedoch müssen nicht alle Produktionsetappen (Erzeugung, Verarbeitung und Veredelung) in dieser Gegend liegen. Das lokale Know-how garantiert dem Produkt seinen typischen Geschmack.

In der deutschsprachigen Schweiz sind die “Geschützte Ursprungsbezeichnung” (GUB) und die “Geschützte Geographische Angabe” (GGA) besser bekannt unter ihren französischen Namen “Appellation d’Origine Contrôlée” (AOC) und “Indication Géographique Protégée” (IGP).

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