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Appenzell schliesst Frieden mit seiner Sibylle

Versöhnlicher Händedruck von Sibylle Neff. Keystone

Die Kunstmalerin Sibylle Neff ist am vergangenen Samstag mit dem Appenzell Innerrhoder Kulturpreis ausgezeichnet worden. Doch für einmal ging es um mehr als eine gewöhnliche Preisverleihung.

Neff erhielt den Preis der Stiftung Pro Innerrhoden, der in unregelmässigen Abständen erst zum achten Mal vergeben wurde, für ihr Lebenswerk.

“Die Appenzeller sind brave und fromme Menschen. Sie gehen jeden Sonntag in die Kirche und wenn sie nach Hause kommen, streuen sie Salz über die Schnecken.”

Dieser Satz zeigt das Verhältnis der eigenwilligen Sibylle Neff zu ihrem Wohnkanton Appenzell Innerrhoden. Doch damit kann nur angedeutet werden, von welch kontroverser (andere sagen kauzigen) Person die Rede ist.

Einer, der sie seit vielen Jahren kennt, ist der St. Galler Galerist Hans Widmer. Er sagt gegenüber swissinfo: “Wenn ihr wollt, könnt ihr sie schon anrufen. Aber ich fürchte, sie werden sie nicht verstehen. Sie wird ihnen 12 Gedanken und 10 Geschichten in einem Mal erzählen.”

Das St. Galler Tagblatt war bei ihr zu Hause. Sie wohnt ausgerechnet am Landsgemeindeplatz im Hauptort Appenzell. Ein guter Standort, wie wir noch sehen werden.

Doch eigentlich ist Sybille Neff, heute 78 Jahre alt, Malerin und Zeichnerin. Alles sei da in der Wohnung, Zeitungsausschnitte, Zeitschriften, Bücher, Notizen, Pflanzen und Haustiere, schreibt das St. Galler Tagblatt. Nur Bilder seien keine da.

“Wa isch scho Kunscht ond Kultur, Kultur isch es au, zo de Famili z luege”, sagt Sibylle Neff, die in den letzten zehn Jahren kein Bild mehr gemalt hat.

Der Streit um den Weg

Und diese Frau wurde kürzlich mit dem 5000 Franken dotierten Innerrhoder Kulturpreis ausgezeichnet – die höchste Auszeichnung für kulturelles Schaffen im Halbkanton.

Doch die Ehre für “Frau Kohlhaas”, wie sie Widmer liebevoll nennt oder für die “Doña Quijote”, wie die Neue Zürcher Zeitung schrieb, war mehr als eine Ehrung einer Künstlerin. Es war eine Aussöhnung der “Obrigkeit” mit einer eigenwilligen Person.

Zurück geht der Streit auf ein Wegrecht. Das ist nichts Aussergewöhnliches in der kleinräumigen Schweiz. Es gibt unzählige Gerichtsurteile zu diesem Thema wann muss der Besitzer einer Landparzelle dem Nachbar oder oft auch der Allgemeinheit Durchgang über “sein Land” gewähren.

Für Sibylle Neff war der Streit um das Wegrecht (den sie übrigens gewann) auch Anlass, sich generell mit der Obrigkeit und den Behörden anzulegen.

Happenings auf dem Landsgemeindeplatz

Ihre Aktionen gerieten zu kleinen Happenings und so wurde Sibylle Neff auch über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt. Denn Bilder von ihr sind rar. Sie seien “alle im Museum eingelagert”, wie sie sagt.

1990 etwa, die Frauen hatten noch keinen Zutritt zur Landsgemeinde, da warf Sibylle hör- und sichtbar Teller aus ihrem Fenster. Denn ihr Haus liegt strategisch an bester Lage – am Landsgemeindeplatz.

Sechs Jahre später. Es ist wieder Landsgemeinde. Da beschallte sie den Platz ab Tonband mit Vorwürfen gegen die Regierung.

Als Sibylle Neff dann endlich vor Gericht eine Entschädigung von 10’000 Franken für ihr Wegrecht erhielt, verwendete sie das Geld erneut, um der Appenzeller Regierung eins auszuwischen.

Da der Halbkanton keinen Rappen an die Kosten des Wasserspiels vor dem Bundeshaus in Bern spenden mochte, sprang sie ein und spendete ihre10’000 Franken. “An Stelle des knauserigen Kantons”. Was natürlich von der Presse dankbar aufgenommen wurde.

Versöhnung à la Appenzell

Da sich auch die Haltung der oft Gescholtenen verhärtete, bestand während Jahren ein gespanntes Verhältnis der beiden ungleichen Kontrahenten.

“Wir bringen dir die höchste Wertschätzung von Land und Kanton entgegen”, sagte der regierende Landammann Bruno Koster am vergangenen Samstag an der Preisverleihung. Und weiter: “Ich entschuldige mich für die Ungerechtigkeit, die dir und deiner Familie widerfahren ist. Dein Kampf war nie sinnlos.”

Die Geehrte drückte Koster gerührt die Hände und sagte: “Das ist für mich mehr als ein Kulturpreis.” Dann sangen alle zu den Klängen einer Streichmusik das Lied “hand in hand” von Giorgo Moroder.

Doch Sibylle Neff blieb sich auch an diesem versöhnlichen Festtag treu, meint Galerist Hans Widmer: “Sie sagte noch, dass sie die Preissumme von 5000 Franken dafür stiften wolle, dass für die verstorbenen Regierungsräte, die ihr so viel Kummer bereitet hätten, 7 mal 7 Messen gelesen würden. Denn die hätten es nötig, weil sie ja immer noch im Fegefeuer schmorten.”

swissinfo, Urs Maurer

Geboren am 14. März 1929 in Basel als uneheliche Tochter der 17-jährigen Berta Ullmann.

Sie wuchs in Appenzell auf. Als sie 11 Jahre alt war, heiratet ihre Mutter den Spengler Hermann Neff. 1962 nahm sie diesen Namen an.

1963: Ausstellung im Kochstudio Zürich im Rahmen von 450 Jahre Appenzell in der Eidgenossenschaft.

1966: Einladung zur 1. Triennale der naiven Kunst in Bratislava.

1967: Aufnahme in Anatole Jakovskys “Lexikon der Laienmaler aus aller Welt”.

1971: Aufnahme in Bihalji-Merins Standardwerk “Die naiven dieser Welt”.

1979 Letzte grosse Einzelaustellung in Zürich.

Der Galerist Hans Widmer in seiner Laudatio:

Ist Sibylle eine Bauernmalerin? Gehört sie zu den Naiven oder zur Kunstrichtung der “art brut”? Oder sollte man einen neuen Weg definieren: die “sachliche Poesie”? Ich glaube, wir sollten nicht versuchen sie einzuordnen.

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