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Warum Schweizer Frauen in der Teilzeit-Falle stecken

Demonstrierende fordern Lohngleichheit zwischen Frau und Mann. Keystone

In der Schweiz sind sechs von zehn berufstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt. Das ist fast ein Rekordwert für Europa, der sich mit der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der sehr traditionellen Geschlechterrollen-Verteilung in der Schweiz erklären lässt.

Schweizer Unternehmen sind zunehmend besorgt über den Fachkräftemangel. In den nächsten zehn Jahren werden in der Schweiz fast eine Million Menschen in Rente gehen, während nach Schätzungen des Schweizerischen ArbeitgeberverbandsExterner Link nur 500’000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Arbeitsmarkt eintreten werden.

Der Präsident des Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, sieht eine Lösung des Problems darin, dass arbeitende Frauen ihr Pensum auf mindestens 60% erhöhen sollten. “Es geht nicht darum, noch mehr Teilzeitstellen zu schaffen. Sondern dafür zu sorgen, dass die bereits erwerbstätigen Mütter ihre Pensen erhöhen”, sagte er Mitte November in einem InterviewExterner Link mit mehreren deutschsprachigen Tageszeitungen.

Die Schweiz gehört zwar zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Anteil erwerbstätiger Frauen (über 80%), doch sie liegt auch bei der Prävalenz der weiblichen Teilzeitarbeit an der Spitze, knapp hinter den Niederlanden.

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Die Arbeitspensen liegen in der Regel zwischen 30 und 60%, wobei die Hälfte der Frauen mit Kindern weniger als 50% arbeitet. Dies ist insbesondere auf hohe Löhne zurückzuführen, die eine grössere Wahlfreiheit ermöglichen, aber auch auf bekannte Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

“Trotz der Massnahmen der letzten Jahre gibt es immer noch zu wenige Kinderbetreuungs-Einrichtungen, und diese sind zu teuer. Für viele Mütter lohnt es sich finanziell nicht, mehr zu arbeiten”, sagt Irenka Krone-Germann, Geschäftsführerin des Vereins PTO (Part Time OptimisationExterner Link) und Mitbegründerin von We JobshareExterner Link.

Gleichzeitig ist die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen bei der Teilzeitarbeit eine der grössten der Welt (mehr als 40 Punkte). “Die Schweiz ist ein extrem konservatives Land in Bezug auf die Aufgabenverteilung der Geschlechter”, sagt Krone-Germann.

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Obwohl immer mehr Männer (17,5%) sich für Teilzeitarbeit entscheiden, ist die Kinderbetreuung oft nicht der Hauptgrund. “Sie tun es in erster Linie für Weiterbildungen oder Hobbys und reduzieren ihr Arbeitspensum um maximal 20%. Familiäre Gründe stehen erst an zweiter Stelle, während diese bei Frauen zuvorderst stehen”, sagt Krone-Germann.

Eine in diesem Sommer veröffentlichte Studie des Bundesamts für Statistik ergab sogar, dass die Zahl der Teilzeit arbeitenden MännerExterner Link bei der Geburt eines Kindes zurückgeht.

Die Geschlechterungleichheit ist so gross, dass das britische Magazin The Economist den Schweizer Arbeitsmarkt als einen der Diskriminierendsten Europas einstuft: Im anfangs Jahr publizierten “Glass-ceiling IndexExterner Link” (Index der gläsernen Decke) schafft es die Schweiz bloss auf Platz 26 von 29 Ländern, wo Frauen die besten beruflichen Chancen haben.

Bei den zehn Kriterien, die das britische Magazin berücksichtigt, wird die Schweiz besonders wegen den hohen Kinderbetreuungskosten und dem kurzen Elternurlaub schlecht bewertet. Der geringe Frauenanteil in Verwaltungsräten von Unternehmen und die hohe Geschlechterdifferenz beim Zugang zur Hochschulbildung ziehen die Schweiz im Ranking ebenfalls nach unten.

Neue Beschäftigungsmodelle fördern

Es sei heute unerlässlich, neue und innovative Arbeitsformen in den Unternehmen zu fördern, so wie Job- oder Topsharing, und nicht nur Frauen zu höheren Arbeitspensen zu ermutigen, findet Irenka Krone-Germann, die ihre DoktorarbeitExterner Link dem Thema “Teilzeitarbeit in der Schweiz” gewidmet hat.

“Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern, sowohl Frauen als auch Männern, die Möglichkeit bieten, eine Karriere in Teilzeit zu verfolgen. Jobsharing ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, Talente auf dem Arbeitsmarkt zu halten”, sagt sie.

Kontaktieren Sie den Autor auf Twitter: @samueljabergExterner Link

(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)

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