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Armutsbekämpfung im Zeitalter der Finanzkrise

Kleine Beträge mit grosser Wirkung: Kleinunternehmerin und Kreditsachbearbeiter in Ghana - Gefährdet die Finanzkrise solche Projekte?

Zur Zukunft der schweizerischen Entwicklungs-Zusammenarbeit haben die Stiftung Swisscontact und economiesuisse in Zürich eine Veranstaltung mit dem Titel "Aufbruch zu neuen Ufern?" durchgeführt. Wenn da nur die Finanzkrise nicht wäre.

An der Veranstaltung von Swisscontact, der privaten Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungs-Zusammenarbeit, und economiesuisse, dem Verband der Schweizer Unternehmen, wurden neben den Auswirkungen der Finanzkrise auch das Thema Markt und Staat in der Entwicklungspolitik erörtert. Dazu äusserten sich die eingeladenen Referenten Martin Dahinden, Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), sowie der St. Galler Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger.

Für Dahinden stehen Beseitigung und Verminderung der Armut im Mittelpunkt der schweizerischen Entwicklungs-Zusammenarbeit. Eine enorme Herausforderung, denn: Ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt heute in absoluter Armut. Etwa 45% der Menschheit muss mit täglich weniger als 2 Dollar auskommen. Der neue Deza-Chef befürchtet indessen, die internationale Finanzkrise könnte die Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gefährden.

Auswirkungen auf zwei Ebenen

“Es gibt Auswirkungen auf zwei Ebenen”, sagt Martin Dahinden gegenüber swissinfo. “Zuerst die Entwicklungsländer: Wir gehen davon aus, dass viele von ihnen stark betroffen sein werden, dass sich bestehende Probleme wie die Nahrungsmittelkrise und die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen könnten, oder dass sie sonst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, sobald sich die Finanzkrise auch auf die Realwirtschaft ausweitet.”

Die zweite Ebene seien die Geberländer: Da stelle sich die Frage, ob diese infolge der Finanzkrise noch bereit seien, Mittel zur Verfügung zu stellen, um die weltweite Armut zu bekämpfen.

Gefährdete Milleniumsziele?

Nach den im Jahr 2000 von der UNO vereinbarten Millenniums-Entwicklungszielen soll die Armut bis 2015 halbiert werden. Der allgemeine Zugang zur Grundbildung und ein Abschluss der Primarschule soll gewährt werden. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit soll spürbar zurückgehen, die Müttersterblichkeit halbiert werden. Der Zugang zu Basisgesundheitsdiensten ist für alle gefordert, besondere Anstrengungen betreffen die Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria und Aids.

Das alles kostet viel Geld, das weiss auch Dahinden. Aber: “Die Millenniums-Entwicklungsziele sind vielschichtig. Es gibt eine ganze Reihe von Unterzielen, die erreicht werden können; andere werden durch die Finanzkrise gefährdet.”

Hoffnung auf Geberkonferenz

Er sei nicht jemand, der sich damit abfinde, dass jetzt eine Finanzkrise herrsche und deshalb die Ziele nicht erreicht werden könnten, sagt der Deza-Chef. “Im Gegenteil, wir müssen alles daran setzen, dass die Mittel zur Verfügung stehen.”

Dabei zählt Dahinden auf die internationale Geberkonferenz von Ende Jahr in Doha, die sich mit der Entwicklungs-Finanzierung befassen wird. “Ich hoffe, dass die Geberstaaten dort ihr Engagement bestätigen werden, das sie für die Millenniums-Entwicklungsziele versprochen haben.”

Und die Schweiz?

Der Ständerat, die kleine Parlamentskammer, erwartet vom Bundesrat 2009 eine Vorlage, mit der die öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz von 0,4 auf 0,5% des Brutto-Nationaleinkommens erhöht wird. Eine Forderung, die vom St. Galler Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger an der Tagung in Zürich strikt abgelehnt wurde.

Franz Jaeger betonte, wie wichtig gut funktionierende staatliche Institutionen und Demokratie für effiziente Hilfe seien. Schuldenerlasse für Entwicklungsländer sind für den St. Galler Ökonomen “gefährlich”, weil sie eine “Bettlermentalität” oder die Korruption förderten. Als kurzerhand “ineffizient” bezeichnete Jaeger die multilaterale Hilfe, während er sich viel von privater Hilfe verspricht.

Zu einer solchen Position oder generell zu Sparübungen bei der öffentlichen Entwicklungshilfe, wie sie von rechtsbürgerlicher Seite gefordert werden, sagt Deza-Chef Dahinden: “Entwicklungs-Zusammenarbeit ist letztlich eine Tätigkeit, die uns selber nützt und in unserem eigenen, längerfristigen Interesse liegt. Es ist nicht einfach so, dass wir Geld verschenken. Die Zukunft anderer Leute macht auch unsere eigene Zukunftsperspektive reicher. Deshalb trete ich natürlich solchen Sparargumenten entgegen.”

Und Nationalrätin Therese Frösch, Fraktionschefin der Grünen, meinte an der anschliessenden Podiumsdiskussion, es wäre zynisch, die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO, für die sich auch die Schweizer Regierung verpflichtet habe, zu unterlaufen.

Gute Regierungsführung – kein Paternalismus

Neben internationalen Rahmenbedingungen seien auch jene in den einzelnen Entwicklungsländern ausschlaggebend, sagt der Deza-Chef gegenüber swissinfo. Für diese entwicklungsfördernden Voraussetzungen trügen die Drittweltländer selber die Hauptverantwortung, sollten aber unterstützt werden. Eine gute Regierungsführung als Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit liege der Arbeit der Deza schon lange zugrunde.

“Ich selber bin überzeugt, dass Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte ganz wichtige Voraussetzungen für Entwicklung sind”, sagt Martin Dahinden. “Die Ausgestaltung dieser Kriterien muss aber den Partnerländern überlassen werden. Wir können nicht unsere Modelle exportieren.”

swissinfo, Jean-Michel Berthoud, Zürich

Halbierung der weltweiten Armut, Beseitigung von extremer Armut und Hunger.

Grundschulbildung für alle Kinder.

Gleichberechtigung und Frauenrechte.

Reduktion der Kindersterblichkeit.

Reduktion der Müttersterblichkeit.

Bekämpfung von Aids und Malaria.

Ökologische Nachhaltigkeit.

Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung.

Die Schweiz soll mehr Geld für die Entwicklungshilfe bereitstellen. Das fordert eine Petition mit über 200’000 Unterschriften, die Ende Mai dieses Jahres in Bern eingereicht wurde.

Lanciert wurde die Petition vom Bündnis “0,7% – Gemeinsam gegen Armut”, dem über 60 Hilfswerke, Kirchen und Verbände angehören.

Sie verlangt, die Entwicklungshilfe von knapp 0,4 auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Dies soll dazu beitragen, die UNO-Millenniumsziele zu erreichen.

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