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Auch ein Cervelat setzt der Autonomie Grenzen

Freundeidgenössischer Dialog: Moritz Leuenberger (links) und Jacques-Simon Eggly. Keystone

Bundesrat Moritz Leuenberger plädierte am Auslandschweizer-Kongress für eine offene Schweiz, mündiges Bürgertum und für Respekt gegenüber Minderheiten. Thema der Tagung: Chancen und Risiken der Personenfreizügigkeit.

2001 liess Leuenberger im Anschluss an seine 1. August-Rede für die Auslandschweizer zeitgenössische Alphorn Musik statt traditionelle Kirchenglocken erklingen.

Die Proteste kamen aus der ganzen Welt. “Da dachte ich, Auslandschweizer seien besonders bewahrende Schweizer.” Ihm seien Zweifel gekommen, als er gelesen habe, dass sich der Kongress mit der Frage “Schweiz ohne Grenzen?” befasse.

Zweifel? – “Jedes Kind kann zuerst ‘Nein’ sagen, erst nachher lernt es ‘Mama’, ‘Papa’, ‘Auto’. Grenzen definieren die Identität nicht nur bei Personen, sondern auch bei Gemeinschaften.”

Allerdings existiere “kein Land und kein Mensch auf der Welt, der absolut autonom ist. Gegenseitige Abhängigkeit ist eine Selbstverständlichkeit Wir können selbst unsere Nationalwurst nicht autonom produzieren”.

Leuenberger erinnerte an den Importstop für brasilianische Rinderdärme. “Rinderdärme aus Uruguay, Argentinien und Paraguay haben die nationale Cervelatkrise beendet.”

Benachteiligte Auslandschweizer

Am Tag zuvor hatte sich der Auslandschweizer-Rat für ein Ja zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ausgesprochen.

Leuenberger zeigte sich erfreut darüber und zuversichtlich, dass auch die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer für die Erweiterung stimmen wird.

Leuenberger lobte die direkte Demokratie und deren “eigene Geschwindigkeit, die auch die Anliegen der Minderheiten aufnimmt und Kompromisse findet. Die Schweiz besteht aus vier Sprachen und vielen Kulturen. Jede Stadt, jede Region ist benachteiligt und die Auslandschweizer sind es auch.”

Gefährdete “Schweizer Revue”

Damit nahm Leuenberger den Ball auf, den ihm der Präsident des Auslandschweizer-Rates, Jacques-Simon Eggly, wenige Minuten zuvor zugespielt hatte: Der Rat wehrt sich mit einer Resolution gegen die vom Bund geplante Budgetkürzung bei der “Schweizer Revue” und fordert eine schnellere Gangart bei der Einführung des E-Votings.

“Jede soziale Gruppe, jede Region setzt sich für ihre eigenen Interessen ein. Das ist legitim. In einer direkten Demokratie gestalten alle den Staat mit. Jeder ist ein Citoyen”, sagte Leuenberger. “Die Auslandschweizer nehmen als wichtiger Teil an unserer Demokratie teil.”

Flankierende Massnahmen

Die Rede Leuenbergers markierte den offiziellen Schlusspunkt des Auslandschweizer-Kongresses in Freiburg. Vorher trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Workshops und an einem Podiumsgespräch mit Politikern und diskutierten über Chancen und Risiken der bilateralen Beziehungen der Schweiz mit der EU.

Der Freiburger Volkswirtschaftsdirektor Beat Vonlanthen warnte vor einem Nein zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit. “Das wäre für unseren Kanton, der 61% der Güter in die EU exportiert, eine Katastrophe.”

Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, stimmte Vonlanthen grundsätzlich zu: “Es reicht aber nicht von einer Katastrophe zu warnen. Vielmehr müssen wir die Ängste der Leute ernst nehmen.” Darum forderte Levrat mehr Kontrollen gegen Dumpinglöhne und eine engere internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften.

Positive Erfahrungen

“Je mehr sich die Schweiz gegenüber Europa geöffnet hat, desto besser geht es ihr”, stellte die freisinnige Nationalrätin Christa Markwalder fest. “Dennoch scheint es vielen Schweizern dabei nicht wohl zu sein”. Europa sei der wichtigste Handelspartner der Schweiz und ein Nein würde alle bilateralen Pakete in Frage stellen.

Andere Rednerinnen und Redner berichteten von ihren positiven Erfahrungen und den Erleichterungen, die ihnen die Personenfreizügigkeit als Auslandschweizer gebracht hat.

Regeln selber definieren

Für SVP-Nationalrat Pirmin Schwander hingegen ist die Schweiz “Weltmeister im Suchen von Alternativen”. Die Handelsbeziehungen stützten sich nicht auf die bilateralen Verträge mit der EU, sondern auf Freizügigkeitsabkommen aus früheren Zeiten. “Als selbständiges Land können wir die Regeln selber definieren.”

Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit sei ein “Integrationsschritt und keine wirtschaftliche Notwendigkeit”, so Schwander

swissinfo, Andreas Keiser, Freiburg

Der Auslandschweizer-Rat (ASR) ist das oberste Organ der Auslandschweizer-Organisation (ASO). Er vertritt gegenüber den Schweizer Behörden die Interessen aller Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.

Dieses “Parlament der Fünften Schweiz” tagt zweimal jährlich in der Schweiz, um zu wichtigen Fragen der Auslandschweizer-Politik Stellung zu nehmen.

Der Rat tritt jeweils im Frühling und im Rahmen des Auslandschweizer-Kongresses im Spätsommer zusammen. In diesem Jahr findet der Kongress vom 22. – 24. August in Freiburg statt.

Die Zeitschrift für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erscheint im 35. Jahrgang in deutscher, französischer, italienischer, englischer und spanischer Sprache in einer Gesamtauflage von 400’000 Exemplaren.

Sie wird an die 670’000 registrierten Schweizerinnen und Schweizer im Ausland gratis versandt.

Sie soll die Auslandschweizer über wesentliche Entwicklungen in der Schweiz auf dem Laufenden halten und enthält unter anderem Erläuterungen über Gesetze, Rechte und Pflichten, die Auslandschweizer direkt angehen.

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