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Auch Nationalrat für Schengen/Dublin

Der Nationalrat hat das umfangreiche Dossier Schengen/Dublin gutgeheissen. Keystone

Auch die Grosse Kammer hat das Abkommen mit der EU mit deutlicher Mehrheit genehmigt. Die Vorlage kommt nicht automatisch vors Volk.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) wird gezwungen, Unterschriften zu sammeln, wenn sie Schengen/Dublin dem Volk vorlegen will.

Das umstrittene Justiz- und Polizeiabkommen wurde am Mittwoch in der Gesamtabstimmung mit 126 zu 58 Stimmen verabschiedet. Die Nein-Stimmen kamen aus der SVP sowie aus den kleinen Parteien am linken und rechten Rand.

Mit 120 zu 57 Stimmen lehnte der Nationalrat am Mittwoch den Antrag der SVP ab, für Schengen/Dublin mit einem obligatorischen Referendum das Volks- und das Ständemehr zu verlangen.

SVP muss auf die Strasse

Der Rat folgte damit unter Berufung auf die Bundesverfassung dem Antrag von Bundesrat und Ständerat.

Für die SVP bedeutet dies, dass sie nach der Schlussabstimmung am 17. Dezember binnen 100 Tagen 50’000 Unterschriften gegen Schengen/Dublin zusammenbringen muss, um eine Volks-Abstimmung zu erzwingen.

Die SVP-Delegiertenversammlung hat das Referendum gegen das Abkommen bereits am 21. August 2004 beschlossen.

Ständemehr nicht nötig

Für die Assoziierung an Schengen/Dublin genügt das Volksmehr. Das Ständemehr entfällt, weil der Nationalrat das Polizei- und Asylabkommen mit der EU nur dem fakultativen Referendum unterstellt hat.

Die Schengen-Befürworter argumentierten in dieser Frage auf rein rechtlichem Boden. Massgeblich sei nicht, wo man politisch stehe, sondern massgeblich sei das Verfassungsrecht, sagte der Freisinnige Gerold Bührer.

Die Gründe für ein obligatorisches Referendum seien schlichtweg nicht gegeben, da Schengen weder eine Organisation der kollektiven Sicherheit noch eine supranationale Gemeinschaft sei, fügte der Sozialdemokrat Boris Banga an.

Eine “unglaubliche Spitzkehre”?

Die SVP warf der Mehrheit vor, aus Angst vor dem Ständemehr auf eine obligatorische Abstimmung zu verzichten. Bei einem Vertrag von solcher Bedeutung sei es aus verfassungsrechtlichen und staatspolitischen Gründen geradezu zwingend, Volk und Stände zu befragen, mahnte Christoph Mörgeli von der SVP. Schengen/Dublin greife aufs Schwerste in die Polizeihoheit und Kompetenzen der Kantone ein.

Die SVP kritisierte, das Asyl- und Polizeiabkommen enthalte supranationale Elemente. Noch 1999 sei der auch Bundesrat dieser Ansicht gewesen und habe seither eine “unglaubliche geistige Spitzkehre” gemacht, um sich am Ständemehr vorbeizumogeln.

Die SVP blieb mit ihrer Ansicht allein. Die Sprecher der anderen Regierungsparteien erklärten, die Assoziierung an Schengen/Dublin sei kein Beitritt zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft.

Seit 1999 habe sich die Rechtslage und damit auch die Haltung des Bundesrates geändert.

Fünf weitere Abkommen unbestritten

Justizminister Christoph Blocher sagte, die Frage sei letztlich, ob die Schweiz mit der künftigen Rechtsentwicklung Souveränität verliere. Der Bundesrat sei nicht dieser Meinung, er wolle diese Frage aber jedem Einzelnen überlassen.

Im Anschluss an Schengen/Dublin genehmigte der Nationalrat fünf weitere Abkommen der Bilateralen II. Es handelt sich um die Teilnahme an den EU-Programmen in den Bereichen Statistik und Filmförderung, den Beitritt zur Europäischen Umweltagentur und die Steuerbefreiung der EU-Pensionäre in der Schweiz.

Die SVP blieb auch hier mit ihrem Widerstand klar unterlegen. Weitgehend unbestritten war dagegen das Abkommen über die verarbeiteten Landwirtschafts-Produkte, dank dem die Schweiz künftig Produkte wie Schokolade, Suppen oder Teigwaren zollfrei in die EU ausführen kann.

Die noch verbleibenden und kaum umstrittenen Abkommen zur Zinsbesteuerung und zur Betrugsbekämpfung wird der Rat am Donnerstag behandeln.

swissinfo und Agenturen

Das Schengen-Abkommen sieht eine Abschaffung der Routinekontrollen an den Landesgrenzen vor.

Das Abkommen von Dublin strebt eine einheitliche europäische Asylpraxis an. Im Zentrum steht dabei Eurodac, eine Datenbank mit Finger-Abdrücken mit der festgestellt werden kann, ob eine Person bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat und welches Land für die Bearbeitung bzw. Ausschaffung zuständig ist.

Fünf EU-Kernländer (Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Niederlande) unterzeichneten ursprünglich das Übereinkommen von Schengen. Seit 1.Mai 1999 ist es Teil des EU-Grundlagenvertrags von Amsterdam.

Alle EU-Mitgliedsländer sind dem Übereinkommen von Schengen beigetreten mit Ausnahme von Grossbritannien und Irland. Umgekehrt sind Norwegen und Island als Nicht-EU-Staaten beigetreten.

Für die 10 Länder, die am 1.Mai 2004 der EU beigetreten sind, ist eine Übergangsfrist für die Integration in den Schengen-Raum vorgesehen.

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