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Ausländer wählten ähnlich wie die Schweizer

Integrierte Ausländer können in einigen Kantonen stimmen und wählen. Keystone

Die Gemeindewahlen in den Kantonen Freiburg und Waadt zeigen, dass die wählende ausländische Bevölkerung das Resultat nicht auf den Kopf stellte.

Die in den beiden Kantonen erstmals zu Wahlen zugelassenen Ausländer gingen weniger zahlreich an die Urne als die Schweizer und wählten gleich oder etwas linker.

“Das ist die Krux”, sagt René Knüsel, Politologe an der Universität Lausanne, zu der erstmaligen Beteilung der ausländischen Wohnbevölkerung an Gemeindewahlen. “Es gibt keine Studien oder Erfahrungen auf diesem Gebiet.”

Das einzige, so Knüsel, das vielleicht gesagt werden könne: diejenigen Ausländer, welche zur Urne gingen, hätten wohl etwas linker gestimmt, als die Schweizerinnen und Schweizer.

Kann man die Sachlage dergestalt analysieren, angesichts der Stimmengewinne von Rot-Grün in einigen Städten der Waadt, darunter in der Hauptstadt Lausanne und die linken Stimmengewinne in der Exekutive von Freiburg und der einwohnerstarken Vorortsgemeinde Villar-sur-Glâne, dem drittgrössten Ort im Kanton? Man kann.

Der Faktor Integration

Aber eigentlich hat die ausländische Wohnbevölkerung in der Waadt und in Freiburg bemerkenswert “konform” – sprich wie die Schweizer und Schweizerinnen – gewählt. Das heisst, so der Politologe, “Die ausländische Wohnbevölkerung, die gewählt hat, ist so integriert, dass sie wie die Schweizer gefühlt und somit auch gewählt hat.

Dafür würde auch sprechen, dass in der Waadt nur wahlberechtigt war, wer Ganzjahresaufenthalter ist oder eine Niederlassung hat und wer seit zehn Jahren in der Schweiz und seit drei Jahren im Kanton Waadt wohnt.

In Freiburg, wo vor Wochenfrist gewählt wurde, konnte lediglich wählen, wer über eine Niederlassungs-Bewilligung verfügt und seit über fünf Jahren im Kanton wohnt.

“Mit diesen Restriktionen, soll nur denen das Stimmrecht erteilt werden, welche auch wirklich integriert sind” unterstreicht René Knüsel. “Und ihr Wahlverhalten zeigt, dass sie das sind”.

Aller Anfang ist schwer.

Obwohl am Montag noch kein Gesamtdurchschnitt für alle 378 Gemeinden vorlag, geht man im Kanton Waadt von einer Stimmbeteiligung der ausländischen Bevölkerung um die 20% aus, während die tatsächliche Wahlbeteilung erst in einigen Tagen vorliegt. Damit wären doppelt so viele Ausländer wie vor einer Woche in Freiburg zur Urne gegangen.

Den Spitzenwert wird wohl der Lausanner Vorort Renens mit über 23% erreicht haben. Renens verfügt unter Gemeinden dieser Grösse (17’800 Einwohner) mit mehr als 50% über den höchsten Ausländeranteil. Dies allein erklärt die vergleichsweise gute Stimmbeteiligung laut Marianne Huguenin aber nicht.

Für Huguenin, Nationalrätin der Partei der Arbeit und Mitglied der Stadtregierung von Renens, hängt eine gute Stimmbeteiligung direkt damit zusammen, wie viel Energie die Parteien in Aufklärungsarbeit gesteckt haben.

Die Zahl der Wahlberechtigten hat sich dank der Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländer im Kanton Waadt um 85’000 auf 456’000 erhöht. 674 von ihnen bewarben sich für einen Sitz in einem Gemeindeparlament, 36 für einen Exekutivsessel.

Linksrutsch

Sechzehn Jahre, nachdem die Linke in Lausanne die doppelte Mehrheit erobert haben, greifen die Rot-Grünen auch in kleineren Städten nach der Macht. Der Linksrutsch vom Wochenende bringt ihnen Mehrheiten in Nyon und Morges.

Besonders schmerzhaft ist die Niederlage für die Freisinnige Partei (FDP) und die Liberalen in Lausanne. Die staatstragenden Parteien der Waadt waren angetreten, um den Rot-Grünen die Mehrheit wieder abzujagen. Dazu hatten sie sich mit der CVP auf die gemeinsame Liste LausannEnsemble geeinigt.

Knüsel findet, dass in einer kommunalen Abstimmung der Wähler, die Wählerin – seien sie Schweizer oder Ausländer – in der Tendenz die Stimmen denjenigen Leuten geben, die sie kennen und diejenigen von der Liste streichen, deren Namen ihnen am wenigstens vertraut sind.

So auch in Villars-sur-Glâne, wo die Linke neu eine Mehrheit hat. Dort sitzt der Sozialist Allan Alves de Costa im Gemeinderat. Costa besitzt einen uruguayischen Pass.

Swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Urs Maurer)

Von sämtlichen 26 Kantonen und Halbkantonen der Schweiz, räumen neun Kantone der ausländischen Wohnbevölkerung politische Mitbestimmung ein.

Im Kanton Neuenburg haben Ausländer seit 1850 das Stimmrecht (aber kein Wahlrecht) in kommunalen Angelegenheiten. Seit 2000 gilt das auch für den Kanton.

Im Kanton Jura gilt das Ausländerstimm- und –Wahlrecht auf Gemeinde und Kantonsebene seit der Kantonsgrünung 1978.

In den Kantonen Waadt (seit 2002) und Freiburg (seit 2004) gilt das Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene.

Im Kanton Genf können Ausländer seit 2005 in Gemeinde-Angelegenheiten stimmen. Sie können aber nicht gewählt werden.

Seit 1995 gibt es in den Kantonen Appenzell-Ausserrhoden, Graubünden, Basel-Stadt und Solothurn Bestrebungen das Ausländerstimm- und Wahlrecht einzuführen.

Der Kanton Freiburg hat einen Ausländeranteil von 16%.
Bei den Gemeindewahlen vom 5. März betrug die Stimmbeteilung 31% für die Schweizer, rund 16% für die Ausländer.
Im Kanton Waadt sind 27% der Gesamtbevölkerung Ausländer.
Die Stimmbeteilung bei den Gemeindewahlen vom 12. März im Kanton Waadt wird erst in einigen Tagen bekannt sein.
Bei den Ausländern wird mit einer Beteilung von 20 bis 25% gerechnet.

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