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Stille Schweizerin in höchster Position bei Weltkonzern

"Die Frauenquote für deutsche Aufsichtsräte hat sicher geholfen", sagt Renata Jungo-Brüngger, Schweizer Top-Managerin bei Daimler. Daimler Ag / Fotograf: Michael Dannenmann

Sie ist Managerin beim deutschen Autobauer Daimler und eine der wenigen Frauen im Vorstand eines DAX-Unternehmens: Die Schweizerin Renata Jungo Brüngger. Ein Gespräch über ihre Aufgaben beim Weltkonzern, wie Frauen es an die Spitze schaffen und warum sie zum Auftanken die Schweizer Berge braucht.

Die 59-Jährige bekleidet bei Daimler, einem der grössten Autokonzerne der Welt, eine Führungsposition. Das macht sie zu einer der mächtigsten Frauen der deutschen Wirtschaft. Und doch kennen nur absolute Brancheninsider ihren Namen.

swissinfo.ch: Die Süddeutsche Zeitung hat Sie “die stille Abräumerin” genannt. Was räumen Sie denn so geräuschlos im Daimler-Vorstand ab?

Renata Jungo Brüngger: Am besten lässt sich meine Aufgabe unter dem Begriff Risikomanagement zusammenfassen. Ich bin als Juristin im Vorstand zuständig für den Bereich Integrität und Recht.

Darunter fallen unter anderem die Richtlinien unserer Unternehmenskultur aber auch Rechtsverfahren und der Datenschutz. Ein Beispiel: In der Entwicklung des autonomen Fahrens arbeiten Juristen und Ingenieure eng zusammen. Wir wollen zum Beispiel sicherstellen, dass wir nicht in eine Technik investieren, die später aus Datenschutzgründen keine Chance hat, zur Anwendung zu kommen.

Sie ist 1961 in Fribourg, Schweiz geboren und erlangte nach Abschluss eines zweisprachigen Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Fribourg/Schweiz 1989 das Anwaltspatent. Ab 1990 arbeitete sie als Rechtsanwältin bei der Schweizer Kanzlei Bär & Karrer. 1995 wurde sie Bereichsleiterin im Rechtsbereich der Metro Holding AG.

Zwischen 2000 und 2010 bekleidete sie beim US-Mischkonzern Emerson Electric in der Schweiz die Position des “General Counsel Corporate EMEA” und “Vice President/General Counsel Emerson Process Management EME”.

2011 trat Renata Jungo Brüngger dann als Leiterin des Bereichs “Legal” in die Daimler AG ein. Am 1. Januar 2016 wurde sie in den Vorstand der Daimler AG berufen und übernahm dort das Ressort “Integrität und Recht”.

Ein Risiko, mit dem sie sich befassen, sind Klagen gegen Daimler. Mitte Dezember entscheidet der Bundesgerichtshof über Schadensersatzansprüche von Käufern, die sich darüber getäuscht fühlen, dass in Dieselmodellen bei bestimmten Temperaturen die Abgasreinigung zurückgefahren wurde. Droht Daimler ein Abgas-Skandal wie VW?

Es wird die Aufgabe des BGH als höchstrichterliche Instanz sein, da mit seiner Entscheidung Klarheit zu schaffen. Wir begrüssen das sehr. Mehr kann ich dazu derzeit nicht sagen.

Auch das Thema Menschenrechte fällt in ihr Ressort. Wie können Sie sicherstellen, dass es in den Lieferketten von Daimler nicht zu Ausbeutung und Kinderarbeit kommt?

Unser oberstes Ziel ist es, dass Menschenrechte auch bei unseren Lieferanten eingehalten werden. Aber wir können nicht alle unsere 60’000 Lieferanten vollumfänglich kontrollieren, sondern müssen das risikobasiert machen.

Die grössten Gefährdungen gibt es bei der Beschaffung der Rohstoffe. Bei der Elektromobilität sind das Kobalt und Lithium aus dem Kongo. Da schauen wir sehr genau hin und fordern auch Transparenz darüber, mit wem unsere Lieferanten wiederum zusammenarbeiten. Lieferketten zu managen und kontrollieren, ist eine der grössten Herausforderungen für globale Unternehmen. Allein können wir das gar nicht leisten. 

Wir arbeiten in diesem Punkt eng mit der Politik und mit Nichtregierungsorganisationen zusammen, von denen wir guten Input bekommen.

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Daimler Ag / Fotograf: Michael Dannenmann

Moderne Fahrzeuge speichern zahlreiche Daten der Fahrerinnen und Fahrer und ihrer Vorlieben: Über Anrufe, Fahrwege, Fahrverhalten bis hin zum Musikgeschmack. Wie viel Angst muss man vor dem gläsernen Auto der Zukunft haben?

Man muss keine Angst haben. Wir wissen, dass Kunden zurecht sehr sensibel hinsichtlich der Nutzung ihrer Daten sind. Transparenz ist da ganz wichtig: Unsere Kunden bestimmen, welche Daten sie eingeben und welche Systeme sie nutzen wollen.

Sind ältere Kunden in diesem Punkt zurückhaltender als Junge?

Ich glaube, es ist nicht nur das Alter, sondern auch die Technikaffinität. Meine Generation schaut sich das schon genauer an. Wenn ich mit meinem Patenkind im Wagen sitze, ist hingegen alles gleich installiert.

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Sie sind seit 2011 bei Daimler und Anfang 2016 in den Vorstand aufgerückt. Zuvor haben Sie in der Schweiz gearbeitet. War der deutsche Arbeitsalltag eine Umstellung für Sie?

Zwischen Zürich und Stuttgart besteht in der Arbeitskultur kein grosser Unterschied. Ich habe von der Schweiz aus global gearbeitet und tue das auch jetzt. Die Leute ticken ähnlich, man ist sehr pflichtbewusst und arbeitet sehr gern und sehr viel. Das ist ein ähnlicher Kulturraum, da musste ich mich gar nicht umstellen.

Wie sehr hat Corona Ihren Arbeitsalltag verändert?

Enorm. Ich war während des ersten Lockdowns vier Wochen lang im Homeoffice. Jetzt bin ich wieder die meiste Zeit im Büro. Hier arbeiten wir in getrennten Gruppen im Vorstand. So stellen wir sicher, dass im Fall der Fälle nicht gleich der gesamte Vorstand in Quarantäne muss.

Für mich und die anderen Vorstände sind Reisen quasi weggefallen. Auf der einen Seite ist man effizienter, weil man nicht so viel Zeit unterwegs ist. Aber natürlich fehlen die persönlichen Begegnungen mit Leuten, die man vielleicht ein ganzes Jahr lang nicht gesehen hat. Ich denke, wir brauchen hier in Zukunft eine gute Mischung.

In der Chefetage eines globalen Konzerns hat man keinen geregelten Feierabend. Wie tanken Sie auf?

An den Wochenenden fahre ich meist in die Schweiz, weil meine gesamte Familie dort lebt: mein Mann, meine Geschwister und meine Mutter. Und es tut gut, samstags fünf bis sechs Stunden entspannt in die Berge zu gehen und den Kopf zu lüften. Das Handy ist dann schon dabei, aber damit kann ich leben.

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Was bedeuten Ihnen die Berge? 

Ich liebe an Bergwanderungen, ein Ziel zu haben, die Ausdauer, die man braucht, und die Natur. Am schönsten ist es, wenn man oben auf dem Gipfel war, schon ein gutes Stück wieder unten ist und den Rest der Wanderung darüber nachdenken kann, was man erlebt hat. Das gibt einem Kraft.

Aber es muss nicht immer der Gipfel sein, auch Genusswanderungen sind sehr schön. Am Abend hat man das Gefühl, wieder frisch nachdenken zu können.

Hilft Ihnen auch Autofahren – wie in den Fernseh- und Kinospots – um abzuschalten und zu entspannen? Oder nehmen Sie auch mal den Zug?

Für mich bedeutet das Auto in erster Linie Flexibilität. Ich fahre sehr gerne Auto, im Sommer am liebsten Cabriolet, das liebt auch meine Mutter. Zuhause in der Schweiz nehme ich auch mal die S-Bahn, um abends ins Konzert oder die Oper zu kommen. In der Agglomeration Zürich sind die Verbindungen ja hervorragend.

Nur knapp 13 Prozent der Vorstände in DAX-30-Unternehmen sind weiblich. Bei Daimler ist immerhin ein Viertel der Vorstandsposten mit Frauen besetzt. Wie kann man den Frauenanteil im Management weiter steigern?

Das geht, wenn der Vorstand dahinter steht und auch der Aufsichtsrat es will. Dass es in Deutschland seit einigen Jahren eine Frauenquote für Aufsichtsräte gibt, hat sicher geholfen, das Thema auch im Top-Management voranzutreiben.

Unser selbstgesetztes Ziel, bis Ende dieses Jahres 20 Prozent der gesamten Führungspositionen im Unternehmen mit Frauen zu besetzen, werden wir erreichen. In einigen Bereichen liegen wir bereits darüber, aber besonders in der Führungsebene im Forschungs- und Entwicklungsbereich ist das nicht immer leicht.

Sie haben es bis in die oberste Konzernetage geschafft. Was raten Sie jungen Kolleginnen, die Karriere machen möchten?

Man muss schon den Willen haben, gestalten zu wollen und bereit sein, seine Komfortzone zu verlassen, um vorwärts zu kommen.

Ich hatte in der Schweiz einen super Job in einem globalen Unternehmen mit vielen internationalen Reisen und einem tollen Team. Zudem rieten mir viele davon ab, als nicht-deutsche Juristin zu Daimler zu wechseln. Ich habe es trotzdem getan.

Man muss authentisch bleiben und das tun, was einem wirklich Freude macht. Und ganz wichtig: Nicht immer beim ersten Hindernis aufgeben, sondern zielstrebig und ausdauernd sein.

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