Schweiz beunruhigt: Europäische Staaten meiden ihr Kriegsmaterial
Europäische Staaten wollen weniger oder gar keine Rüstungsgüter aus der Schweiz mehr kaufen. Grund dafür sind Einschränkungen, die sich aus der Neutralität ergeben. Ein Fall aus Deutschland sorgt in der Schweiz für Aufregung.
Deutschland und die Schweiz sind politisch und wirtschaftlich eng verbandelt, man teilt weitgehend die gleichen Werte. Deutschland ist auch grösster Abnehmer von Schweizer Waffen, Munition und weiteren militärisch nutzbaren Gütern.
Nun hat Deutschland aber beschlossen, Schweizer Unternehmen bei gewissen Beschaffungen der Bundeswehr auszuschliessen. Wie die Zeitung Le TempsExterner Link zuerst meldete, ging beim Bundesamt für Rüstung Armasuisse ein entsprechender Brief ein. Bei Rüstungsfirmen herrscht Alarmstimmung, Politiker:innen aller Parteien zeigen sich verärgert über die deutsche Entscheidung, die die demokratischen Prozesse und die Neutralität des Landes nicht respektiere.
Denn das Signal aus Deutschland ist eindeutig: Die Schweiz wird als nicht zuverlässige Partnerin betrachtet, seit sie Deutschland die Weitergabe von Rüstungsgütern in die Ukraine untersagte. Das sind die wichtigsten Punkte.
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Was ist die Vorgeschichte?
Drohnen sind mittlerweile die sich am schnellsten entwickelnde Militärtechnologie: Im russisch-ukrainischen Krieg werden sie auf alle erdenklichen Arten eingesetzt, sie haben die Kriegsführung massiv verändert.
Da sich mit Drohnen auch neue Aufklärungsmöglichkeiten ergeben, wird wiederum viel in neue Tarnungstechnologien investiert – etwa in Tarnmittel, die nicht nur die visuelle Aufklärung behindern, sondern auch solche mit Radartechnik oder Wärmebildkameras.
Dafür kommen beispielsweise sogenannte Multispektraltarnnetze in Frage. Die deutsche Bundeswehr möchte davon 100’000 Stück kaufen, ein Grossauftrag, für den sich auch eine Schweizer Firma interessierte. Als sie jedoch ihr Interesse kundtat, beschied man ihr, dass keine Firmen aus dem EFTA-Raum zugelassen sind. Die Europäische Freihandelsassoziation EFTA besteht aus der Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein.
Auf Nachfrage von Armasuisse kam der bestätigende Brief, wie er Le Temps sagte. Für den Armasuisse-Direktor ein klares Zeichen, dass die Schweiz in Deutschland als «nicht mehr zuverlässig» gelte. Im deutschen Parlament werde «Swiss Free» im gleichen Atemzug wie «China Free» verwendet – gemäss der NZZExterner Link ein Schlagwort für die Minimierung von Sicherheitsrisiken.
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Was sind die Gründe?
Der Brief aus Deutschland bezog sich auf den Umstand, dass die Schweiz seinem Nachbar im letzten Jahr die Ausfuhr von 12’400 Schuss Gepard-Munition in die Ukraine untersagt hatte. Deutschland hatte diese Panzermunition vor drei Jahrzehnten in der Schweiz gekauft.
Die Schweizer Regierung bezogExterner Link sich bei ihrer Absage an Deutschland auf das herrschende Kriegsmaterialgesetz, das eine Wiederausfuhr von «swiss made»-Kriegsmaterial in kriegsführende Länder verbietet. Sie bekräftigte zwar erneut, dass sie die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine klar verurteile – aber die Ablehnungskriterien im entsprechenden Gesetz seien zwingend. Das ergebe sich aus ihrem Neutralitätsrecht.
Das sorgte kurzzeitig für einen Eklat zwischen Deutschland und der Schweiz. Denn als Nato-Mitglied muss Deutschland seinen Bündnispartnern auch mit militärischen Hilfeleistungen beistehen können. Stünde die Schweiz dem im Wege, müsse man andere Lösungen finden, lauteten laut NZZ entsprechende Ansagen Deutschlands an Schweizer Rüstungsfirmen. Der vorliegende Brief ist nun die schriftliche Bestätigung davon.
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Wie sieht es bei anderen Staaten aus?
Den Beginn machte zuvor schon die Niederlande: Das Parlament in Den Haag beschloss im letzten Jahr, überhaupt keine Rüstungsgüter aus der Schweiz mehr zu kaufen. Dies, nachdem die Schweiz den Export von 96 in Italien eingelagerten Leopard-1-Panzern blockierte – deren Instandsetzung in Deutschland hätte die Niederlade bezahlt, bevor sie in die Ukraine weitergeleitet worden wären.
Auch in Spanien und in Dänemark gibt es laut den Medienberichten Überlegungen, auf Schweizer Produkte zu verzichten. In Dänemark hat man nicht vergessen, dass die Schweiz vor zwei Jahren mit Bezug auf das Kriegsmaterialgesetz eine Weitergabe von Piranha III-Radschützenpanzer in die Ukraine untersagte. Und SpanienExterner Link wollte zwei aus der Schweiz eingeführte 35mm-Flugabwehrraketen weitergeben, was ebenfalls abgelehnt wurde.
Was könnte das für die Schweizer Rüstungsindustrie bedeuten?
Politisch gilt Deutschland als der wichtigste Schweizer Verbündete innerhalb der EU, der grosse Nachbar im Norden ist zudem der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz – das Handelsvolumen mit den zwei südlichsten deutschen Bundesländern allein ist grösser als das mit China.
Die bisher bekannten Ankündigungen sind für die Schweizer Rüstungsindustrie noch nicht einschneidend, aber sie sind ein klarer Schuss vor dem Bug. In Sicherheitskreisen wird darauf hingewiesen, dass Schweizer Unternehmen in der Lage sein müssen, ihre Produkte zu exportieren – aus finanziellen Gründen, aber auch um eingebunden zu sein in internationalen Produktions- und Logistikketten.
Könnten sie das nicht, würde das in letzter Konsequenz die eigenständige Verteidigungsfähigkeit der Schweiz einschränken. Womit die Schweiz letztlich an Autonomie einbüssen würde. Kritiker:innen andererseits weisen darauf hin, dass sicherheitspolitische Souveränität für die Schweiz ohnehin eine Illusion sei – und sie übermässig von der Sicherheit profitiere, die ihr Nato und EU indirekt anbieten.
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Wie geht es weiter?
Die Schweiz liefert keine Waffen an kriegsführende Länder, das schliesst ihr NeutralitätsrechtExterner Link aus. Aber dass vor langer Zeit an Partnerländer verkaufte Waffen nicht in die Ukraine weitergeleitet werden dürfen, die ihr völkerrechtlich gedecktes Recht auf Selbstverteidigung ausübt, verstehen viele nicht – nicht nur im Ausland, sondern auch in der Schweiz. So ist man im Parlament schnell übereingekommen, dass das Kriegsmaterialgesetz abgeändert werden solle.
So soll etwa die Regierung generell einen grösseren Spielraum haben bei der Bewilligung von Rüstungsgeschäften wenn «ausserordentliche Umstände» vorliegen. Und: «Staaten, die unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das dem unsern vergleichbar ist», sollen nach fünf Jahren in der Schweiz eingekauftes Kriegsmaterial weitergeben dürfenExterner Link. Und zwar wenn das Zielland von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht, wofür eine entsprechende Deklaration der UNO vorliegen muss.
Inwieweit diese Änderungen der Ukraine nützen, ist offen. Für die Gesetzesänderung wird mit einem Referendum gerechnet, das frühestens Ende 2025 möglich wäre. Vor 2026 könnte also kein Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine gelangen.
Editiert von Balz Rigendinger
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