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Ballenberg: Hausbau wie anno 1800

swissinfo.ch

In vorindustrieller Technik und Tradition entsteht derzeit im Freilichtmuseum Ballenberg ein neues Haus. Normalerweise werden dort alte Häuser neu aufgebaut.

Die Museumsbetreiber wollen an diesem Projekt zeigen, wie es unseren Vorfahren gelang, mit im Vergleich zur Gegenwart bescheidener Technik qualitativ hochstehende, langlebige Gebäude zu bauen.

Die Zimmerleute unter der Anleitung von Bauführer Hermes Thöni schwingen bei über 30 Grad Hitze die historische Breitaxt, um aus Baumstämmen Bretter und Balken für den Bau des einfachen Hauses im Stil des frühen 19. Jahrhunderts herauszuschälen.

Auf dem Bauplatz des Freilichtmuseums Ballenberg ob Brienz im Berner Oberland gibt es weder elektrische Maschinen noch moderne Werkzeuge. Die Arbeit am Gebäude, einem Taglöhner-Hauses nachgebaut, wird mit Muskelkraft und viel Wissen um die vor 200 Jahren angewandte Bautechnik vorangetrieben.

Bautechniken wie anno 1800

Um authentisch bauen zu können, suchten die Projektverantwortlichen zuerst nach Fachleuten, welche diese alten Bau-Techniken noch beherrschten. “Und es war tatsächlich 5 vor 12. Schliesslich haben wir Zimmerleute gefunden, die das Bearbeiten der Holzbalken mit der Breitaxt noch beherrschen. Denn um 1800 konnte man die Bretter nicht mit einer automatischen Säge zurecht sägen”, erklärt Norbert Schmid, Marketingleiter des Freilichtmuseums, gegenüber swissinfo.

Handwerker, die in ihren jungen Jahren auf der Alp so gebaut hatten, wurden als “externe Berater” verpflichtet. “Früher hütete der Handwerker seine Spezialkenntnisse wie seinen eigenen Augapfel. Er gab sie nicht weiter, weil sie sein Kapital waren”, so Schmid. Heutzutage sei das einfacher: “Die Handwerker waren froh, ihr Know-how an die Leute weiterzugeben, die jetzt dieses Haus bauen.”

Begehrtes altes Handwerk

Dass am Ballenberg auf besondere Art gebaut wird, hat sich in der Zimmerleute-Zunft rasch herumgesprochen. Von weit her reisen die Zimmermann-Wandergesellen ins Berner Oberland, um diese alten Techniken zu lernen. Sie arbeiten dort für Kost und Logis und eine kleines Taschengeld.

Das kommt den Museumsmachern sehr entgegen: “Uns geht es darum, diese vom Aussterben bedrohten Techniken zu bewahren”, ergänzt Schmid. Und das mache man am besten, indem man ein Haus eins zu eins erstelle, “wie anno dazumal, um 1800”.

Schmid sieht im Aufbau des neuen Hauses auch keinen Widerspruch darin, dass auf dem Ballenberg nur wirklich alte Gebäude errichtet werden. “Denn wir haben beschlossen, das Haus wieder abzubauen. So bleiben wir unserem Grundsatz treu, nur Originalgebäude zu zeigen.”

Recycling im besten Sinn

Das Haus wird nicht möbliert. Aber es wird ein Ofen gesetzt, Türen mit Schlössern und Beschlägen gefertigt. “Auch die Butzenfenster werden von uns hergestellt. Das Dach wird nicht vollständig gemacht. Ein Teil davon wird als Strohdach realisiert, ein anderer mit Schindeln, da wir zeigen möchten, was für verschiedene Techniken die Bauleute anno 1800 angewendet hatten”, so Schmid.

Der Bau schreitet nicht in Rekordzeit voran. Einbezogen werden auch die Besucher des Bauplatzes. Fragen bleiben da nicht aus und die Arbeiter geben bereitwillig Auskunft. “Wir haben diesen Umstand natürlich in unsere Planung einbezogen”, erklärt Bauleiter Hermes Thöni. “Wir gehen davon aus, dass jeder Arbeitende pro Tag während rund zwei Stunden Auskünfte erteilt.”

Die Projektverantwortlichen hoffen zudem, dass das Haus nach dem Abbau von jemandem erworben und an einem anderen Ort wieder aufgestellt wird. “Das wäre das beste Recycling, das man sich denken kann. Denn in diesem Haus kann man auch in der heutigen Zeit wohnen”, sagt Schmid.

Zukunftspläne: Lebendiger Ballenberg

Zurzeit stehen auf dem Ballenberg 100 historische Gebäude aus praktisch allen Gegenden und Kantonen der Schweiz. Norbert Schmid: “Es fehlen noch ein Schulhaus, Bauwerke aus dem Kanton Graubünden sowie einige kleinere Gebäude.”

Seiner Ansicht nach kann der Bauprozess in den nächsten 15 Jahren abgeschlossen werden. Der Ballenberg will, auf der Bauernhaus-Forschung basierend, die ländlichen Bauten aus der Schweiz möglichst vollständig zeigen. Und wenn sämtliche Typen abgedeckt sind, ist der Prozess abgeschlossen.

Schmid ist zuversichtlich, dass auch dann die Menschen noch auf den Ballenberg strömen werden. “Neue Gebäude sind das eine. Wir bringen jedoch Leben in und um die Häuser. Das wird dann der Fokus sein.” Gerade bei den Umgebungsarbeiten, bei der Natur liege noch ein grosses Potenzial brach.

Die Museumsmacher verstehen denn den Ballenberg auch nicht als verstaubte Raritätensammlung. So dürfen die Gebäude betreten werden. Stuben, Küchen, Schlafzimmer, Werkstätten und Ställe sind eingerichtet.

Weiter werden alte und ausgestorbene Gewerbe praktisch vorgeführt. Das Publikum kann zum Beispiel beobachten, wie Korbflechter, Spanschachtelhersteller, Weber, Klöppler, Drogisten, Schindelmacher, Köhler und viele andere ihr Handwerk ausüben.

swissinfo, Etienne Strebel auf dem Ballenberg

Das erste Freilichtmuseum der Welt, das Skansen, wurde an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in Schweden eröffnet.

Alle seither in verschiedenen Ländern entstandenen Anlagen vereinen dieselbe Idee und Aufgaben:
Sicherung, Konservierung und Wiederaufbau von typischen ländlichen Gebäuden und deren Ausstattung mit authentischen Einrichtungen, Möbeln, Gerätschaften und Werkzeugen.

1978 wurde das Freilichtmuseum Ballenberg mit 10 Objekten eingeweiht.

Heute werden auf dem 660’000 m2 grossen Gelände 100 historische Gebäude aus den meisten Kantonen und Landesgegenden gezeigt.

Der Ballenberg ist das einzige Freilichtmuseum für ländliche Kultur in der Schweiz.

Alle Bauten konnten an ihren ursprünglichen Standorten nicht erhalten werden. Sie wurden Stein für Stein abgebaut und auf dem Ballenberg wieder aufgebaut.

Historische Bauerngärten, Wiesen und Felder mit regionaltypischen aber auch gefährdeten oder im Prinzip ausgestorbenen Pflanzen umgeben die Gebäude.

Auch die Bauernhof-Tierwelt wird präsentiert: Unter anderen leben auf dem Ballenberg Geflügel, Kaninchen, Ziegen und Schafe aber auch Bienen.

Weiter werden teils ausgestorbene ländliche Handwerke vorgestellt: So etwa Harzbrennen, Holzschnitzen, Hutmachen, Kalkbrennen, Klöppeln, Korbflechten, Spinnen, Küfern.

Verschiedene Dauerausstellungen behandeln Themen wie “der Coiffeur von anno dazumal”, “vom Wagenrad zum Skizirkus”, “Handwerke der Fahrenden” oder eine historische Drogerie mit einem medizinischen Kräutergarten.

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