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Benedikt XVI. – Wenig Hoffnung auf Veränderung

Keine Begeisterung in der Schweiz über die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst. Keystone

In der Schweiz hält sich die Begeisterung über die Wahl von Joseph Ratzinger zum neuen Papst in Grenzen. Besonders Frauen sind konsterniert.

Die Hoffnungen auf einen Wandel in der katholischen Kirche sind nicht gross. (Schaden)Freude herrscht nur bei den Atheisten.

Der Schweizer Theologe Hans Küng, dem 1979 unter Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen worden ist, will den neuen Papst an seinen Taten messen. Küng sprach zwar von einer “Riesenenttäuschung” für alle, die auf einen reformerischen Seelsorgerpapst gehofft hatten.

“Aber man muss abwarten”, reagierte der 77-jährige Küng in einer schriftlichen Erklärung auf die Wahl von Joseph Ratzinger zum 265. Papst. Das Amt des Papstes sei eine derartige Herausforderung, dass es jede Person verändern könne.

Nach seinen eigenen Aussagen will der neue Papst Benedikt XVI. die Einheit der Christen und den Dialog mit anderen Religionen zu seinen wichtigsten Zielen machen: In seiner ersten Predigt nach seiner Wahl skizzierte er am Mittwoch in der Sixtinischen Kapelle Grundzüge eines Programms für sein Pontifikat.

Vor einem Aufgabenberg

Die ersten Signale von Benedikt XVI. werden wichtig sein, wie Küng betont. Der gewählte Name Benedikt (der Gesegnete) lasse die Möglichkeit offen, dass ein gemässigter Kurs eingeschlagen werde. “Geben wir ihm also eine Chance”, gibt sich Küng abwartend. Wie bei einem Präsidenten der USA solle man einem neuen Papst “100 Lerntage” zubilligen.

Jedenfalls stehe Benedikt XVI. vor “gewaltigen, längst aufgestauten und vom Vorgänger nicht erledigten Aufgaben”. Küng erwähnt dabei den vollen Einbezug der Frauen auf allen Ebenen der Kirche, das aktive Voranbringen der Ökumene der christlichen Kirchen, die Kollegialität des Papstes mit den Bischöfen und die Dezentralisierung der Kirchenleitung.

Skeptisch beurteilt Xaver Pfister, Informationsbeauftragter der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt, den neuen Papst. Für ihn ist fraglich, ob ein Theologe zu einem Mann des Volkes wird. Auch für ein zukunftsweisendes aussenpolitisches Engagement Ratzingers sieht Pfister keine Grundlage.

“Ratzinger wird viele Gläubige positiv überraschen”, glaubt hingegen der Schweizer Vatikankenner Hans-Peter Röthlin. Ratzinger sei ein Mann mit Format, der stets dem Geist des Evangeliums verpflichtet gewesen sei, sagte der ehemalige Staatssekretär des Päpstlichen Medienrats in Rom gegenüber der “Südostschweiz”.

(Schaden)Freude bei den Atheisten

“Als Nicht-Katholik bin ich glücklich über die Wahl Ratzingers zum neuen Papst”, sagt Enrico Riboni gegenüber swissinfo. Riboni ist überzeugter Atheist, von Beruf Ingenieur und betreibt als Philosophie-Begeisterter die Website “christianisme.ch”.

“Es ist herrlich: Ein grosser Inquisitor wurde gewählt. Dadurch wird vieles geklärt. Der Vorgänger-Papst hatte ein Doppelimage: auf der einen Seite ein rigoroses, auf der anderen ein populäres.”

Für Reta Caspar von der Freidenker-Vereinigung der Schweiz hat die katholische Kirche “den Papst, den sie verdient”. Caspar gegenüber swissinfo: “Benedikt XVI. ist wahrscheinlich repräsentativer für die katholische Doktrin als es Johannes Paul II. war. Dieser war sympathisch, was die Botschaft weniger transparent machte.”

Für die katholische Kirche sei die Wahl Ratzingers zum neuen Papst “ein strategischer Fehler”, so Enrico Riboni. “Denn sie wird Gläubige verlieren.”

Ernüchterung bei den Frauen

“Ich bin entsetzt. Ich habe so sehr gehofft, es werde ein progressiver Mann gewählt, einer, der nicht gleich Pickel bekommt, wenn von Priesterinnenweihe, Aufhebung des Zölibats oder von Präservativen die Rede ist.” Dies die Reaktion von Katharina Hoby, reformierte Pfarrerin am Zürcher Grossmünster im Zürcher “Tages-Anzeiger”.

Die Theologin weiter: “Mit Ratzinger kehren wir zurück ins tiefste Mittelalter.”

Langer Atem benötigt

Auch bei anderen Frauen herrscht nach der Papstwahl grosse Ernüchterung. “Wir sind enttäuscht über die Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger”, sagt Verena Bürgi-Burri, Zentralpräsidentin des Katholischen Frauenbundes. Damit werde der konservative Kurs beibehalten. “Ratzinger war als Chefideologe massgebend an dieser Richtung beteiligt.”

Die Arbeit und die Fähigkeiten der Frauen in der Kirche seien sehr vielfältig und überlebenswichtig für die Kirche. Eine richtige Akzeptanz sollte daher selbstverständlich sein. “Nun werden die Frauen in der Kirche noch einen langen Atem brauchen. Aber wir werden nicht aufgeben, sondern bleiben aktiv.”

Nicht begeistert von der Wahl Ratzingers ist auch Uta Fromherz, Mitglied der Kirchlichen Frauenkommission der Schweizer Bischofskonferenz. “Ich wollte ihn nicht und habe die Möglichkeit seiner Wahl sogar verdrängt”. Vieles von Ratzinger habe sie in den letzten Jahren mit Stirnrunzeln gelesen.

Zuversichtliche Schweizer Bischöfe

Für den Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz, den Churer Bischof Amédée Grab, ist der neue Papst Joseph Ratzinger hingegen “eine gute Wahl”. “Ich erwarte, dass er seinem Amt treu ist. Das heisst, dass er den Glauben verkündet, und zwar in einer Art und Weise, die den Bedürfnissen der heutigen Welt entspricht”, bringt Grab seine Erwartung an Benedikt XVI. auf den Punkt.

Grab ist überzeugt, dass der neue Papst in der Ökumene eine theologische Vertiefung und Annäherung zwischen Katholiken und Reformierten anstreben wird. Der Dialog mit dem neuen Papst werde permanent stattfinden und sehr fruchtbar sein.

swissinfo

Kennzahlen der Religionsgemeinschaften in der Schweiz:

römisch-katholisch 41,8%

protestantisch 35,3%

andere Religionen 7,3%

keine Zugehörigkeit 15,4%

In einer Isopublic-Umfrage nach dem Tod von Johannes Paul II. befanden 74% der befragten Katholiken in der Schweiz, dass der künftige Papst generell mehr fortschrittlich sein sollte als sein Vorgänger. Bei den Nichtkatholiken waren es 79%.

87% der Katholiken und 89% der Nichtkatholiken wollen einen Papst, der das Verbot von Verhütungs-Mitteln aufhebt.

62% der Katholiken sind gegen das bestehende Abtreibungsverbot. Weiter glauben 74%, der neue Papst solle das Zölibat abschaffen. Ebenfalls 74% möchten Frauen ermöglichen, das Priesteramt auszüben.

92% der Katholiken erwarten, dass der Papst gegen jede Art von Krieg protestiert. Einen verstärkten Dialog mit anderen Religionen wünschen 90%.

76% der Katholiken wollen auch, dass die katholische Kirche die Wieder-Verheiratung Geschiedener zulässt.

48% der Katholiken befürwortet das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe.

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