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Benoist-Forschungspreis auch ein Zeichen der Integration

Ari Helenius sagt, sein Umzug in die Schweiz habe mitgeholfen, seine Forschungsarbeit auf neue Richtungen auszuweiten. Keystone

Der Schweizer "Nobelpreis" 2007 geht an den finnischen Biochemiker Ari Helenius, dessen Studien über Mechanismen zwischen Viren und Zellen neue medizinische Perspektiven eröffnen.

swissinfo hat Helenius, den Gewinner des Marcel-Benoist-Preises 2007, getroffen und mit dem ETH-Professor über Krankheitserreger, Trojanische Pferde und Integration gesprochen.

Helenius war vor rund zehn Jahren von der Yale University (USA) in die Schweiz gekommen.

Er wird ausgezeichnet für seine wegweisenden Erkenntnisse dazu, wie Viren in Zellen eindringen und welche Strategien sie anwenden, um die Wirts-Zellen zur “Zusammenarbeit” zu nutzen.

Die Preisübergabe erfolgt am 29. November.

swissinfo: Was bedeutet es für Sie, den Marcel-Benoist-Preis zu erhalten?

Ari Helenius: Das hat für mich eine sehr grosse Bedeutung, vielleicht sogar eine grössere als für andere Preisträger vor mir.

Ich bin erst seit rund zehn Jahren in der Schweiz. Dass ich diesen Preis erhalte, bedeutet für mich, dass ich wirklich integriert bin, von Kollegen akzeptiert und als Forscher ernst genommen werde.

Zehn Jahre sind in der Forschung keine lange Zeit, und ein grosser Teil meiner Studien war erfolgt, bevor ich hierher zog. Der Preis ist ein Zeichen dafür, wie offen die Schweizer Gemeinschaft generell, und vor allem gegenüber Forschern aus dem Ausland ist. Unsere Erfahrung ist es, dass ausländische Experten hier willkommen sind.

swissinfo: Wie lassen sich Ihre Erfahrungen in den USA und der Schweiz vergleichen?

A.H.: In den USA arbeitete ich an der Yale Medical School, wo der Fokus auf der klinischen Forschung lag.

Die Sachkunde lag also in der Medizin. Das war für mich zu der Zeit sehr nützlich, da ich ein Biochemiker bin.

Die ETH Zürich hingegen ist eine technisch ausgerichtete Schule. Das bedeutet auch eine ganz andere Art von Fachwissen.

Ich arbeite mit Computer-Wissenschaftern zusammen, mit Ingenieuren, mit Entwicklern von Instrumenten. Das ist extrem nützlich, denn es ist diese Art Fachwissen, die wir jetzt brauchen.

Die ETH hat zudem eine starke Kultur der Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen und ich habe aus dieser Ingenieurs-Umwelt eindeutig Nutzen ziehen können.

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swissinfo: Was hatte Sie damals überzeugt, Yale zu verlassen und in die Schweiz zu kommen?

A.H.: Ich wollte in meinen Leben eine Änderung vollziehen. Die Position, die mir angeboten wurde, war ausgezeichnet, was Finanzierung und Platz anging, wie auch die Instrumente, die mir zur Verfügung gestellt wurden.

Es ermöglichte mir, neue Technologien zu erschliessen, was ich mir in Yale nicht leisten konnte. Damit konnte ich meine Forschung einen grossen und wichtigen Schritt voranbringen.

swissinfo: Wie würden Sie ihre Forschungsarbeit umschreiben?

A.H.: Alles basiert auf dem Zusammenspiel von Viren und Zellen. Dieses Zusammenspiel ist ziemlich kompliziert, obschon Viren an sich sehr einfach sind.

Viren werden definiert als Krankheitserreger, die sich nicht selber reproduzieren können. Ein Virus kann sich nur replizieren, indem es in eine Zelle eindringt und diese dazu bringt, Kopien des Virus zu produzieren; oder anders gesagt, die Zelle zu einer Virenfabrik zu machen.

Das Virus ist völlig abhängig von der Zelle und muss daher die Biologie seines Wirts verstehen. Die Viren kennen alle Passwörter, alle Pin-Codes und sie machen sich das Wirken der Zellen zu Nutze. Um diesen Zyklus zu vollziehen, braucht es eine grosse Zahl von Interaktionen, und hier liegt der Fokus unserer Arbeit.

swissinfo: Was fasziniert Sie an Viren?

A.H.: Am Anfang war es ihre unglaubliche Einfachheit, die mich anzog. Viren sind im Wesentlichen Gen-Pakete mit einer Beschichtung. Dass sie derart viele Krankheiten und biologische Probleme verursachen, ist schlicht erstaunlich.

Und sie können das tun, weil sie so spezialisiert sind auf das Eindringen und die Interaktion mit Zellen.

Dort liegt die Faszination: Wie genau tun die Viren das? Mein erstes Ziel war es, erklären zu können, wie das Virus in die Zellen gelangt. Später wollte ich mehr wissen über die Interaktion zwischen dem Virus und seinem Wirt. Die Komplexität dieses Prozesses führte dazu, dass der Fokus sich auf die Zelle selbst verschob.

Das Virus kann als Trojanisches Pferd betrachtet werden: Es dockt an die Oberfläche der Zelle an, bevor es vom Wirt internalisiert wird. Die Zelle macht im Umgang mit dem Virus grundsätzlich einen Fehler nach dem andern.

Indem wir diese Mechanismen studieren, lernen wir viel über das Virus, aber auch eine Menge über die Zelle.

swissinfo: Was sind die potenziellen Anwendungen, die sich aus diesen Erkenntnissen ergeben?

A.H.: Ich komme nochmals zurück zum Trojanischen Pferd. Ohne die Hilfe der Trojaner wäre das Pferd nie in die Stadt gelangt.

In unserem Fall sind die Trojaner zelluläre Faktoren wie Proteine und Enzyme. Ein Aspekt, den ich mit meinen Kollegen erforsche, ist die Frage, welche Zellproteine ein Virus braucht, um eine Zelle anzustecken.

Wir versuchen, alle Trojaner zu identifizieren. Wir wissen, dass es für ein bestimmtes Virus mehrere Hundert Proteine sein können. Diese können wir identifizieren, indem wir moderne Technologien sowie Daten des Human Genome Projects nutzen. Darauf basierend wollen wir schliesslich sämtliche Trojaner mit Name und Adresse identifizieren.

Wir hoffen, dass diese Informationen dann genutzt werden können, um einen oder mehrere der kritischen Trojaner blockieren oder von der Mitarbeit mit dem Virus abhalten zu können. Danach könnte man neue antivirale Stoffe entwickeln, die gegen die Zelle statt gegen das Virus gerichtet wären.

Die Vorteile sind, dass wir viele Trojaner ins Visier nehmen können. Und dieser Vorgang würde es schwieriger machen für ein Virus, Resistenz gegen einen Wirkstoff zu entwickeln. Denn ein Problem der antiviralen Medikamente von heute ist, dass Viren sehr schnell dagegen resistent werden.

swissinfo-Interview: Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Ari Helenius ist seit 1997 Professor für Biochemie an der ETH Zürich.

Er wurde 1944 in Oulu, Finnland, geboren.

1973 schloss er sein Studium in Biochemie mit dem Doktorat ab.

Von 1975 bis 1981 arbeitete er als Gruppenleiter am Europäischen Laboratorium für Molekulare Biologie (EMBL) im deutschen Heidelberg.

Danach zog er in die USA und war bis 1997 an der Yale University Professor im Departement für Zellbiologie.

Zwischen 1992 und 1997 war er auch der Leiter dieses Departements.

Im Zentrum seiner aktuellen Forschungsarbeit stehen Membran-Biologie, Virologie und Protein-Chemie unter Einsatz von Biochemie, Zell- und Molekular-Biologie.

Die Marcel-Benoist-Stiftung zur Förderung wissenschaftlicher Forschung wurde am 5. November 1920 vom Schweizer Bundesrat gegründet. Die Landesregierung setzte damit den letzten Willen von Marcel Benoist um, einem Franzosen, der in Lausanne gelebt hatte.

In seinem Testament hatte Benoist den grössten Teil seines Vermögens der Eidgenossenschaft vermacht, mit der Bedingung, den Ertrag einzusetzen für einen jährlichen Preis an einen Schweizer oder einen in der Schweiz lebenden Wissenschafter.

Der Stiftungsrat kommt einmal im Jahr zusammen, um den Preisträger und die Höhe des Preisgeldes festzulegen (2007: 100’000 Franken).

Seit 1997 kann der Preis auch an Gelehrte aus den Human- und Sozial-Wissenschaften vergeben werden.

Der Schweizer “Nobelpreis”, wie der Marcel-Benoist-Preis auch genannt wird, ging unter anderem an Wissenschafter, die später noch mit einem effektiven Nobelpreis ausgezeichnet wurden; unter diesen in letzter Zeit etwa Richard Ernst und Kurt Wüthrich.

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