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Bern-Peking per Velo: Das Abenteuer hat begonnen

Ausblick auf Ljubljana. Slowenien erinnert den Schweizer Radfahrer an seine Heimat. Julian Zahnd

Radfahren ist eine besondere Reiseform. Man fühlt die Topografie und das Klima einer Landschaft intensiver und ist den Leuten näher. Das erfährt ein Berner Abenteurer auf seiner Tour nach Peking. Den ersten Reisebericht schickt er von einem Zwischenhalt in Kroatien.

Etwas ernüchternd ist es schon, bereits in Gümligen das erste Mal in die Velotasche greifen zu müssen, um die Regenbekleidung hervorzukramen. Diese befindet sich natürlich ganz unten. Dabei herrschte doch während der letzten drei Wochen schönstes Berner Sommerwetter.

Der Regen sollte mir bis zur Grenze immer wieder ein Begleiter sein, was nicht allzu tragisch ist, denn meine erstklassige Ausrüstung hält der Nässe problemlos stand.

Nach ein paar Tagen habe ich mich einigermassen an das 30 Kilogramm schwere Gepäck gewöhnt und bin in der Lage, am selben Tag den Oberalp- und Lukmanierpass zu bezwingen. Am Abend bin ich dann aber fix und fertig.

Im Veloland Schweiz geniesse ich es vor allem, gedankenlos den roten Schildern folgen zu können, die einen über idyllischste Wege durch die Gegend führen.

Schlechte Strassen, aber Dolce Vita

Umso härter trifft mich dann die Realität nach Chiasso. Bella Italia begrüsst mich mit stinkenden Strassen voller Schlaglöcher und dichtem Verkehr. Die Idee, den Hauptverkehrsachsen zwischen Mailand und Venedig etwas auszuweichen und in die Berge zu flüchten, ist zwar gut, aber anstrengend, denn dort erwarten mich Steigungen bis zu 16 Prozent.

Für kurze Zeit läuft’s da bei mir nur noch vegetativ. Einfach pedalieren und nicht umkippen, weitere Gedanken haben keinen Platz. Ich begebe mich deshalb wieder zurück in die Poebene und versuche, die Strecke bis an die slowenische Grenze möglichst rasch hinter mich zu bringen.

Was mich während dieser Tage wirklich aufstellt, sind  – neben dem hervorragenden Essen natürlich – die Leute. Diese sind jeweils so ehrlich interessiert und begeisterungsfähig, dass ich ab und zu beim Kaffee etwas länger hängenbleibe. Und wann immer sich die Gelegenheit bietet, schleudern sie mir ihr Bravo! entgegen und zeigen so ihre Begeisterung von meinem Reiseprojekt.

Manchmal überfordert mich die italienische Gastfreundschaft beinahe. Während mich Giaccomo – ein junger Italiener – eine Stunde lang durch sein Dorf führt, frage ich mich immer wieder, welche Gegenleistung er wohl für die persönliche Führung erwartet. Im Nachhinein schäme ich mich für den Gedanken, denn natürlich erwartete Giaccomo nichts. Wahre Gastfreundschaft eben.

An der slowenischen Grenze dann ein abrupter Wechsel. Am Ende der Poebene erhebt sich ein markantes Gebirge. Zudem schlägt das Wetter um – ein Sturm zieht auf. 

Nachdem ich mich eine Zeit lang mit nur noch 8 km pro Studen durch die Windböen gekämpft habe, versuche ich erschöpft, das Zelt an einem Waldrand aufzubauen.

Ein Zelt-Hering ist bereits eingeschlagen, da packt ein Windstoss meine mobile Wohnung und reisst sie in die Höhe empor, so dass sie – an dem Hering hängend, einem Drachen ähnlich – im Wind flattert. Ich entschliesse mich, eine Nacht im Hotel zu verbringen – mir und vor allem dem Zelt zuliebe.

Vielfältiger Balkan

Die Slowenen, die mir begegnen, erinnern mich an meine eigenen Landsleute. Sie sind zurückhaltend, dem Dahinradelnden gegenüber eher skeptisch. Ruft man sie aber um Hilfe an, sind sie sehr höflich und respektvoll.

Im Land scheint alles seine Ordnung zu haben, jeder geht still seiner Tätigkeit nach und scheint dies gewissenhaft zu tun. Diese Stimmung spüre ich sowohl auf dem Land als auch in der Hauptstadt. Weil die slowenische Natur mit ihren saftig grünen Wiesen und den schroffen Bergen der schweizerischen ähnlich sieht, nenne ich Slowenien deshalb die Schweiz Ex-Jugoslawiens.

Viel weniger Parallelen zur Schweiz sehe ich in Kroatien. Auf der Strasse wird mir wieder vermehrt zugerufen, und wenn ich irgendwo raste, kommt nicht selten jemand vorbei und sucht das Gespräch. Dieses muss ich dann oftmals freundlich lächelnd unterbinden, Davon lassen sich manche aber nicht entmutigen und quatschen munter weiter, denn meine 50 Worte Kroatisch geben für eine ernsthafte Konversation einfach zu wenig her.

Ziemlich oft kommt es aber vor, dass Kroaten Deutsch sprechen. So erfahre ich, dass viele Menschen mit der wirtschaftlichen Situation ihres Landes nicht zufrieden sind. Manche trauern sogar den alten Zeiten nach, als das Land noch Jugoslawien hiess, stark und reich gewesen sei.

Ob ein allfälliger EU-Beitritt dem Land nützen könnte, frage ich einige Kroaten jeweils. So richtig begeistern mag sich bei dem Thema keiner. “Zu viele Regeln und Auflagen für uns Bauern”, meint etwa Tomislav, der aus der Nähe von Zagreb stammt. Er findet, ein EU-Beitritt würde vorwiegend den Interessen der Politiker dienen.

In einigen Dörfern Slawoniens in Nordkroatien sind die Spuren des Krieges unübersehbar. Fast jedes einzelne Haus ist mit Einschusslöchern übersät. Auf der Fahrt durch diese Region kommt bei mir eine etwas gespenstische Stimmung auf. In solchen Momenten bin ich jeweils froh, mich nur mit garstigem Wetter und schlechten Strassen herumschlagen zu müssen.

swissinfo.ch, Julian Zahnd, Zagreb

Julian Zahnd ist 26 Jahre alt. Im Herbst 2010 hat er sein Studium in Politologie und Geschichte abgeschlossen.

Nebst Musik und Sport ist das Reisen seine Leidenschaft, vor allem per Fahrrad.

Der Berner hat in den letzten Jahren bereits die Strecken Zagreb-Tirana sowie Granada-Bern per Rad zurückgelegt.

Die gegenwärtige China-Radreise ist für ihn die mit Abstand längste Tour.

Nach Peking kann man fliegen – oder man kann hinradeln. Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für die zweite Variante.

Sein Freund Samuel Anrig war vom Reiseprojekt “China auf zwei Rädern” begeistert. Er wird in Ankara dazu stossen und Julian für den Rest der Reise begleiten.

Julian ist am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans. In diesen Tagen radelt er durch Kroatien. Weiter geht es nach Bulgarien, Türkei, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und nach China bis Peking.

Die Route – insgesamt 14’000 km – verläuft über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.

Die Abenteurer wollen pro Tag rund 100 km zurücklegen, um ihr Ziel im November zu erreichen.

Dort werden sie ein paar Wochen mit einem gemeinsamen Freund verbringen, der in Chinas Hauptstadt arbeitet, und im Dezember nach Bern zurückfliegen.

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