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Bernhard Luginbühls kolossale Werkschau

Ein wirre Landschaft aus Eisen zeigt sich im Tinguely Museum in Basel bei der Ausstellung "Luginbühl total". Keystone

Das Kunstmuseum Bern und das Tinguely-Museum Basel zeigen "Luginbühl total". Aus meist riesigen Einzelwerken schufen Bernhard Luginbühl und seine Familie ein Grosskunstwerk.

Die Ausstellungen repräsentieren das monumentale Lebenswerk des 74-jährigen Berners.

“Es könnte sein, dass das meine letzten Ausstellungen sind”, sagte Bernhard Luginbühl bei der Eröffnung von “Luginbühl total” im Tinguely-Museum Basel nachdenklich.

Ausstellungen seien das Blödeste, was es gebe. Man müsse die Arbeiten machen, dann abladen, wieder aufladen, wieder abladen, meinte Luginbühl weiter. Und er fragte sich nicht ganz im Ernst: “Bin ich eigentlich Bildhauer oder Transportunternehmer?”

“Luginbühl total” – kein Zufall, dass der Vorname im Titel fehlt. Denn ohne Familie läuft bei Luginbühl nichts. Ehefrau Ursi war an der Medienkonferenz in Basel ebenso präsent wie die Söhne Basil, Jwan und Brutus, die der Ausstellung in ihren “Übergwändli” den letzten Schliff gaben.

Tinguely und Luginbühl – beste Freunde

Der weit über die Landesgrenzen hinaus berühmte Künstler aber sass behäbig und aufgeräumt unter seiner schwarzen Schiffermütze in der Mitte der Halle vor seinem “Nietentresor”. Von Museumsdirektor Guido Magnaguagno angestachelt, fasste er zwei Werke ins Auge: den “Zwilling” (2003), den jüngsten seiner gewaltigen eisernen Atlasse mit ihren rollenden Kugeln, und den hohen “Kanonenturm”.

Beide Werke hat Luginbühl “Jeannot”, seinem besten Freund Jean Tinguely, gewidmet. Der Atlas verweist auf dessen Sternzeichen, und zuoberst auf dem Kanonenturm, über Krokodil und Adler, über Stier- und Giraffenschädel thront das Sturmgewehr, mit dem, so Luginbühl schmunzelnd, “Tinguely einst die Schweiz schützte”.

Im Detail nachzulesen ist die intime Freundschaft der beiden Künstler in Luginbühls neu publizierten und schön illustrierten “jeantinguelytagebuchnotizen”. Sie enden mit Tinguelys Tod im August 1991. “ein stück quecksilber ist nun weggekugelt aus dem materienhaufen”, schrieb damals ein überaus trauriger Luginbühl.

“Zwilling” und “Kanonenturm” bilden das Zentrum der Basler Schau. Darum herum hat der Künstler in Zusammenarbeit mit dem Kurator Andres Pardey (“das Ausstellungskonzept heisst Bernhard Luginbühl”) zahlreiche weitere Werke gruppiert, insbesondere weitere monumentale Eisenplastiken wie die Rutschbahn “Grosser Boss” (1972) oder den “Rossaltar” (1993-1994).

Schwebende und rollende Kugeln

Auffällig ist die grosse Zahl liegender, schwebender, rollender Kugeln, kleine, grosse, vor allem auch tonnenschwere. Die Welt ist rund, und der menschliche Kopf beinahe auch, sagte Luginbühl, Gründe genug, dass Kugeln bei ihm ihren Platz finden.

Überhaupt: “Jedes kleinste Ding hat für mich Bedeutung.” Wie andere Eisenteile, wie Schädel, Knochen, Skelette, Holzabfälle sind sie Fundstücke, die der selbst ernannte Chaot aus dem Emmental zu seinen surrealen Ungeheuern und Urtieren zusammenfügt.

Mit seiner Arbeit dokumentiert Luginbühl auf faszinierende Weise die Vergänglichkeit der Dinge, aber auch den Sinn, Verbrauchtes in die Zukunft hinüberzuretten. Wenn seine Eisenskulpturen Rost ansetzen, dann steigt ihr Reiz. Im Alter werden sie immer schöner.

Nur seine grossen Holzskulpturen verbrennt der Künstler, der auch Pyromane ist. “Hector” (1998) heissen sie, oder “Popocatéptl” (1999). In Basel sind sie neben dem einzigen noch lebenden Verbrennungsprojekt “Grosses Rad” nur mehr als Modelle und auf Fotos präsent.

Die Ordnung der frühen Jahre

Während in Basel also alles wild durcheinander zu wuchern scheint, herrscht in Bern Ordnung. Das Kunstmuseum gewährt im Untergeschoss Einblick vor allem in Luginbühls frühe Werkgruppen der 50-er bis in die 80-er Jahre. Spannend zu sehen, wie die anfänglich geometrisch-abstrakten kleinen Eisenplastiken (“C-Figuren”, “USCF”, “Element”, “Verdrehtes Kopfvolumen”) bereits durchsetzt sind mit lebensnaheren Gebilden wie “Modell zur Kuh” oder “Roter Frosch”.

Nach und nach hat Luginbühl dann die Ketten der prüden Nachkriegs-Ordnung gänzlich gesprengt, was sich schon in den fantastischen, humorvoll-poetischen Werktiteln zeigt: “Nashornbösschen”, “Bärengefängnis mit Anker”, “Lochblechstrahler”. Grossartig auch der gewaltige “General mit goldener Zehe” und neben dem Eingang zum Museum der rostige “Grosse Frosch” von 1986.

Auf dem Weg vom Frosch zum Erdgeschoss begegnet man dem “Chicago Wandbild” von Dieter Roth. Dass sich Luginbühl und Roth hier begegnen, macht durchaus Sinn. Bei aller arbeitstechnischen Differenz haben die beiden Künstler einiges gemeinsam: eine ausgesprochene Arbeitswut und den Willen, ihr ganzes Leben, auch das ihrer Familie, ihrem gigantischen Lebenswerk unterzuordnen.

Eingerichtet haben die Berner Ausstellung der Museumsdirektor Matthias Frehner und der Kunsthistoriker Jochen Hesse, der Autor des neu erschienen Werkkatalogs. Erstmals vereinigt das dicke Buch alle 1316 Plastiken von Bernhard Luginbühl, die von 1947 bis Ende 2002 entstanden sind.

swissinfo und Karl Wüst (sfd)

Die Ausstellung in Basel: 21. September bis 14. März 2004

Die Ausstellung in Bern: 21. September bis 25. Januar 2004

Jochen Hesse: Bernhard Luginbühl, Werkkatalog der Plastiken, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2003

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