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Pisa-Studie: Schweizer Presse dankt Lehrern

Die Schweizer Schülerinnen und Schüler bleiben in Mathe spitze: Sie haben in der jüngsten PISA-Studie besser abgeschnitten als Gleichaltrige aus den meisten anderen OECD-Ländern. Keystone

Schweizer Schülerinnen und Schüler schneiden im Vergleich mit 64 Ländern sehr gut ab. Das zeigt die neuste Pisa-Studie. Die Schweizer Zeitungen relativieren die Resultate solcher Studien, können ihnen aber auch positive Impulse abgewinnen. Zu viele Tests allerdings könnten die Lehrerschaft demotivieren.

“Die Schweizer Schüler sind Spitze in Europa. Auch wenn das vor allem den anderen zu verdanken ist, die schlechter geworden sind – es ist trotzdem ein Lichtblick in der dunklen Vorweihnachtszeit”, freuen sich Der Bund und Tages-Anzeiger in ihrem gemeinsamen Kommentar zur internationalen Vergleichsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

“Pisa hat zunächst die Sucht der Medien nach Rankings perfekt gestillt”, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung. Allerdings bleibe mittlerweile “der Pisa-Hype aus, wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden. Das ist gut so”, denn die Aussagekraft des internationalen Vergleichs sei beschränkt: “Es sind Beschreibungen und Momentaufnahmen.” Die meisten Veränderungen bei den Punktzahlen lägen “im statistisch nicht signifikanten Bereich”.

“Wenn sie aufrütteln, kann das positiv sein – sofern nicht reiner Aktivismus die Folge ist.” Pisa habe in der Schweizer Bildungspolitik einiges ausgelöst: Der Glaube an die Messbarkeit der Bildung sei heute verbreiteter als vor zwanzig Jahren. Trotzdem: “Zentral für umfassende Bildung und schulischen Erfolg von Jugendlichen ist die Qualität der Lehrperson, ihr Engagement und ihre Beziehung zur Schülerin und zum Schüler.”

Es gelte zu beachten, dass die Lehrerschaft ob all den Rankings und der damit verbundenen stärkeren bürokratischen Belastung der Schulen nicht die Freude am Unterricht verliere. “Beim Messen ist masszuhalten”, warnt die NZZ.

“Sucht nach Perfektion”

“In den Schweizer Schulen hat eine seltsame Mode Einzug gehalten: Die Sucht nach Perfektion und das Eifern im internationalen Wettbewerb”, schreibt die Basler Zeitung. Auch wenn die Schweiz in der neusten Pisa-Studie besser abgeschnitten habe, “sollte man um die Qualität des Schweizer Bildungswesens besorgt sein. Denn die Perfektionskultur und die Panik, im internationalen Wettbewerb nicht mithalten zu können, töten die Motivation unserer Lehrer”.

Die Lehrerschaft leide darunter, dass sich jeder kantonale Bildungsdirektor “einen Innovationspreis verdienen will und daher an der Schule rumdoktert, reformiert und evaluiert”. Es sei deshalb darauf zu achten, dass “die Pädagogen nicht durch immer verbürokratisiertere Vorgaben die Lust am Beruf verlieren. Das wäre fatal. Denn nur ein motivierter, begeisterter Lehrer ist ein guter Lehrer. Und nur von ihm können unsere Kinder wirklich viel lernen”.

“Durchaus sinnvoll”

Auch die Aargauer Zeitung relativiert die Bedeutung der Studie: “Die Pisa-Studie ist weder Bibel noch Rezeptbuch”, so der Kommentator. So lasse sich nur ein Bruchteil dessen, was Bildung ausmache, überhaupt uniform messen. “Vieles, was für den Erfolg eines jungen Menschen und den Erfolg eines Schulsystems auch noch wichtig ist, bleibt ungetestet.”

Doch zu den Akten legen sollte man Pisa trotzdem nicht: “Wenn man die Vergleichsstudie richtig einordnet, hat sie durchaus ihren Sinn. So hat die erste Studie zur Jahrtausendwende in verschiedenen Ländern etwas ausgelöst (‘Pisa-Schock’).” Die durchschnittliche Leseleistung der 15-Jähigen etwa habe in der Schweiz zu einem Leseförder-Programm geführt.

Das neuste Resultat zeige nun trotz aller Relativierungen, “dass wir mit unserem Bildungssystem im grossen Ganzen auf dem richtigen Weg sind”. Nun sei darauf zu achten, dass die guten Resultate nicht gleich wieder weggespart würden. “In mehr als der Hälfte aller Kantone schnürt man zurzeit Sparpakete, die logischerweise auch den grossen Kostenblock Bildung betreffen.”

“Heilsamer Schock”

Auch das St. Galler Tagblatt ist der Meinung, der “Pisa-Schock” sei heilsam gewesen. “Nicht nur konnten die hiesigen Schüler ihren Spitzenplatz in der Mathematik behaupten. Die aufgelegten Leseförderprogramme trugen mit dazu bei, einen messbar positiven Trend in Gang zu setzen. Die Richtung also stimmt.”

Das OECD-Bildungsranking könne “dort, wo es im System Schule um den Kernauftrag der Wissensvermittlung geht”, einen “wertvollen Beitrag zur Erfolgskontrolle leisten”, ist der Kommentator überzeugt.

“Reformen haben nicht geschadet”

Die tiefgreifenden Reformen nach dem “Pisa-Schock” hätten den Schulen nicht geschadet, “wie uns das etwa die Schweizerische Volkspartei (SVP) seit vielen Jahren vormachen will” sind Tages-Anzeiger und Der Bund überzeugt.

“Das grösste Lob für die positiven Resultate gebührt aber den Lehrerinnen und Lehrern. Denn die Umsetzung der Reformen ist für sie mit Zusatzaufwand und Stress verbunden.” Die grosse Mehrheit der Lehrerschaft habe dadurch aber den Mut nicht verloren und sogar neue Motivation gefunden. “Wenn man diese nicht mit kurzsichtigem Sparen in der Schule zunichtemacht, wird die Schweiz auch beim nächsten Pisa-Test wieder Spitze sein.”

Die Experten

Auch Bildungsforscher Urs Moser spricht sich in einem Interview mit dem St. Galler Tagblatt für die Pisa-Studie aus: “Erstens ist der internationale Vergleich sehr anregend für die öffentliche Bildungsdiskussion. Zweitens sind die Pisa-Verantwortlichen methodisch top. Wir profitieren sehr von ihrem wissenschaftlichen Know-how.”

In der Westschweizer Le Temps erklärt Guillaume Vanhulst, Rektor der Pädagogischen Hochschule des Kantons Waadt, dass die 26 kantonalen Bildungssysteme “mehr als anderswo die Unterschiede zwischen der höchsten und der tiefsten Sprosse der Leiter reduzieren, wie sie auch die Migrantenkinder immer besser integrieren”.

Zum Thema der besser abschneidenden Einwandererkinder äussert sich auch Mauro Dell’Ambrogio, Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation, in einem Interview mit dem Corriere del Ticino: “Es ist beispielsweise interessant zu sehen, wie sich die Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund verbessert haben. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass die Einwanderung in die Schweiz ihr Gesicht verändert hat: Heute kommen häufig Töchter und Söhne von Hochqualifizierten in unsere Schulen.”

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