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Bistrots “to go” im einmaligen Genfer Pâquis-Quartier

Farbig, divers, einmalig: Das Genfer Pâquis-Quartier ist eine Art Paris im Westentaschenformat. Doch das multikulturelle Herz der internationalen Metropole ist bedroht: Nach den Lockdowns und Slowdowns infolge des Coronavirus setzen die Bistrot-Betreiber auf ihre letzte Chance: die Wiedereröffnung.

Die Bistros sind das Herz des Multikulti-Viertels und der ganzen Stadt an der Rhone. Sie sind das Gesicht der Menschen und ihrer Lebensart.

Aber ihnen geht es schlecht. Wie allen anderen Bistrots, Restaurants und Bars in der Schweiz und auf der ganzen Welt im Jahr der Pandemie.

Dieses oder vielmehr die Massnahmen gegen die Pandemie haben die Lokale selber krank gemacht. Jetzt liegen sie auf der Intensivstation. Die Reaktion der Rettungsdienste erfolgt oft nur langsam. Werden sie überleben, bis der Impfstoff da ist, dieser grosse Heilsbringer in Zeiten der Epidemie? Quälende Zeiten für all jene, denen das “Pâquis” Heimat ist.

Normalerweise immer belebt, sogar an hohen Feiertagen, glich das Viertel in den letzten Wochen einem leeren Bahnhof. Nur die notwendigsten Reisen waren erlaubt, jeder Ansatz des gesellschaftlichen Lebens war auf Eis gelegt – Weitergehen, nicht Stehenbleiben, hier gibt es nichts!

Mit Covid-19 kommen Erinnerungen an frühere Pandemien auf. Das Runterfahren des öffentlichen Lebens als notwendige Gesundheitsmassnahme macht deutlich, wie globalisiert die heutige Welt mit ihren Milliarden von Bewegungen von Gütern, Dienstleistungen und Menschen ist. Das Pâquis mit seinen Bistros und Menschen aus zig Ländern bricht diese globalisierte Welt auf ein Stadtviertel herunter.

Von den über 10’000 Einwohnerinnen und Einwohnern des Stadtteils haben 60% keinen Schweizer Pass. Bei den Neuankömmlingen sind es gar rund 75% (Zahlen von 2016). Diese Weltoffenheit spiegelt sich auch in den hunderten von Restaurants, Cafés, Bars und Take-Away-Cafés wider.

Sich über Wasser halten

Take Away, Take Out oder to go, also der Verkauf von Getränken und Essen “über die Gasse” ist im Pâquis jetzt zur universellen Formel geworden, damit sich die Betreiber in dieser Krise überhaupt über Wasser halten können. “Wir versuchen, so wenig wie möglich zu verlieren”, sagt der Wirt eines Restaurants, das seine Familie seit über 40 Jahren mietet.

Er zieht es vor, anonym zu bleiben, weil er von der versprochenen staatlichen Hilfe nicht viel gesehen habe, erzählt er. Nachdem sie den Koch entlassen mussten, begann er zusammen mit seiner Frau zu kochen. Statt wie bisher einer freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen, liefert er nun Pizzas aus.

Die Rechnungen flattern weiter in den Briefkasten, und allein die Miete des Lokals macht 9000 Franken pro Monat aus. Der Betreiber versuchte, mit dem Besitzer des Lokals eine Reduktion auszuhandeln. Doch dieser blieb hart und wollte keinen Kompromiss eingehen.

Die Gäste dieses Restaurants waren hauptsächlich Berufstätige, welche die Mittagsmenus schätzten. Doch diese Kategorie ist weggeschmolzen – aufgrund des Homeoffice.

Anders aufgestellt ist Ashwini Khosla. Der Mann in den Vierzigern glaubt, dass er die richtige Nische besetzt. Zusammen mit seiner Familie hat er ein Restaurant übernommen und dieses in ein elegant gestaltetes indisches Lokal mit sehr günstigen Preisen verwandelt.

Am 20. Februar eröffnet, mussten sie am 14. März ihren Betrieb schon wieder schliessen, da die Schweizer Regierung den Lockdown verfügte. Im Sommer, nach dem Austieg aus dem Lockdown, konnten Khoslas ihren Restaurantbetrieb wieder aufnehmen. “Aber das Homeoffice hat das Mittagessen getötet”, sagt auch Ashwini Khosla.

Neue Generation

Während die Bistros unter unsicheren Bedingungen wieder öffnen dürfen, weist er auf die Vorteile seines Betriebs hin: Die Gerichte würden aus frischen Produkten gekocht, weshalb er keinen Vorrat brauche.

Die Küche der Khoslas kann selbst die orthodoxesten Veganer zufriedenstellen. Und es zieht einen guten Teil der indischen Community in der ganzen Region an, insbesondere indische Studentinnen und Studenten des Graduate Instituts (IHEID).

Vietnamesisch, äthiopisch, indisch oder Hipster: Im Pâquis mischt sich jetzt die neue Beizen-Generation von Menschen unter die Einheimischen und drückt dem legendären Quartier ihren Stempel auf.

Aber wie wird das Quartier im nächsten Jahr aussehen? Wird vom jetzigen Gesicht noch etwas zu erkennen sein?

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