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Blackout in Italien: Schweizer unterschätzten Lage

"Candlelight Breakfast": Eine Mutter beim Wärmen der Milch am Morgen des 28. September . Keystone

Schweizer Stromnetzbetreiber haben den Ausfall der Leitung am Lukmanier unterschätzt. Das führte laut einem Zwischenbericht zum Blackout vom 28. September in fast ganz Italien.

Die Schweizer Netzkoordinatorin Etrans weist den Vorwurf zurück.

Europäische Stromexperten der Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie (UCTE) üben im Zusammenhang mit dem Stromausfall in Italien und Teilen Frankreichs vom vergangenen 28. September scharfe Kritik an der Schweiz.

Der Schweizerische Stromverbund ETRANS habe insbesondere den Ernst der Lage nicht erkannt und von der italienischen Seite ungenügende Massnahmen verlangt, hiess es in einem Zwischenbericht, welche die Kommission am Montag in Brüssel vorstellte.

Frank Vandenberghe, der die Untersuchung der UCTE leitet, sagte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AP, die Schweiz hätte den Blackout verhindern können, wenn sie besser auf den ersten Leitungsausfall um 03.01 Uhr reagiert hätte. Die Zeit bis zum Ausfall der zweiten Leitung am San Bernardino wäre ausreichend gewesen, um die nötigen Massnahmen einzuleiten.

Die UCTE räumte aber ein, dass das europäische Stromnetz nicht für die heutigen Belastungen nahe an den Kapazitätsgrenzen konstruiert sei. Blackouts wie jener vom 28. September sollten aber dennoch vermeidbar sein, sagte Vandenberghe weiter.

Vier Gründe für die Panne

Laut UCTE-Bericht konnte der Schweizer Verbund die 380-Kilovolt-Leitung über den Lukmanier nach dem Unterbruch nicht wieder innert nützlicher Frist in Betrieb nehmen.

ETRANS habe von GRTN zweitens verlangt, den Stromimport um 300 Megawatt zu drosseln, was als Gegenmassnahme aber völlig ungenügend gewesen sei. Vielmehr hätten die Schweizer die Italiener anweisen sollen, alle Kraftwerke abzuschalten oder aber die Stromproduktion hochzufahren.

Die Schweizer Verantwortlichen hätten erkennen müssen, dass die zweite Leitung nach Italien über den San Bernardino die Überlastung nur für eine Viertelstunde habe aushalten können. Weil der Anruf an die südlichen Nachbarn aber erst 10 Minuten nach dem Ausfall der Lukmanierleitung erfolgt sei, hätten die Italiener nur noch 5 Minuten – und somit zu wenig – Zeit gehabt, zu reagieren.

Ursachen auch im Ausland

Zum Stromausfall beigetragen hat laut Zwischenbericht als dritter Grund aber auch die Instabilität des italienischen Netzes und der dortige Spannungs-Zusammenbruch.

Der Zwischenbericht stellte zudem die Frage nach korrekten Unterhaltsarbeiten entlang den Stromleitungen, welche insbesondere die nötigen Abstände der Bäume zu den Hochspannungs-Leitungen sicherstellten. Diese Arbeiten würden allerdings in die Zuständigkeit der einzelnen Länder fallen und seien deshalb nicht untersucht worden.

Etrans sieht Haltung bestätigt

Die Schweizer Netzkoordinatorin Etrans wies die Vorwurf der UCTE zurück. Wie das Unternehmen in Bern mitteilte, bestätige der Bericht die bisherige Position der Schweiz. So sei der Ausfall der Lukmanier-Leitung in der Schweiz dem italienischen Netzbetreiber GRTN rechtzeitig gemeldet worden.

Bei richtiger Reaktion der GRTN wäre der Stromausfall zu verhindern gewesen. Nicht nachvollziehbar ist gemäss Etrans, weshalb eine Leitungsstörung an der Grenze Schweiz-Italien den Ausfall der gesamten italienischen Stromversorgung zur Folge hat.

Der Bericht fokussiere einseitig auf die Ereignisse in der Schweiz, kritisiert Etrans. Der Untersuchungsbericht zeige aber, dass vermutlich ein Stabilitätsverlust zwischen dem italienischen Netz und dem übrigen UCTE-Netz schliesslich zum Netzzusammenbruch in Italien geführt habe, nicht der Ausfall der Schweizer Leitungen.

Bund äussert sich im November

Das Bundesamt für Energie (BFE) wollte sich am Montag nicht zu den Folgerungen der UCTE äussern. Der Bericht sei ein Bestandteil der eigenen Untersuchung, sagte BFE-Abteilungschef Martin Renggli auf Anfrage. Der Bericht des BFE werde voraussichtlich im November veröffentlicht.

swissinfo und Agenturen

Der Zwischenbericht schildert die Ereignisse vom 28. September so:

Um 03.01h fiel die “Lukmanierleitung” bei Brunnen (Schwyz) aus. Das führte zu einer Überlastung der zweiten grossen Transitleitung in Richtung Italien, der “San-Bernardino-Leitung”.

Um 03.11h bat ETRANS GRTN per Telefon, die Stromimporte um 300 Megawatt herunterzufahren, weil Italien zu dieser Zeit bis zu 300 Megawatt mehr einführte als geplant. Bis 03.21h drosselte GRTN die Importe um die verlangte Menge.

Um 03.25h fiel auch die “San-Bernardino-Leitung” aus. Innert 12 Sekunden fielen danach die restlichen Stromleitungen von europäischen Ländern nach Italien aus.

In der Folge schalteten sich verschiedene Kraftwerke in Norditalien ab und machten das “Blackout” unvermeidlich.

An der Untersuchung sind die Netzregulatoren aus Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Slowenien vertreten.

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