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Blauer Dunst: Neue Normen prägen das Land

"Rauchen am Fernsehen - das ist verschwunden": Thomas Zeltner. Keystone

Den Anteil der Raucher in der Schweiz von 30% auf 20% reduzieren – dieses Ziel will das Bundesamt für Gesundheit in den kommenden 10 Jahren erreichen.

Im Gespräch mit swissinfo hält dessen Direktor Thomas Zeltner fest, die Bevölkerung habe erkannt, dass Tabak gefährlich sei. Das habe zu einer Normumkehr geführt.

Die Tabakprävention des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigt Wirkung. Seit 2001 ist der Raucheranteil von 33 auf 30% gesunken. Bei den Jugendlichen sogar von 31 auf 25%.

Mit seiner neuen Kampagne “Bravo” gratuliert das BAG Betrieben und Organisationen, die rauchfreie Zonen eingeführt haben und fordert andere dazu auf, die Nichtraucher ebenfalls zu schützen.

Der 59-jährige Arzt Thomas Zeltner ist seit 1991 Direktor des Bundesamtes für Gesundheit.

swissinfo: In Ihrer Funktion engagieren Sie sich stark gegen das Rauchen. Haben Sie selber damit aufgehört?

Thomas Zeltner: Ich habe nie richtig damit angefangen. Wie viele Jugendliche habe ich einmal geraucht, aber ich habe nie tief inhalieren können, weil ich Hustenanfälle bekam. Deshalb habe ich dann auch relativ rasch wieder aufgehört.

swissinfo: Männer mit Stumpen (Zigarren) am Stammtisch, das war vor wenigen Jahren noch ein landesweites Sinnbild für Gemütlichkeit. Jetzt gilt es als Angriff auf die Gesundheit. Was ist da geschehen?

T.Z.: Die Schweizerinnen und Schweizer haben wie viele andere Europäer gemerkt, dass das Genussmittel Tabak ein problematisches und gefährliches Produkt ist. Das hat zu einem Paradigmenwechsel geführt.

Die Leute haben auch erkannt, dass man die Nichtraucher nicht mitrauchen lassen sollte.

swissinfo: Zigarettenwerbung ist in den Medien und im öffentlichen Raum heute viel weniger präsent. Spielt das eine Rolle?

T.Z.: Ja, Sie sehen es überall. Früher wurde in Fernsehsendungen oder an Sitzungen viel geraucht. All diese Bilder sind verschwunden. In diesem Sinne hat es eine Änderung der Norm gegeben.

Heute gilt die Norm: Man raucht in Gegenwart anderer Leute nicht. Früher lautete die Norm: Man raucht und fragt vielleicht “stört es”?

Am wenigsten ausgeprägt ist diese Normumkehr heute noch im Bereich der Gaststätten. Bei vielen Leuten war das Rauchen in Zusammenhang mit Essen und Trinken eine Sitte. Das Gros der Bevölkerung fordert heute das Nichtrauchen in Restaurants.

swissinfo: Im europäischen Vergleich und insbesondere mit den skandinavischen Ländern galt die Schweiz ja lange als wenig vorbildlich. Wann kam die Wende?

T.Z.: Das trifft absolut zu. Die Schweiz war lange Zeit in rechtlicher Hinsicht, aber auch mit Blick auf die Akzeptanz und damit auf die kulturelle Situation, liberaler und toleranter.

Die Trendwende hat zwischen 1995 und 2000 angefangen. Deutlich haben wir sie in den vergangenen 5 Jahren gemerkt.

swissinfo: “Bravo” – so der Slogan Ihrer aktuellen Kampagne. Ist das Lob ein Zwischenhalt?

T.Z.: “Bravo” soll ein Signal sein, dass es geht, und dass es gar nicht so schwierig ist, den Nichtraucherschutz auszubauen. Zweitens soll es diejenigen Betriebe und Institutionen ermuntern, es auch zu tun, die immer noch das Gefühl haben, es sei schwierig und führe zu Konflikten.

Wir hatten viele Diskussionen mit den Schweizerischen Bundesbahnen, die besorgt waren und sich fragten, ob sie das schaffen und ob das zu einem Aufstand führe.

Es hat sich ja inzwischen gezeigt, dass die Einführung des rauchfreien öffentlichen Verkehrs absolut ohne Probleme über die Bühne gegangen ist.

swissinfo: Gemeinden wollen Rauchverbote für Jugendliche einführen. Bei der WHO ist Nichtrauchen ein Kriterium für eine Anstellung. Wieweit würden Sie hier gehen?

T.Z.: Leute nicht einzustellen oder zu entlassen, weil sie Raucher sind, das halten wir für falsch. Rauchverbote in Schulen hingegen halten wir für richtig. Falsch ist, wenn das Lehrpersonal dann noch rauchen darf.

Ich halte nichts von Diskriminierungen einzelner Gruppen. Es sollten alle, die in einem Gebäude sind, geschützt werden und nicht nur eine kleine Gruppe.

swissinfo: Unter den Jugendlichen ist der Raucheranteil 2005 zurückgegangen. Was braucht es, ausser Verboten?

T.Z.: Eine der wesentlichsten Massnahmen ist der Preis. Jugendliche sind sehr preissensibel. Zweitens sprechen sie besonders stark auf die Werbung an. Deshalb sollten wir die öffentliche Werbung zurückfahren, was immer mehr Kantone ja auch tun.

Drittens steht ein Verkaufsverbot für Tabakwaren an Jugendliche, ähnlich wie für Alkoholika, zur Diskussion. Da bin ich nur dafür, wenn wir zugleich eine Regelung für die Zigarettenautomaten finden, denn es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn wir den Verkauf am Kiosk verbieten würden, und um die Ecke kommen die Zigaretten aus dem Automaten.

Zudem muss das Verbot – hier grüsst ebenfalls das Alkoholverbot – auch akzeptiert und umgesetzt werden.

swissinfo: Der Zigarettenkonsum ist im vergangenen Jahr um 10% eingebrochen. Haben Sie keine Schwierigkeiten mit der Tabaklobby?

T.Z.: Mir selber macht sie keine, aber sie hat Schwierigkeiten und hat deshalb die Preise und damit ihre Margen gesenkt. Das unterstreicht absolut unsere These, dass die Preise einen wesentlichen Einfluss auf den Konsum haben.

Wir hören sogar von der Industrie, dass dort, wo sie die Preise gesenkt hat, der Konsum wieder zugenommen hat. Das ist natürlich nicht schön.

swissinfo: Eine rauchfreie Gesellschaft – ist das Ihr Ziel?

T.Z.: Nein, ganz sicher nicht. Wir wollen weder eine drogen-, noch eine rauchfreie Gesellschaft. Wir streben an, dass die Raucherquote in der Schweiz von derzeit 30% in vielleicht 10 Jahren auf 20% sinken wird.

Das wäre ein Riesengewinn für die Gesundheit und für die Wirtschaft. Damit würden wir in Europa zur Spitze aufschliessen.

swissinfo-Interview: Andreas Keiser

Seit 1992 ist der Schutz der Nichtraucher am Arbeitsplatz im Arbeitsgesetz festgeschrieben.

Im November 1993 lehnten mehr als 70% der Stimmenden die so genannte Zwillingsinitiative ab. Sie hatte ein umfassendes Werbeverbot für Tabak- und Alkoholwerbung verlangt.

Seither sind einige Kantone aktiv geworden und haben den Druck gegen das Rauchen und gegen die Tabak-Werbung verstärkt.

Eine Pionierrolle nimmt das Tessin ein. Hier haben die Stimmenden im März 2006 mit 80% ein Gesetz angenommen, das das Rauchen in öffentlichen Lokalen verbietet.

Seit Dezember 2005 ist das Rauchen in den Zügen der SBB nicht mehr erlaubt.

Auf nationaler Ebene ist ein parlamentarischer Vorstoss hängig, der zum Schutz der Passivraucher strengere Bestimmungen für Raucher fordert.

60% der Schweizer Bevölkerung befürworten eine Preiserhöhung auf 6,90 Franken pro Paket Zigaretten (heute 5,80 Fr.).

64% sind für rauchfreie Gaststätten.

67% befürworten weitergehende Einschränkungen für die Tabak-Werbung.

90% befürworten ein Verkaufsverbot für Tabakwaren an Jungendliche.

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