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Blick ins Allerheiligste des Robert-Walser-Archivs

Bernhard Echte im Allerheiligsten des Walser-Archivs in Zürich. swissinfo.ch

Fotografische Darstellungen von Robert Walser, Erstausgaben und Originalmanuskripte seiner Bücher sind die wertvollen Schätze des kleinen Walser-Archivs in Zürich.

Doch selbst im Walser-Jahr 2006 kämpft das von Bernhard Echte geleitete Archiv mit finanziellen Problemen bei der Erforschung und Verbreitung von Walsers dichterischem Werk.

Im Jubiläumsjahr zum 50. Todestag von Robert Walser laufen im Walser-Archiv in Zürich die Fäden zusammen. “Wir koordinieren zwar die Veranstaltungen in der Schweiz und weiteren europäischen Städten”, sagt der Archiv-Leiter Bernhard Echte gegenüber swissinfo, “aber produziert werden die einzelnen Projekte von den jeweiligen Initianten.”

Stolz zeigt Echte auf zwei Originalmanuskripte von Robert Walser: “Der Gehülfe” und “Geschwister Tanner”, zwei Romane aus der Berliner Zeit, wurden 1997 von der Robert-Walser-Gesellschaft erworben und im Archiv deponiert, als zwei Stapel loser Blätter in einer Archiv-Schachtel.

Echte weiss, was Walser international wert ist und bedauert, dass in der Schweiz das Bewusstsein dafür weitgehend fehlt. “Es ist hier schwierig, Projekte über ihn zu realisieren.” Selbst jetzt, im Walser-Gedenkjahr, seien noch nicht alle programmierten Veranstaltungen finanziell abgesichert.

Das Walser-Archiv ist ein kleiner, von der Walser-Stiftung getragener Betrieb. Nach dem Abgang von Werner Morlang, mit dem Echte während 14 Jahren Walsers Mikrogramme entziffert hatte, führte er es eine Zeit lang allein, bevor er schliesslich zwei Mitarbeiterinnen anstellte: “Das Archiv muss auf mehreren Schultern ruhen.”

Finanzielle Probleme

Das Jahresbudget des Archivs beträgt rund 300’000 Franken, wovon 100’000 Franken durch die Urheberrechte an Walser über Buchverkäufe, Verfilmungen und Theateraufführungen selbst erwirtschaftet werden. Für das Jubiläumsjahr wurde das Budget auf 450’000 Franken aufgestockt.

Seit langem kämpft das Archiv um seine langfristige Finanzierung. Vor drei Jahren stand es kurz vor dem Bankrott. Nur dank der beherzten Unterstützung von zwei Stiftungen und einzelnen privaten Sponsoren konnte der Betrieb vorläufig weiter geführt werden. “Aber wir sind noch nicht über den Berg”, sagt Bernhard Echte.

Längerfristig sei es nötig, das Archiv institutionell abzustützen, das Stiftungskapital aufzustocken, wiederkehrende Subventionen aus der öffentlichen Hand und eine kontinuierliche Forschungsförderung zu erhalten. “Ein Archiv ist grundsätzlich auf Dauer angelegt und muss entsprechend langfristig planen können.”

Mögliche Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Literaturarchiv

Bernhard Echte schwebt ein System der subsidiären Finanzierung vor, wovon die Stiftung selbst bis zu 50% übernehmen und der Rest durch Stadt, Kanton und Bund getragen würde. Dieser Weg erscheine der Stiftung als der effizienteste und kostengünstigste.

“Erste Gespräche dazu haben bereits stattgefunden”, so Echte. “Von einer Lösung ist man derzeit aber noch einige Schritte entfernt.” Für die Stiftung gebe es grundsätzlich keine Tabus; neben der nationalen sei auch eine internationale Lösung denkbar.

“Am besten wäre allerdings, man fände einen neuen Stifter, der wie Carl Seelig seinen Namen dauerhaft mit Robert Walser verbinden will und mit einer grosszügigen Geste das Problem lösen könnte”, sagt Echte. “Der Betrag der dafür nötig wäre, ist gemessen an der Bedeutung Walsers eigentlich relativ bescheiden.”

Das Allerheiligste

Bernhard Echte holt einen Schlüssel und schliesst einen kleinen Raum auf, in dem vier massive Panzerschränken stehen. “Dies ist unser Allerheiligstes”, sagt er stolz, “der Nachlass von Robert Walser und Carl Seelig, darunter acht Schachteln mit Original-Mikrogrammen von Walser.”

Carl Seelig war nicht nur Walsers Freund, Vormund und Nachlassverwalter, sondern unterstützte ab 1933 zahlreiche Emigranten. Auf Bitten seines Freundes Hermann Hesse half er u. a. auch Emmy Hennings, deren Nachlass zusammen mit demjenigen ihres Mannes Hugo Ball heute ebenfalls im Walser-Archiv liegt.

Etwas vom Faszinierendsten an Walsers Werk sind die Bleistiftentwürfe in Miniaturschrift, die er seit den zwanziger Jahren für seine Bücher angefertigt hatte. Kaum vorstellbar, von blossem Auge nicht zu entziffern. Und doch auf einen Blick erfassbar im Lesesaal des Archivs, wo der “Räuber”-Roman in 24 Blättern wie ein Bild an der Wand hängt.

Grossformatige Schwarz-Weiss-Fotografien im Gang des Archivs zeigen den literarischen Einzelgänger Robert Walser als Wanderer, in nachdenklicher Haltung oder mit leicht melancholischem Blick. In Vitrinen finden sich heute wertvolle Erstausgaben seiner Bücher, in Panzerschränken die Originalmanuskripte.

50 Jahre nach seinem Tod steht das Walser-Archiv für die erstaunliche Renaissance dieses zu Lebzeiten verkannten Dichters.

swissinfo, Susanne Schanda

Das Robert-Walser-Archiv wurde 1973 gegründet und wird von der Robert-Walser-Stiftung Zürich (ehemals Carl-Seelig-Stiftung) getragen.

Die Stiftung bezweckt die Erhaltung, Erforschung und Verbreitung des dichterischen Werkes von Robert Walser.

Das Archiv, das den Nachlass von Robert Walser und Carl Seelig enthält, befindet sich an der Beethovenstrasse 7 in Zürich und steht allen Interessierten offen. Es wird bisher ausschliesslich privat finanziert.

Die Robert-Walser-Gesellschaft wurde 1996 gegründet und vereint heute rund 400 Mitglieder aus 15 Ländern. Das Ziel der Gesellschaft ist es, Manuskripte und Briefe Walsers, die in Nachlässen oder im Antiquariatshandel auftauchen, zu erwerben und sie dem Walser-Archiv als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen.

Robert Walser wurde 1878 in Biel geboren.
Nach einer Banklehre arbeitete er einige Jahre in Biel, Bern und Zürich.
Von 1905 bis 1913 lebte er in Berlin, wo er seine bekanntesten Romane schrieb: “Geschwister Tanner”, “Der Gehülfe”, “Jakob von Gunten”.
1929 trat er in die Psychiatrische Anstalt Waldau bei Bern ein.
1933 bis zu seinem Tod 1956 lebte er in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau. In dieser Zeit machte er lange Spaziergänge mit Carl Seelig, der später zu seinem Vormund und Nachlassverwalter wurde.

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