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Botschaftspersonal leidet unter starkem Franken

In Euro bezahlte Botschaftsangestellte in der Schweiz haben in den letzten Monaten viel Kaufkraft verloren. Keystone

Der starke Franken wirkt sich nicht nur auf die Exportindustrie aus. Auch das Personal von Botschaften ist betroffen, welche die Löhne in Euro ausbezahlen. In der portugiesischen Botschaft streiken deswegen 50 Personen.

Die Idee, dass Schweizer Firmen die Löhne direkt in Euro oder kursbezogen auf den Euro auszahlen, wird seit einiger Zeit für jene Branche kontrovers diskutiert, deren Einnahmen am meisten vom Wechselkurs beeinflusst werden.

Bisher ist die Idee noch nicht gross konkretisiert worden. Die Gewerkschaft Unia hat bisher zwei Fälle identifiziert: Ein Unternehmen im Kanton Bern hat die Löhne um 10% gekürzt, ein weiteres Unternehmen in Basel-Land ebenfalls. Unia hat dagegen Einspruch erhoben.

Eine andere Art von Arbeitnehmenden spürt die Euro-Schwäche jedoch seit langem: Botschaftsangehörige einiger Länder, die Arbeitsverträge haben, aber nicht Teil des diplomatischen Korps sind.

Weniger als 3000 Franken im Monat

Am Sitz der portugiesischen Botschaft ist die Lage inzwischen derart unerträglich geworden, dass über 50 Angestellte seit Anfang Woche streiken. Am 1. September blieben die Konsulate Portugals geschossen.

Mit der Erstarkung des Frankens gegenüber dem Euro sind die Saläre der lokalen Botschaftsangestellten im Durchschnitt von rund 4000 auf 2700 Franken gefallen. Allein im vergangenen Jahr ist die Kaufkraft um über einen Drittel zurückgegangen. Dazu kommt der Austeritätskurs der verschuldeten Regierung in Lissabon, der die Löhne um 10% geschmälert hat.

Weniger als 3000 Franken monatlich also. Sicher würde diese Summe in einigen europäischen Ländern als genügend hoch erachtet. Doch in der Schweiz, wo die Lebenshaltung bekanntlich enorm teuer ist, lassen sich mit diesem Geld knapp die Grundbedürfnisse befriedigen. 2008 betrug in der Region Bern der Medianwert eines Monatseinkommens 5716 Franken. Deshalb sehen viele Botschaftsangestellte dem Monatsende jeweils mit gemischten Gefühlen entgegen.

“Wenn das so weitergeht, riskieren wir echt, ins Elend abzurutschen”, sagt Gewerkschaftsvertreter Marco Martins. Die Gewerkschaft für Angestellte von Konsulaten und Botschaften versuchte erfolglos, mit dem portugiesischen Aussenministerium zu verhandeln. Am 26. August fand eine Sitzung in Lissabon statt.

“Das Ministerium hat einfach mitgeteilt, es würden ihm die Mittel fehlen, diese Verluste auszugleichen. Es bat um Verständnis, und man solle doch nicht streiken”, sagt Martins. “Doch uns bleibt nichts anderes übrig.”

Schwierigkeiten auch in der italienischen Botschaft

Auch in der Botschaft Italiens ist die Stimmung schlecht. “Unter den lokalen Angestellten in der untersten Lohnklasse sind wir jetzt bei rund 3300 Franken angelangt”, sagt eine Mitarbeitende, die anonym bleiben möchte. Von den rund 70 Angestellten in den Konsulaten und der Botschaft Italiens werden rund 20, auch schweizerischer Nationalität, in Euros bezahlt.

Bis vor einigen Jahren konnte das vertraglich angestellte konsularisch-diplomatische Personal noch wählen, ob es in lokaler oder Euro-Währung ausbezahlt werden solle. Doch seit 2003 setzt das italienische Aussenministerium die Entlöhnung in Euro durch, denn es gebe kein Schweizer Gesetz, dass Arbeitgeber anhalte, das Salär in der Landeswährung auszuzahlen.

“Wir verlangen nur, dass das Salär in Franken festgelegt wird”, so die Mitarbeitende. Diese Lösung würde damit Wechselkurs-Unsicherheiten ausschliessen.

Unterstützung aus Bern angefordert

Das Personal der portugiesischen Botschaft hat auch einen offenen Brief an Aussenministerin Micheline Calmy-Rey geschrieben. Das Aussenministerium könnte effektiv Druck ausüben, indem es sich auf die Garantie-Erklärung bezieht. Diese Erklärung dient dem Ministerium, um sicher zu stellen, dass die ausländischen Botschaften ihr Personal nach Usanzen und Arbeitsbedingungen des Gastlandes behandeln, wie EDA-Sprecher Adrian Sollberger sagt.

Der Fall wird auch von der Unia, der grösste Gewerkschaft der Schweiz, behandelt. Ihr sind die Vertragsangestellten der italienischen Botschaft angeschlossen. Der sozialdemokratische Berner Nationalrat Corrado Pardini, Mitglied des Unia-Direktionskomitees, verfolgt die Angelegenheit.

Gesetzesänderung

“Die Frage des Vertragspersonals in Botschaften ist ein weiteres Teilstück in der allgemeinen Problematik, dass Firmen ihre Mitarbeitenden direkt in Euro oder in am Eurowert gemessenen Löhnen bezahlen wollen”, sagt der Nationalrat.

Die Lösung könnte aus dem italienischen Aussenministerium kommen, dass zwar auf das Problem aufmerksam gemacht worden ist, aber noch nicht reagiert hat.

Zumindest intern sind aber die Fronten in Bewegung geraten. Pardini hat eine parlamentarische Motion vorgestellt, in welcher er vom Bundesrat verlangt zu verbieten, dass Schweizer Saläre in ausländischer Währung oder gebunden an ausländische Währungen ausbezahlt werden.

Eine Lösung wäre auch die Änderung des Artikels 323 im Obligationenrecht. Dieser lässt es zur Zeit offen, die Löhne in Euro auszuzahlen, falls Arbeitnehmer und Arbeitgeber damit einverstanden sind.

Würde der Vorschlag des Parlamentariers angenommen, könnten auch die Botschafts-Mitarbeiter endlich aufatmen.

Die Schweiz kennt keinen gesetzlich festgelegten Minimallohn. Dafür gibt es Gesamtarbeitsverträge (GAV) nach Branchen.

Diesen sind rund die Hälfte aller Arbeitnehmer unterstellt, und sie garantieren in der Regel ein Minimaleinkommen.

Vor einigen Monaten haben die Gewerkschaften eine Volksinitiative lanciert, die ein Minimumsalär von 22 Franken Stundenlohn resp. 4000 Fr. für 42 Wochenstunden oder 3800 Fr. für 40 Wochenstunden verlangt.

Laut Unia werden heute rund 400’000 Arbeitnehmende, davon 320’000 Frauen, zu Stundenlöhnen von unter 22 Fr. beschäftigt.

Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) erhalten darüber hinaus rund 150’000 Personen Löhne, die nicht zum Leben ausreichen (“Working Poor”).

2008 betrug der Medianlohn gemäss BFS 5823 Fr., wobei die regionalen Unterschiede gross sind: Im Tessin betrug er 4983 Fr., in Zürich 6250 Fr.

Die Schweizer Regierung hat am Mittwoch das erste Hilfspaket zur Linderung der negativen Folgen des starken Frankens auf den Industrie- und Tourismus-Standort Schweiz verabschiedet.

Der Bundesrat will dafür vorerst nur 870 Millionen Franken vor allem für die Arbeitslosenversicherung und die Sektoren Forschung und Tourismus bereitstellen.

Vor zwei Wochen hatte die Landesregierung die Vorbereitung eines Massnahmenpakets in der Höhe von 2 Milliarden Franken angekündigt.

Der grösste Teil des sofortigen Hilfspakets soll mit 500 Millionen Franken der Arbeitslosenversicherung zugute kommen (Kurzarbeit-Entschädigungen).

212,5 Millionen will der Bundesrat für den Wissens- und Technologietransfer zwischen den Forschungsinstitutionen und den Firmen in der Schweiz zur Verfügung stellen.

Und mit 100 Millionen will der Bundesrat den Tourismussektor unterstützen. Erhalten soll das Geld die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit SGH in Form eines Darlehens.

Die Schweizer Regierung wird nächstens ein zweites Hilfspaket gegen den starken Franken für das Jahr 2012 präsentieren.

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

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