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Cannabis: in Richtung Entkriminalisierung

Schon bald dürfte das Drehen eines Joints legal sein. Keystone

Die Legalisierung von Cannabis ist in der Schweiz seit Jahren umstritten. Die Regierung und die kleine Parlamentskammer sind dafür.

Aber vor allem in der Deutschschweiz ist eine Gegenkampagne im Gang.

Seit Ende letzten Jahres wird in den Deutschschweizer Medien vermehrt gewarnt, der Konsum von Hanf könne zu schweren psychischen Schäden wie Schizophrenie führen.

Mehrmals wurde in Zeitschriften, die sonst nicht unbedingt für eine repressive Drogenpolitik sind, auf Studien hingewiesen, die im “British Medical Journal” erschienen waren.

“Das sind oft alte, aufgebauschte Studien”, relativiert Michel Graf, stellvertretender Direktor der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme, ISPA, die im Übrigen in ihren Mitteilungen regelmässig darauf hinweist, das Rauchen eines Joints sei nicht ungefährlich.

Die Zürcher SP-Nationalrätin Christine Goll, Vizepräsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats, die ab Mittwoch erneut zum Betäubungsmittelgesetz tagt, sieht in der Veröffentlichung solcher Artikel eine konzertierte Kampagne von Befürwortern der vom Volk abgelehnten repressiven Initiative “Jugend ohne Drogen”.

Organisierte Briefe


“Sie haben sich heute mit der Vereinigung ‘Eltern ohne Drogen’ zusammengetan”, erklärt sie. “Die Mitglieder der Kommission erhielten zahlreiche Briefe, bei denen auf den ersten Blick klar wird, dass sie nicht spontan geschrieben wurden, sondern Teil einer umfassenden Kampagne sind.”

Die Gegnerschaft versuche, die Meinung der Parlamentsmitglieder zu beeinflussen, um ein Referendum nach Annahme des Gesetzes zu vermeiden, fügt die Zürcherin bei.

Die Abstimmung im Nationalrat, der grossen Kammer, wird voraussichtlich in der Sondersession im Mai folgen. Sie dürfte aber weniger eindeutig ausfallen als im Ständerat. Der klare Entscheid (32 gegen 8) im Dezember 2001 war in einer Kammer, die sonst eher als konservativ gilt, doch sehr überraschend.

Lehrkräfte auf den Barrikaden

Laut Goll ist noch eine zweite Kampagne im Gang: Ende Januar, als die Kommission ihre Arbeit wieder aufnahm, stieg der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, LCH, auf die Barrikaden und verurteilte in einer Mitteilung die Legalisierung von Hanf.

“Anders als Alkohol hat Hanf einen direkten und epidemischen Einfluss auf den Alltag in der Schule”, schreibt der LCH. Er will verhindern, dass die Schule zu einer “therapeutischen Institution, einem Ort der Ausnüchterung oder einem Zentrum zum Nachholen von Schlaf wird”!

Auch die Westschweiz steht dahinter

Der Westschweizer Berufsverband, die Association syndicale et pédagogique des enseignants de Suisse romande (SER), wurde nicht dazu befragt. Aber Präsidentin Marie Claire Tabin teilt die Einstellung des LCH.

“Die psychische Abhängigkeit ist sehr real”, erklärt sie. “Wollen wir eine Gesellschaft mit schlappen Menschen, die ihre Verantwortung immer weniger wahrnehmen? Es geht nicht an, dass Hanf zu einem Konsumgut wird wie Brot und leider auch Zigaretten.”

Die Einstellung der Lehrerschaft erstaunt, gelinde gesagt, die Präventionskreise. So erklärt Michel Graf, dass die Repression die Prävention und den Kontakt mit den Konsumierenden verhindere.

“Die Lehrerschaft ist heute gegenüber Joint-Rauchenden genau aus dem Grund hilflos, weil sie nur die Möglichkeit einer Bestrafung sieht. Dank der Entkriminalisierung kann man mit den Rauchenden anders umgehen, als einfach die Polizei zu rufen.”

Finanzielle Unterstützung

Graf bestätigt im Übrigen, dass jene, welche die Entkriminalisierung ablehnen, ihre Kräfte zur Vorbereitung eines möglichen Referendums sammeln. “Wir erhalten Vorschläge von Bewegungen, die Druck machen wollen und der ISPA finanzielle Unterstützung anbieten, wenn diese sie ihrerseits unterstützt”, führt er aus.

Der Waadtländer Arzt und Nationalrat Yves Guisan ärgert sich sehr über die Lehrerschaft und schimpft über “die unerträglich lasche Haltung der gleichen Leute in anderen Bereichen wie zum Beispiel beim Rauchen.”

“Scheingefecht”

Der Freisinnige, der Mitglied der Nationalratskommission ist, glaubt nicht, dass es den Gegnern gelingt, ihre Ansichten dem Parlament aufzuzwingen.

“Es ist vielmehr ein Scheingefecht einiger Kamikaze der letzten Stunde, ein zum vornherein verlorener Kampf. Die Kommission hat ihre Meinung zur Entkriminalisierung geändert und sieht diese als notwendig an.”

Umstrittener dagegen sind die Fragen um Hanfanbau und -handel. Darüber wird weiterhin hitzig debattiert.

swissinfo, Ariane Gigon Bormann, Zürich
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Zwischen 500’000 und 600’000 Personen konsumieren in der Schweiz regelmässig Cannabis.
68% der 15-19-Jährigen und 65% der 20-24-Jährigen haben im letzten Jahr kein Cannabis konsumiert.
6,5% der 15-19-Jährigen und 5,4% der 20-24-Jährigen konsumierten 2002 mindestens einmal täglich Cannabis.
Das Durchschnitts-Alter für den ersten “Joint” ging in den 90-er Jahren zurück von 16,5 auf 15,8 Jahre.

Am 28. September 1997 wurde die repressive Initiative “Für eine Jugend ohne Drogen” mit 70,7% verworfen.
Am 28. November 1998 sagte die Stimmbevölkerung mit 73,9% Nein zur “Droleg”-Initiative, die weiche Drogen legalisieren wollte.

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