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Couchepin plädiert für weitere Öffnung der Schweiz

Pascal Couchepin - Bundespräsident 2003 - ist überzeugt, dass die Schweiz der EU beitreten muss. Allerdings werde der Beitritt in kleinen Schritten erfolgen.

Das sagt Couchepin in einem Exklusiv-Gespräch mit Imogen Foulkes und Olivier Pauchard von swissinfo.

Pascal Couchepin wird im Jahr 2003 erstmals Bundespräsident, nach einem Jahr, welches geprägt war von einem gespannten Verhältnis zu Europa in Sachen Bankgeheimnis.

Trotz der Androhung von Sanktionen seitens der EU bleibt die Schweiz auf ihrem Standpunkt, Informationen über Schweizer Konten von EU-Bürgern nicht heraus zu geben. Die Schweiz machte jedoch den Vorschlag der Zinsbesteuerung, womit 35% der Zinsen in die EU-Länder zurückgeführt würden.

Nachdem die EU selber keinen Konsens erzielt hatte und die selber verschriebene Frist für eine Einigung mit der Schweiz abgelaufen war, haben die Finanzminister der Union die Verhandlungen auf 2003 verschoben.

Couchepin übernimmt das Ruder auch kurz nachdem die Schweiz ganz knapp eine massive Verschärfung des Asylrechts abgelehnt hatte. Eine Initiative der rechtsgerichteten Schweizerischen Volkspartei (SVP) wurde von fast jedem zweiten Stimmbürger gutgeheissen.

Die Angst über die Anzahl der Ausländer in der Schweiz wird auch im Jahr 2003 ein Thema sein, wenn die geplante Revision des Bürgerrechts diskutiert wird.

swissinfo: Wie wichtig ist die Rolle des Bundespräsidenten (jedes Jahr wird eines der sieben Regierungsmitglieder alternierend gewählt)?

Pascal Couchepin: Es ist eine wichtige Rolle, denn der Bundespräsident leitet die Sitzungen der Regierung. Daher muss er um eine gute Atmosphäre unter den Bundesräten besorgt sein. Er muss auch mehr repräsentative Aufgaben wahrnehmen, als dies ein Bundesrat in einem normalen Jahr tun muss.

Ich werde befreundete Länder besuchen und ausländische Besucher empfangen, zusammen mit meinen Kollegen. Doch als Bundespräsident werde ich die führende Rolle spielen.

swissinfo: Im Ausland staunt man oft, dass in der Schweiz drei oder gar vier Sprachen gesprochen werden. Was denken Sie über das Frühenglisch an den Schulen, über das in letzter Zeit viel geredet wurde?

P. C.: Es ist falsch zu denken, dass die Schweizer zwei oder drei Sprachen sprechen. Viele sprechen nur eine. Die Schweiz ist nicht ein Land, in dem alle mehrere Sprachen sprechen. Es ist eher eine Koexistenz mehrerer Sprachen. Das ist doch etwas anderes. Teilweise ist das Niveau der linguistischen Kenntnisse nicht höher, als in einem Land, das nur eine Sprache spricht.

Was das Frühenglisch betrifft: Es ist besser, Englisch mit Freude zu lernen, als eine andere Nationalsprache, die keine Freude bereitet. Jedoch setze ich mich energisch dafür ein, dass die zweite gelernte Sprache eine der Nationalsprachen sein soll.

swissinfo: Andere Länder bemerken oft, dass die Schweiz mitten in Europa liegt und trotzdem nicht Mitglied der EU ist. Wie sehen Sie diese Beziehung und einen möglichen Beitritt zu EU heute?

P. C.: In den letzen Jahren habe ich viele Länder besucht. Viele der Präsidenten und Minister, die ich getroffen habe, fragten mich, warum wir nicht Mitglied der EU seien. Wenn ich ihnen die Gründe darlegte, verstanden einige warum und sagten mir, dass wir Recht hätten. Andere waren erstaunt. Von aussen wird es daher nicht immer als negativ angesehen, dass wir bei der EU nicht dabei sind.

Meiner Meinung nach sollten wir dabei sein, wir müssten es sogar. Doch wir müssen kleine Schritte machen, denn wir haben eine direkte Demokratie. Das heisst, der Entscheid zum Beitritt muss vom Volk abgesegnet werden. Daher müssen wir zuerst viele Probleme aus dem Weg räumen, bevor wir die Frage stellen können: Wollt ihr der EU beitreten?

swissinfo: Wie beurteilen Sie die Probleme mit dem Bankgeheimnis, den Steuerflüchtlingen und der Zinsbesteuerung? Sie selber hatten ja einige schwierige Verhandlungen in Brüssel zu bestreiten.

P. C.: Wir haben mit der Möglichkeit der Zinsbesteuerung von EU-Bürgern ein sehr grosszügiges Angebot gemacht. Doch wir werden das Bankgeheimnis nicht aufweichen, denn es widerspiegelt unsere Idee der Beziehungen zwischen dem Staat und der Privatperson. Wir sind überzeugt, dass unser grosszügiger Vorschlag ein gutes Angebot ist, das durchaus akzeptabel ist. Wir hoffen hier auf einen Erfolg.

swissinfo: Ein anderes Thema betrifft die Zuwanderung und das Asylwesen. Im Vorfeld der Initiative gegen den Missbrauch des Asylrechts wurde von verschiedenen Seiten behauptet, der Schweizer Regierung laufe das Ruder aus der Hand.

P. C.: Während der letzten Monate hatten wir die Kampagne für das neue Asylrecht. Und es ist wahr, dass wir nur haarscharf gewonnen haben. Es bedeutet auch, dass sich viele Menschen in der Schweiz wünschen, wir sollten stärker an einer Lösung dieses Problems arbeiten.

Doch nicht nur die Schweiz ist davon betroffen, jedes Land in Europa kennt dieses Problem. In der Schweiz haben wir aber schon einen hohen Anteil an Ausländern, – fast 20% der Bevölkerung sind Ausländer – und ein zusätzlicher Ansturm könnte die Schweiz stärker erschüttern als ein Land mit einem kleinen Anteil an Ausländern.

Daher müssen wir sehr vorsichtig sein und vermutlich die Möglichkeiten erweitern, um “falsche” Flüchtlinge zurückschicken zu können, die nur aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz gekommen sind.

swissinfo: Einer der Gründe für den hohen Anteil an Ausländern ist doch die erschwerte Einbürgerung.

P. C.: Das stimmt.

swissinfo: Das wird 2003 im Parlament beraten. Sind Sie zuversichtlich, dass die vereinfachte Einbürgerung angenommen wird?

P. C.: Ja. Ich bin überzeugt, dass dieses Gesetz nichts Aussergewöhnliches oder Revolutionäres ist. Wir wollen Personen, deren Eltern in der Schweiz geboren wurden, automatisch einbürgern. Das ist nichts Aussergewöhnliches und kommt vermutlich durch. Doch einfach wird es nicht, denn es ist eine symbolische Entscheidung.

swissinfo: Sie werden nicht nur Bundespräsident, Sie wechseln auch gleich das Departement. Vom Wirtschafts- zum Innenminister. Ein schweres Departement mit vielen Baustellen, hauptsächlich im Bereich der Krankenkassen.

P. C.: Ich hoffe, ich bin stark genug, um diese Aufgabe zu bewältigen – zähle aber auch auf meine Kollegen. Ich werde wohl im Verlauf des Jahres sehen, ob ich mich überschätzt habe. Doch ich hoffe, dass dies nicht der Fall sein wird.

swissinfo: In Sachen Krankenkassen wurde Ihre Vorgängerin Ruth Dreifuss während Jahren zum Teil massiv kritisiert. Was muss nun getan werden?

P. C.: Zuerst möchte ich feststellen, dass sich das schweizerische Gesundheitswesen gut hält. Im Ausland dagegen stehen einige Systeme kurz vor dem Kollaps.

Dies ist in der Schweiz nicht der Fall: Unsere Krankenkassen weisen sogar noch Reserven auf. Die Qualität der Leistungen und der Zugang sind bemerkenswert. Jedermann kann unabhängig von seinem Einkommen auf die Leistungen zurückgreifen, die er gesundheitlich nötig hat. Doch dieses System kostet seit einigen Jahren stetig mehr.

Das Problem liegt darin, dieses System finanzieren zu können. Hier müssen wir ansetzen. Niemand will die Prämien senken. Doch ich habe den Wunsch, – wohl mit der Mehrheit im Lande – die steigenden Gesundheitskosten zu bremsen, so dass das System weiterhin für alle zugänglich bleibt.

swissinfo: Haben Sie ein bestimmtes Ziel in Ihrem Jahr als Bundespräsident?

P. C.: Wenn mir Journalisten diese Frage stellen, antworte ich jeweils mit den Worten des früheren englischen Premierministers Edward Heath: “Ereignisse, Ereignisse, Ereignisse.” Man muss Antworten geben zu Ereignissen, die unvorhersehbar sind. Das ist mein Ziel für 2003. All die unerwarteten Ereignisse zu meistern, die wir ohne Zweifel erleben werden: Das ist meine grösste Herausforderung.

swissinfo, Imogen Foulkes und Olivier Pauchard
Übertragen aus dem Englischen und Französischen: Christian Raaflaub

Pascal Couchepin
Geboren am 5. April 1942 in Martigny
Lizenziat der Rechte der Universität Lausanne
1979-1998 Nationalrat
1984-1998 Stadtpräsident von Martigny
1998 Wahl in den Bundesrat
2003 Bundespräsident

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