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Das Bankgeheimnis ist noch nicht tot

Keystone

Das Schweizer Bankgeheimnis ist bei einer Untersuchung zur Steuerhinterziehungs-Komplizenschaft im Fall eines UBS-Angestellten in den USA auf dem Prüfstand. Steht dessen Ende bevor?

Um die Ursachen und Folgen dieser Affäre besser zu verstehen, befragte swissinfo Lino Terlizzi, Leiter der Wirtschaftsabteilung der Tagesschau des italienischsprachigen Schweizer Fernsehens und Schweizer Korrespondent der italienischen Wirtschaftszeitung Il Sole 24 ore.

swissinfo: Schaden diese Untersuchungen und das sie begleitende Medienspektakel der UBS oder den Schweizer Banken generell?

Lino Terlizzi: Zweifellos fügt das dem Bankenplatz Schweiz schaden zu. Aber das ist ja nicht das erste Mal.

Die Angriffe kamen in der Vergangenheit von der Europäischen Union und endeten erst nach einer Vereinbarung über die Besteuerung von Zinserträgen.

Die Attacken aus den USA werden dagegen fortgesetzt. Die Zahl und die Intensität der amerikanischen Angriffe auf das Schweizer Bankgeheimnis waren schon immer stärker als auf andere Bankenplätze wie etwa London oder Singapur.

swissinfo: Gibt es Gründe für die dauernde Wiederholung dieser Angriffe?

L.T.: Der fundamentale Unterschied besteht in der unterschiedlichen Konzeption der Individualrechte zwischen der Schweiz und den USA.

Wenn man vom Schweizer Bankgeheimnis spricht, sollte man eigentlich von der Geheimhaltung zugunsten der Kunden sprechen. Den Schutz der Privatsphäre gibt es auch in anderen Sektoren. Sie ist eine Grundvoraussetzung bei Berufen wie Rechtsanwälten oder Ärzten.

In den Vereinigten Staaten, aber auch in anderen europäischen Ländern, gibt es unterschiedliche Auffassungen zum individuellen Privatrecht. Das zeigt sich immer wieder.

swissinfo: Gibt die UBS die verlangten Namen den amerikanischen Behörden nicht preis, gerät sie in Gefahr, mit bis zu zwei Millionen Dollar pro Tag gebüsst zu werden. Wenn sie die Namen jedoch nennt, verletzt sie das Schweizer Bankgeheimnis. Gibt es einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation?

L.T.: Hier wird das Verhandlungsgeschick der Schweizer Behörden entscheidend sein. Die US-Steuerbehörde verlangt, via das zuständige Gericht in den Vereinigten Staaten, dass einige Element offengelegt werden. Dieser Antrag muss nun durch die Schweizer Behörden als rechtsgültig erklärt werden. Es liegt an ihnen, zu entscheiden, ob Hilfe gewährt werden kann – in administrativer oder rechtlicher Hinsicht.

swissinfo: Können denn die Schweizer Banken angesichts dieser vielen Hindernisse überhaupt noch Geschäfte in den USA tätigen?

L.T.: Auf der einen Seite können wir die Tatsache nicht ignorieren, dass der amerikanische Markt nach wie vor der wichtigste ist. Andererseits gibt es heute viele erstarkte Märkte in Schwellenländern in Asien, Südamerika und Europa. Diese können zwar den amerikanischen Markt nicht ganz ersetzen, erlauben aber eine grössere Diversifizierung als bisher.

Also sollten die Schweizer Banken, aber auch Dienstleistungsunternehmen und Industrie eine Bestandesaufnahme ihrer Aktivitäten in den Vereinigten Staaten vornehmen, damit sie abschätzen können, ob eine direkte Präsenz vor Ort nötig ist oder nicht. Keine grosse Direktpräsenz zu haben, bedeutet nicht unbedingt, nicht vor Ort präsent zu sein. Man kann auch ohne Strukturen vor Ort auf einem bestimmten Markt mit den Kunden dieses Marktes Geschäfte machen.

swissinfo: Angenommen, das Bankgeheimnis muss weichen, könnte dies für den Bankenplatz Schweiz in Zukunft auch Vorteile bringen?

L.T.: Das Schweizer Bankgeheimnis hat bereits eine Evolution hinter sich. So wurden hierzulande zum Beispiel die Anti-Geldwäscherei-Gesetze strenger ausgestaltet als in vielen anderen Ländern.

Zudem gilt das Bankgeheimnis nicht für Straftaten, wie bereits demonstriert wurde. So haben die Behörden und die Schweizer Banken in vielen Untersuchungen zusammengearbeitet. Das schweizerische Bankgeheimnis garantiert den Schutz der Privatsphäre.

Ich bin der Ansicht, dass das Schweizer Bankgeheimnis nicht verschwinden wird. Und auch wenn in Zukunft sicherlich neue Attacken stattfinden werden, denke ich, dass im Hinblick auf die Verhandlungs-Kapazität das Schweizer Bankgeheimnis noch viel länger Bestand hat, als es viele vermuten.

Der Wirtschafts- und Finanzplatz Schweiz hat eine grosse Kapazität, Kapitalien zu bewirtschaften, eine internationale Sichtweise der Märkte, eine lange Gewohnheit, der sich bewegenden Welt zu folgen. Das ist ein gut konstruierter und konsolidierter Mechanismus, über den viele andere nicht verfügen und der nicht einfach plötzlich zu Staub zerbröselt.

swissinfo-Interview: Sonia Fenazzi
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

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Die Schwierigkeiten der UBS mit den USA begannen im vergangenen Mai dieses Jahres, als ein früherer UBS-Vermögensverwalter von einem US-Gericht der Beihilfe zur Steuerhinterzeihung angeklagt wurde.

Am 20. Juni gestand der Ex-Banker Bradley Birkenfeld vor einem Bundesgericht, er habe zwischen 2001 und 2006 reichen US-Bürgern geholfen, Steuern zu hinterziehen. Die Gelder seien auf Geheimkonten in die Schweiz und nach Liechtenstein verschoben worden. Es habe sich dabei um eine gängige Praxis von UBS-Kundenberatern gehandelt.

Am 2. Juli ist die US-Steuerbehörde IRS von der Bundesrichterin in Florida ermächtigt worden, bei der UBS direkte Informationen über mutmassliche Steuerbetrüger einzuholen.

Die UBS, die Rekursmöglichkeiten hat, hat die Anschuldigungen bisher weder bestätigt noch dementiert. Die Grossbank teilte mit, sie nehme diese Angelegenheit sehr ernst und arbeite sowohl mit Schweizer als auch mit US-Behörden eng zusammen. Dabei halte man sich an Schweizer Recht und die gesetzlichen Rahmenbedingungen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit.

Die Affäre führte hierzulande zu Befürchtungen um die Glaubwürdigkeit des Bankgeheimnisses und des Finanzplatzes Schweiz.

Die Schweizer Regierung entsandte eine hochrangige Delegation in die USA. Diese sollte mit den US-Behörden das juristische Prozedere erörtern. Ziel der Schweiz ist es, eine Verletzung des Bankgeheimnisses und ein Strafverfahren gegen die UBS zu verhindern.

Bisher hat Washington noch keine offizielle Rechts- oder Amtshilfe von Bern verlangt.

Die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug hat direkte Konsequenzen bezüglich der Rechtshilfe.

Steuerhinterziehung, die darin besteht, aus Versäumnis oder Absicht Einkünfte bei den Steuerbehörden nicht zu deklarieren, gilt in der Schweiz nicht als Verbrechen. Sie rechtfertigt die Aufhebung des Bankgeheimnisses nicht.

Daher akzeptiert die Schweiz prinzipiell kein Gesuch um Rechtshilfe eines anderen Staates, wenn es sich um Steuerhinterziehung handelt.

Umgekehrt wird Steuerbetrug, also Fälschung von Dokumenten, um die Steuerbehörden zu täuschen, strafrechtlich verfolgt. In diesem Fall kann das Bankgeheimnis durch einen Schweizer Richter aufgehoben und Rechtshilfe vereinbart werden.

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