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Das Jahrhundert des Bildes: die Ikone

"El Guerrillero heróico" (1960) von Alberto Korda. Pro Litteris

Wie hat die Photographie das Jahrhundert wiedergegeben? Mit welchen Werkzeugen, welchen Tricks? Das sechste der zwölf vom Musée de l'Elysée in Lausanne ausgewählten Bilder: "El Guerrillero heróico" (1960) von Alberto Korda.

Zum ersten Mal sah ich dieses Bild in einem Laden, der Posters verkaufte. Posters waren damals sehr “in”, in jenen längst vergangenen Zeiten, da Onkel Sam Napalmbomben über Vietnam abwarf, während ich zuhörte, wie mein Haar wuchs, wie es der Chansonnier Brel ausdrückte.

Morrison, Joplin und Hendrix waren schon Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die es übrigens in jenem Laden auch zu bewundern gab, zwischen einer Landschaft von Chagall und einem Plakat, das uns in psychedelischen Buchstaben und in der Sprache Jaggers aufforderte, Liebe zu machen, nicht Krieg.

Der düstere Blick des Mannes mit dem Béret, natürlich vor rotem Hintergrund, mit dem Slogan “Hasta la victoria siempre”, sprach mich an. Da ich fast noch in den Kinderschuhen steckte, glaubte ich, einen Rockstar vor mir zu haben.

Gut dreissig Jahre später ist das Gesicht Ches noch immer auf Posters, T-Shirts und anderem zu finden. Der Arzt? Der Präsident der kubanischen Nationalbank, der Wirtschaftsminister? Verschwunden. Die leeren Augen des Leichnams in der kleinen Schule von La Higuera? Vergessen.

Die Allermeisten sehen Che, wie ihn Alberto Korda am 6. März 1960 im Hafen von Havanna aufgenommen hat, so, und nur so. Dieser auf ferne Horizonte gerichtete Blick. Die Bewegung der Haare im Wind. Die wilde Schönheit, gesteigert durch das graphische Verfahren, durch das die Photographie zu einem Schwarzweissbild wird und gleichzeitig alle Grautöne, alle Unvollkommenheiten ausradiert werden …

Korda hatte das 1960 aufgenommene Bild bis 1967 in einer Schublade. Dann übergab er es Giangiacomo Feltrinelli, einem Mailänder Herausgeber der extremen Linken. Arglosigkeit, Grosszügigkeit oder Blindheit? Er trat die Urheberrechte ab … Wenig später wurde der “Commandante” in Bolivien ermordet. Und damit wurde er zum Mythos.

Noch heute tragen zahlreiche Jugendliche, die wohl kaum etwas vom wirklichen Leben Ernesto Guevaras wissen, sein Bild auf ihrem T-Shirt. Oder vielmehr das Bild, das Korda von ihm gemacht hat, von anderen gut aufgezogen und vermarktet. Sie wissen nichts von Che und wissen doch, dass sie ein Bild des Aufstands tragen. Seit 33 Jahren hat das Wort “Revolution” ein Gesicht – romantisch und christusähnlich.

Die photographierte Ikone ist ebenso mächtig wie begrenzend.

Bernard Léchot

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