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Das Schweizer Fussball-Gedächtnis

Der ehemalige Fernseh-Reporter Jean-Jacques Tillmann, das "Gedächtnis" des Schweizer Fussballs. swissinfo.ch

Die bisherigen Schweizer Auftritte an Welt- und Europa-Meisterschaften sind dem ehemaligen Westschweizer Fernseh-Reporter Jean-Jacques Tillmann noch sehr präsent.

Der profunde Fussball-Kenner kramt für swissinfo in seinen Erinnerungen.

Jean-Jacques Tillmann ist Fussballfan mit Leib und Seele, seit er denken kann. Seine Leidenschaft für das runde Leder und die Spieler, die wie Künstler damit umgehen, ist auch nach seiner Pensionierung ungebrochen.

Tillmann ist ehemaliger Sport-Journalist beim Westschweizer Fernsehen (TSR) und so etwas wie das Gedächtnis des Schweizer Fussballs. Dieser ist charakterisiert von viel Durchschnitt und eher seltenen Glanztaten.

Tillmann frischte für swissinfo Episoden und Anekdoten auf, welche in die Geschichte des Schweizer Fussballs eingingen.

Dank seinem wachen Geist, seinem guten Gedächtnis und seiner blumigen Sprache tauchen so die Grosstaten Eugen Wallascheks von 1938 bis zu denjenigen Stéphane Chapuisats 1994 und 1996 wieder aus der Versenkung auf und erwachen zu neuem Leben.

1934 und 1938

An der ersten Weltmeisterschaft der Geschichte 1930 in Uruguay war die Schweiz noch nicht dabei. Danach jedoch spielte sie an zwei Endrunden, nämlich 1934 in Italien und 1938 in Frankreich.

Damals gab es noch kein Fernsehen. Das Geschehen auf dem Rasen gelangten nur via die Stimme des Radio-Reporters “Squibbs” (Marcel Suès) in die Stuben der Mitfiebernden. Zu den Helden von damals gehörte auch der Schweizer Eugen Wallaschek.

“Heute ist Wallaschek über 85. Er spielte in der Mannschaft mit, welche 1938 im Parc des Princes in Paris Deutschland mit 4:2 schlug”, erinnert sich Tillmann.

“Ich habe ihn mehrere Male getroffen, und er erzählte, wie die Schweizer Mannschaft damals sowohl mental wie technisch sehr stark war. Manchmal habe er sich gefragt, ob er diese Augenblicke nicht geträumt habe”, so Tillmann.

Brasilien 1950

Nach dem Krieg regierte wieder der König Fussball. Die dritte WM der Geschichte wird in Brasilien ausgetragen, und die Schweiz ist mit von der Partie.

“Wir lasen die Resultate drei bis vier Tage nach dem Spiel in den Zeitungen”, erklärt Tillmann. “So ging der Erfolg der Schweizer, die gegen den Gastgeber dank zweier Tore von Fatton ein Unentschieden erreicht hatten, etwas unter.” Andere Zeiten, andere Geschwindigkeiten…

Schweiz 1954

Diesmal war die Schweiz Gastland. Sie schied aber im Viertelfinal in Lausanne gegen Österreich mit 7:5 aus. Das wichtigste Spiel dieser WM ging jedoch am 4. Juli im Berner Wankdorf-Stadion über die Bühne: Der Final zwischen Ungarn und Deutschland.

Die Deutschen besiegten die damals seit vier Jahren ungeschlagenen Ungarn mit 3:2 und vollbrachten “Das Wunder von Bern”. “Das war mehr als eine Enttäuschung für mich, es war furchtbar, denn Ungarn spielte wunderbaren Fussball. Nach dem Match weinte ich, so grausam war es.” Noch heute ist Tillmann ganz gerührt.

Es war ein sensationeller Sieg, mit dem der Kriegsverursacher und –verlierer sich etwas aus seiner schmählichen Nazi-Vergangenheit lösen konnte. Gleichzeitig war der Sieg von Bern auch der Startschuss für das deutsche Wirtschaftswunder.

1962 und 1966

Zweimal war die Schweiz dabei, und es resultierte beide Male eine sportliche Katastrophe: 1962 in Chile und 1966 in England vermochten die Rot-Weissen kein einziges Spiel zu gewinnen.

1962 verliert die Nationalmannschaft das Eröffnungsspiel gegen Chile, dann unterliegt sie Deutschland, als Norbert Eschmann das Wadenbein bricht.
“Es geschah fünfzehn Minuten nach dem Anpfiff”, erinnert sich der damalige Unglücksrabe Eschmann.

“So mussten meine Kameraden dummerweise mit einem Mann weniger gegen Deutschland weiterspielen. Nach diesem Match konnten wir die Koffern packen.”

Vier Jahre später macht der damalige Spieler und heutige Schweizer Trainer Köbi Kuhn von sich reden. Tillmann dazu: “Es war meine erste WM als Kommentator. Kuhn wurde mit zwei anderen Spielern vor dem ersten Match gegen Deutschland ausgeschlossen, und damit war der weitere Verlauf des englischen Abstechers vorgegeben.” Punkt.

1994 und 1996

Die beiden letzten grossen internationalen Turniere der Schweizer “Nati” waren die WM 1994 in den USA und die EM 1996 in England.
Unter Trainer Roy Hodgson spielen die Schweizer im Eröffnungsspiel gegen die USA 1:1 Remis. Sie brillieren weiter mit einem klaren 4:1-Sieg über Rumänien und qualifizieren sich gar für die Achtelfinals.

Zwei Jahre später trennen sich die Schweizer im ersten Spiel an einer EM erneut unentschieden. Diesmal hiess der Gegner England. Danach aber verlieren sie die beiden anderen Gruppen-Spiele und scheiden aus.

2004 in Portugal

Diesen Sommer können die Schweizer in Portugal zeigen, was in ihnen steckt. Die erfolgreiche Qualifikation und die zahlreichen Spieler, die im Ausland spielen (namentlich in Frankreich, Deutschland und England) lassen in der Tat auf gute Resultate hoffen.

“Ausserdem”, so der alte Fussball-Fuchs Tillmann, “ist der Spielplan für die Schweizer günstig, denn sie spielen zuerst gegen Kroatien, dann gegen England und schliesslich gegen Frankreich.”

swissinfo, Mathias Froidevaux
(Übersetzung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Die Schweiz war an sieben Weltmeisterschaften dabei: 1934, 1938, 1950, 1954, 1962, 1966, 1994.
In Portugal spielt die Schweiz zum zweiten Mal an einer Endrunde einer Europameisterschaft.
Die EM-Premiere hatte sie 1996 in England.

Jean-Jacques Tillmann ist seit Kindsbeinen begeisterter Fussball-Fan.

Er blieb in seiner ganzen Karriere als Sportjournalist der Télévision Suisse Romande (TSR) treu, bei der er 1963 seine Feuertaufe erlebt hatte.

In seinen 37 Jahren als Fernseh-Reporter berichtete er von neun Weltmeisterschaften, 300 Spielen der europäischen Cup-Wettbewerbe sowie 30 englischen Cupfinals.

2001 veröffentliche er seine Erinnerungen im Buch “Carnet de Balles.”

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