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Del Ponte und die Gleichberechtigung der Frau

Carla del Ponte (hinten) hört in Genf der iranischen Friedensnobelpreis-Trägerin Shirin Ebadi zu. Keystone

Zwei Juristinnen, die Schweizerin Carla Del Ponte und die iranische Nobelpreis-Trägerin Shirin Ebadi, sprachen in Genf am Frauentag über Gleichheit vor dem Gesetz.

Del Ponte, Chefanklägerin am UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal, sagte gegenüber swissinfo, es sei für Frauen immer noch schwierig, zwischen Beruf und Karriere zu wählen.

Del Ponte sprach an einer Konferenz der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf. Die ILO veröffentlichte einen Bericht zur Lage der Frauen, in dem steht, dass Frauen weltweit langsam aber stetig etwas besseren Zugang zu den Justizsystemen hätten und weniger diskriminiert würden.

Im Zentrum der Rede Del Pontes stand die Frage, ob den Frauen in den Gerichtsälen die gleichen Rechte zukommen wie den Männern.

Sie vermied in Genf jeglichen Bezug zu ihrer Tätigkeit in Den Haag, wo sie Chefanklägerin im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic ist.

An der Konferenz anwesend war auch die Friedensnobel-Preisträgerin 2003, Shirin Ebadi. Sie machte darauf aufmerksam, dass Frauen in den islamischen Ländern vor Gericht immer noch diskriminiert würden.

“Vor einem iranischen Gericht hat ein Mann rund zweimal mehr Gewicht, als eine Frau”, sagte Ebadi. Sie war die erste Richterin in Iran, wurde aber nach der Revolution 1979 zum Rücktritt gezwungen.

“Um gegen die Ungleichbehandlung der Frauen im Iran zu protestieren, trage ich heute schwarze Kleidung. Ich bin in Trauer über die fehlenden Frauenrechte in Iran”, erklärte Ebadi.

Carla Del Ponte ihrerseits sagte, eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau in der Justiz sei eine Verletzung internationaler Prinzipien.

swissinfo: Werden Frauen vom weltweiten Justizsystem fair und gleich wie Männer behandelt?

Carla Del Ponte: Ich denke schon. Frauen haben heute einen besseren Zugang zur Justiz, vor allem als Opfer. Und wenn wir die Tausenden von Opfern von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Genozid betrachten, sollte es wirklich keinen Unterschied geben zwischen Männern und Frauen. Beide Geschlechter sollten gleich behandelt werden.

Etwas “professioneller” ausgedrückt: Die Leistungsfähigkeit eines Richters, sei es ein Mann oder eine Frau, hängt davon ab, wie gut er oder sie vorbereitet ist und die Materie kennt. Da sollte es keinen Unterschied geben.

swissinfo: In Ihrer Rede hier in Genf sagten Sie, dass Frauen dazu neigen, sich im Gerichtssaal besonders mutig zu zeigen. Warum das?

C.D.P.: Ja, das hat mich überrascht. Ich dachte eigentlich nicht, dass es hier Unterschiede gibt.

Doch habe ich festgestellt, dass Frauen viel mutiger sind als Männer, besonders wenn es um Fälle von Vergewaltigung oder sexuellen Übergriffen geht.

Es ist für Frauen sehr schwierig, in diesen sensiblen Bereichen der Persönlichkeit vor den Richter zu treten. Wenn eine es aber tut, dann zögert sie nicht mehr oder lässt sich auch nicht von Hindernissen abhalten.

In solchen Momenten können zum Beispiel Kreuzverhöre sehr aggressiv verlaufen. Da sehe ich oft Männer, die es vermeiden wollen, auf Fragen zu antworten. Frauen tun das nicht. Frauen sind wunderbar, besonders für eine Anklägerin in einem solchen Fall.

swissinfo: In Ihrer Karriere mussten Sie sich mit Terroristen, Geldwäschern und Kriegsverbrechern befassen. Sie selber sagten, Ihre Arbeit habe Sie zwei Ehen gekostet. Wie hat Ihr Frausein Ihre Erfahrungen als Verbrechensbekämpferin beeinflusst?

C.D.P.: Es ist mein Kontakt zu Opfern, der mich veranlasst, die Energie nicht zu verlieren und meine Ziele weiter zu verfolgen. Ich vertrete die Opfer vor Gericht und will für sie Gerechtigkeit.

Als Anklägerin ist es sehr wichtig, mit ihnen in persönlichen Kontakt zu treten. Dann sehe ich, wie sie leiden und welche Hoffnung sie in die Justiz setzen.

Eine Karriere in der Justiz verlangt ein gewisses Mass an Motivation. Da denke ich, gibt es keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern.

Allerdings stimmt es: Frauen werden immer noch behindert. Sie sind immer noch mit der Frage konfrontiert, ob sie arbeiten, oder eine Familie gründen wollen. Es ist sehr schwierig – wenn nicht gar unmöglich –, beides unter einen Hut zu bringen.

Wir Frauen nehmen das als Ungerechtigkeit wahr. Aber immerhin haben wir heute die Wahl.

wissinfo: Wie schwierig ist es eigentlich, sich Tag für Tag die schrecklichen Schilderungen über Kriegsverbrechen anzuhören? Treffen Sie als Frau Berichte über Vergewaltigungen mehr als ihre männlichen Kollegen?

C.D.P.: Ja, das ist so. Es wird natürlich etwas einfacher, wenn man mehr Erfahrung hat. Ich denke, mit zunehmendem Alter schaffe ich es besser als meine jungen Kolleginnen. Aber jedes Mal wird man wieder gefühlsmässig involviert.

Frauen sind ja in vielerlei Hinsicht die grössten Opfer eines Krieges. Sie werden vergewaltigt, gefoltert, bevor sie umgebracht werden. Und sie bleiben alleine zurück, wenn die Ehemänner und Söhne gefallen sind. Das Leiden geht dann für diese Frauen weiter.

Sie werden keinen Frieden finden, bis sie die toten Körper der Verschollenen gefunden oder bis sie Gerechtigkeit erhalten haben. Und deshalb gibt es den Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen.

swissinfo: Ist es für eine Frau heute einfacher, im Justizsystem Tritt zu fassen als vor 20 Jahren, als Sie als Untersuchungs-Richterin in Lugano begannen?

C.D.P.: Es ist heute viel einfacher. Zu meiner Zeit in Lugano, um 1980, herrschte im Süden der Schweiz, im Tessin eine starke Machokultur vor. Dagegen mussten wir ankämpfen.

Doch das war damals. Heute ist das kein echtes Hindernis mehr für die Frauen. Allerdings bin ich nun seit fünf Jahren nicht mehr in der Schweiz und kann nichts genaues über die aktuelle Situation sagen.

Aber ich erinnere mich gut an meine Zeit als Bundesanwältin. Damals waren viele meiner Arbeitskollegen Frauen. So denke ich, eine Frau zu sein, ist in der Schweiz kein Hindernis mehr, um in verantwortungsvolle Positionen zu kommen.

swissinfo-interview: Anna Nelson und Frédéric Burnand, Genf

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