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Denkanstösse zu Rassismus und Zivilcourage

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"Schau hin!" fordern die Herausgeber der Arbeitsmappe mit Bildern und Texten zu Rassismus und Zivilcourage für Jugendliche ab 13 Jahren.

Ein Mangel an Lehrmitteln mit geeigneten Bildern stand am Anfang dieses Schweizer Projekts, das hilft, Vorurteile kritisch zu hinterfragen.

Ein Bild aus der Schweiz: Hinter dem tristen Gebäude eines Supermarkts spielen ärmlich gekleidete, fremd aussehende Kinder. Wäsche flattert im Wind neben einem Wohnwagen, und im Hintergrund, vor der überzuckerten Bergkette am blassblauen Himmel, ein Flugzeug im Anflug auf den Flughafen Genf-Cointrin.

Die Aufnahme des Fotografen Nicolas Faure aus einem Genfer Vorort zeigt einen Ausschnitt aus der multikulturellen Schweiz und thematisiert zusammen mit 40 weiteren Bildern und einigen Texten Rassismus und Zivilcourage. “Schau hin!” lauten Titel wie Aufforderung der im Schulverlag erschienenen Mappe.

“Wir wollen Rassismus nicht plakativ darstellen, sondern wählen bewusst einen subtilen Zugang zum Thema”, sagt Mireille Gugolz vom Projektteam gegenüber swissinfo. Die ausgewählten Bilder wecken Assoziationen und erzählen Geschichten.

Etwa die Gruppe betender Muslime in einem zum Gebetsraum umfunktionierten Wohnzimmer; die beiden auf einem Platz nebeneinander sitzenden schwarzen Männer, jeder in sich selbst versunken; oder die Maturandinnen schweizerischer und tamilischer Herkunft im Gespräch auf einem Pausenplatz. Sprechende Bilder.

Im Visier die Fremdenfeindlichkeit

Daneben finden sich aber auch Fotos, die Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit ganz direkt ins Visier nehmen. So das der Rechtsextremen, die hinter Schweizer Fahnen herlaufen, oder das Bild des Schwarzen mit abgewandtem Oberkörper hinter einer von Einschusslöchern zersplitterten Glasscheibe.

Die Bild-Text-Mappe richtet sich zusammen mit einem pädagogischen Begleitheft in erster Linie an Jugendliche und will Diskussions- wie Denkanstoss sein zu Herkunft und Identität, Vorurteilen und Ausgrenzung, Fremdem und Vertrautem.

Gibt es unrealistische Träume?

So werden die Jugendlichen mit folgenden Fragen konfrontiert: “Warum migrieren Menschen in die Schweiz? Aus welchen Gründen verlässt jemand die Schweiz?” Oder etwas allgemeiner: “Wovon träumst du? Dürfen alle Menschen dieselben Träume haben? Gibt es unrealistische Träume?”

Anhand von Bildern und Texten aus der Mappe können diese Fragen anschliessend diskutiert, illustriert oder weiter hinterfragt werden.

Etwa mit der Geschichte des 19-jährigen Bosniers Amel, der 1993 in die Schweiz gekommen ist. Der jetzt Serben hasst und jeden einzelnen töten möchte. Der bereits zwei Lehrstellen aufgegeben hat und es jetzt noch einmal versuchen will. “Wenn’s nicht klappt? Keine Ahnung, ich will einfach Geld.” Pure Verzweiflung und Hilflosigkeit sprechen aus solchen Geschichten.

Bertolt Brechts Asyl in der Schweiz

Einer der Texte stammt vom deutschen Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht, der 1947/48 im Schweizer Asyl lebte und sich vergeblich um eine Aufenthaltsgenehmigung bemühte. Die deutsche Staatbürgerschaft war ihm zuvor aberkannt worden. “Der Pass” heisst der hintergründige Text:

“Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.”

Ein Mangel bei den Lehrmitteln

Die Themenmappe wird mit fünf Texten von jungen Leuten abgeschlossen. Anhand von Beispielen erklären und illustrieren sie, wie sie Zivilcourage verstehen.

Die Initiative zu dem Projekt ging ursprünglich vom Friedensdorf aus, das seinerseits schon seit längerem Kurse für Jugendliche zu Gewalt und Rassismus anbietet.

Zusammen mit der Stiftung Bildung und Entwicklung, dem Verein für soziale und kulturelle Arbeit und der alliance sud wurde darauf die Arbeitsmappe zusammengestellt.

Mireille Gugolz, die im Projektteam die Stiftung Bildung und Entwicklung vertritt, sagt darüber: “Wir merkten, dass es bei den Lehrmitteln einen Mangel an Bildern für die Arbeit mit Jugendlichen gibt, und so haben wir uns an die Arbeit gemacht.”

swissinfo, Susanne Schanda

Hinter dem Projektteam, das die Bilder und Texte zusammengestellt hat, stehen als Herausgeber das Friedensdorf/Village de la paix, die Stiftung Bildung und Entwicklung, der Verein für soziale und kulturelle Arbeit und die alliance sud (Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas, Heks).

Die Arbeitsmappe erscheint im Schulverlag und kann, neben weiteren Lernmedien, bei der Stiftung Bildung und Entwicklung bezogen werden.

2005: 89 bisher gemeldete rassistische Vorfälle in der Schweiz.
Darunter 32 Fälle von verbalem Rassismus, Holocaust-Leugnung, Graffiti oder Vandalismus, gewaltsame Angriffe, Brandlegung und Ablehnung von Einbürgerungsgesuchen.
2004: 105 gemeldete grössere rassistische Vorfälle (2003: 116, 2002: 128). Quelle: Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus.

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