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“Bei diesen Tieren ist Respekt immer angebracht”

Bärenforscher David Bittner mit einem "seiner" Bären in Alaska: Vertrauens-Verhältnis mit Respekt. Richard Perry

Der Bär war in der Schweiz lange heimisch. Später wurde er intensiv gejagt und 1904 ausgerottet. Nun kommt er wieder zurück. Ein Nebeneinander von Bär und Mensch wäre vom Lebensraum her und mit gezielten Massnahmen möglich, sagt der Biologe David Bittner.

Der Berner Bärenforscher weiss, wovon er spricht: Er lebt in Alaska regelmässig eng zusammen mit wilden Bären. Gegenüber den braunen Riesen sei Respekt angebracht, sagt er im Gespräch mit swissinfo.ch. Bittner hat mittlerweile fast ein Vertrauensverhältnis zu “seinen” Bären.

Der Biologe freut sich über die Rückkehr des Bären in die Schweiz. Dass es dabei Konfliktpotenzial gibt, ist ihm klar. Es liege an uns selbst, ob wir dem Bären wieder eine Chance geben wollen oder nicht.

swissinfo.ch: Sie reisen seit 2002 fast alljährlich für ein paar Monate nach Alaska, wo Sie allein unter Bären leben. Wie kam das?

David Bittner: Mehr durch Zufall. Ich war zwar immer einer, der seine Ferien ein bisschen abseits der abgetretenen Pfade verbrachte und in entfernten Ländern Abenteuer erlebte. Da war Alaska mit seiner unberührten Wildnis irgendwann auch mal ganz oben auf der Liste. Aber der Grund, wieso ich nach Alaska ging, waren die Lachse, nicht die Bären.

swissinfo.ch: Wie sind Sie dann auf den Bären gekommen?

D.B.: Durch zufällige Begegnungen. Ich hatte zuerst natürlich grosse Angst. Ich wusste, wo es viele Lachse gibt, sind auch Bären. Dann gab es zwei, drei sehr nahe, emotionale Begegnungen mit diesen grossen Braunen, die mich sofort in ihren Bann gezogen haben.

swissinfo.ch: Wie haben Sie sich gegenüber diesen gefährlichen Tieren verhalten?

D.B.: Nur ja kein aggressives Verhalten, bei diesen Tieren ist Respekt immer angebracht. Ich hatte zuerst natürlich keine Erfahrung, und es gab die eine oder andere Situation, wo ich ein bisschen Glück hatte. Mittlerweile habe ich so viel Zeit mit diesen Bären verbracht, dass ich weiss, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten muss.

swissinfo.ch: Sie haben fast ein Vertrauensverhältnis zu den Bären entwickelt. Gibt es dennoch gefährliche Momente?

D.B.: Die Kodiak-Bären oder Küstenbraunbären in Alaska sind einiges grösser als ihre verwandten Braunbären in Europa. Auf den Hinterbeinen stehend kann ein Kodiak-Männchen gut vier Meter gross sein und 800 Kilo oder mehr wiegen.

Es gibt Bären, die ich nicht kenne, da muss man sehr vorsichtig agieren, sich dem Bären ja nicht nähern, zurückhaltend bleiben. Dann gibt es Bären, die ich mittlerweile gut kenne, weil sie jedes Jahr dieselbe Nahrungsquelle aufsuchen – und das führt dann zu einem Vertrauensverhältnis.

swissinfo.ch: Wie fühlt man sich nur einige wenige Meter entfernt von einem braunen Riesen?

D.B.: Es ist immer der Bär, der sich mir nähert, und nie umgekehrt. Er fühlt sich scheinbar ungestört und weiss, dass ich ihm nichts antun werde. Und plötzlich ist er zwei, einen Meter von mir entfernt. Ich habe das Gefühl, gewisse Bären wollen mich noch ein bisschen besser kennenlernen, beschnuppern, gerade Jungtiere.

Es ist für mich ein ganz wichtiges Prinzip, nicht in Körperkontakt mit den Bären zu kommen. Das ist eine symbolische Grenze des Respektes vor dem wilden Tier.

swissinfo.ch: In der Schweiz war der Braunbär während Jahrhunderten heimisch. Doch im 18. und 19. Jahrhundert wurde er intensiv gejagt und schliesslich ausgerottet. Der letzte Bär wurde 1904 im Val S-charl erlegt. Jetzt ist er dorthin zurückgekehrt. Seit 2005 wanderten rund 7 bis 8 Raubtiere aus dem norditalienischen Trentino durchs Unterengadin ein. Freut Sie das?

D.B.: Ja. Der Bär ist für mich ein Symbol für Wildnis, unberührte Landschaft, intakte Natur. Dass er jetzt wieder zurückkehrt, zeigt, dass ein Umdenken stattgefunden hat.

Diese Tiere wurden unter Schutz gestellt, als sie fast überall ausgerottet wurden. Die Restpopulation, ein paar wenige Tiere, war im norditalienischen Trentino angesiedelt. Und von dort her wird jetzt der ganze Alpenraum langsam wieder besiedelt.

swissinfo.ch: Der letzte Bär, der im Unterengadin unterwegs war, M13, zeigte wenig Scheu vor Menschen und Siedlungen. Nachdem er Ende April von der Rhätischen Bahn angefahren worden war, machte er einen mehrwöchigen Abstecher ins italienische Veltlin. Gegen Ende Juni kehrte er wieder nach Graubünden zurück. 2008 musste der “Problem- und Risikobär” JJ3 im Bündnerland abgeschossen werden. Ist in der Schweiz ein Nebeneinander von Bär und Mensch unmöglich?

D.B.: Nein, ich denke nicht. Natürlich gibt es Bären, die Probleme verursachen, wie eben M13 oder JJ3. Da ist das Risiko gross, dass irgendwann etwas geschieht. Nicht nur wegen der Neugier des Bären, sondern vor allem auch wegen des respektlosen Verhaltens von uns Menschen gegenüber diesem Tier, wenn wir uns ihm zu sehr nähern, unbedingt ein Foto machen müssen und es vielleicht sogar noch füttern.

Solche katastrophalen Umstände führen dann oft zu einer Abhängigkeit des Bären vom Menschen und dessen Nahrung und enden immer mit dem Tod des Bären. Aber die nachtaktiven, menschenscheuen Bären haben bei uns eine Zukunft.

swissinfo.ch: Ist die Schweiz nicht zu klein und zu dicht besiedelt für einen Bären-Lebensraum?

D.B.: Natürlich haben wir in der Schweiz eine Kulturlandschaft und keine wirkliche Wildnis mehr. Aber trotzdem gibt es auch bei uns noch intakte Naturgebiete, vor allem in den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis. Nahrungsgrundlage und Lebensraum wären durchaus vorhanden für ein paar wenige Raubtiere, eine kleine, sich selbst erhaltende Population.

swissinfo.ch: Was müsste in der Schweiz zur Schaffung eines Lebensraums für den Bären getan werden, der sich möglichst wenig mit jenem des Menschen überschneidet?

D.B.: Das wichtigste ist, dass es an uns Menschen selbst liegt, ob wir dem Bären in der Schweiz eine Chance geben wollen oder nicht. Wenn die Akzeptanz einer Mehrheit, vor allem der betroffenen Leute auf dem Land, vorhanden ist, dann ist das möglich.

Wenn man Massnahmen wie Herdenschutzhunde, Elektrozäune um Kleinvieh und Bienenhäuser sowie ein bärensicheres Siedlungsabfall-Konzept durchsetzt, dann ist ein friedliches Nebeneinander zwischen Mensch und Bär durchaus denkbar.

Aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bis das erste Bärenweibchen den Weg in die Schweiz findet und sich dann der erste Nachwuchs einstellt. Es wird vorerst bei kurzzeitigen Besuchen von einzelnen männlichen Jungbären bleiben.

Geboren 1977 in Bern und aufgewachsen im Berner Oberland, studierte David Bittner Biologie an der Universität Bern und promovierte 2009. Für seine Forschungsarbeiten wurde er 2010 mit dem Berner Umweltforschungspreis ausgezeichnet.

Seit 2002 reist Bittner wann immer möglich nach Alaska, um die Kodiak- und Küstenbraunbären in der Wildnis zu beobachten und seine Erlebnisse mit Foto- und Filmaufnahmen zu dokumentieren. Mit seiner Arbeit setzt sich der Forscher für den Schutz und den Erhalt dieser Tiere ein.

2009 erschien sein erstes Buch “Der Bär – Zwischen Wildnis und Kulturlandschaft”. Im Sommer 2009 begleitete ihn der bekannte englische Kameramann Richard Terry, der für Animal Planet und Discovery Channel ein Portrait über den Schweizer mit “seinen” Bären drehte.

Im Winter 2010 widmete ihm das Naturhistorische Museum Bern eine Sonderausstellung – “David & Kodiak” –, und das Deutsche sowie das Schweizer Fernsehen zeigten seinen 2007 zusammen mit Jean-Luc Bodmer selbstproduzierten Film “Unter Bären – Leben mit wilden Grizzlies in Alaska”.

Zurzeit arbeitet Bittner als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) und der Universität Bern.

Spätestens mit dem Auftreten des Wolfes im Bergell im Sommer 2001 war klar geworden: Taugliche und praktikable Herdenschutz-Massnahmen fehlten im Kanton Graubünden wie in der ganzen Schweiz. Es galt, Wissen und Erfahrung aus den europäischen Wolfsregionen zu nutzen und den Bündner Verhältnissen anzupassen.

Zusammen mit interessierten Schaf- und Ziegenhaltern hat der WWF Schweiz Schutzmassnahmen gegen Übergriffe von Grossraubtieren in Graubünden erprobt. Zum Einsatz kamen Elektrozäune, Herdenschutzhunde und Esel.

Heute nutzen viele Schaf- und Ziegenhalter die Erfahrungen und Erkenntnisse des WWF. Über 100 Herdenschutzhunde sind heute in der Schweiz im Einsatz. In der Surselva, im Bündner Oberland, wo ein Wolf seit mehreren Jahren lebt, hat sich der Herdenschutz bewährt. Während der Sömmerung gibt es sehr selten Übergriffe auf die Schafherden.

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